Premiere am 21.01.22
Als Giuseppe Verdis 15. Werk, das zwischen der Entstehung von „Luisa Miller“ und „Rigoletto“ liegt, wurde „Stiffelio“ 1850 in Triest uraufgeführt. Das zeitgenössische Thema vom Pastor, der seiner Gattin schlussendlich ihren Ehebruch vergibt, stieß beim damaligen Publikum nicht auf viel Gegenliebe und verschwand bald vom Spielplan.
Als die Leitung des neu errichteten Nuovo Teatro (später Teatro Vittorio Emanuele II) in Rimini 1856 an Verdi mit der Bitte um ein Werk für die Eröffnung des Hauses herantrat, nahm sich der Meister neuerlich „Stiffelio“ vor und beauftragte seinen Textdichter Francesco Maria Piave mit der Änderung des Librettos, um der Prüderie seiner Zeitgenossen zu entgehen. So wurde aus dem Pastor ein irischer Kreuzritter und die Handlung ins 12. Jahrhundert verlegt. Ziemlich phantasielos wurde aus der Ehebrecherin Lina eine Mina, Vater Stankar hieß nun Egberto und was der Äußerlichkeiten mehr sind. Der Text wurde nur in Anpassung an das neue Ambiente variiert. Da es nun keine Vergebung von der Kanzel aus mehr geben konnte, entstand ein vierter Akt, der zeigt, wie sich Aroldo mit seinem Gefährten Briano in ein Dasein als Eremiten zurückgezogen hat. Hier taucht die verstoßene Mina mit ihrem Vater auf; die beiden waren nur knapp einem Schiffbruch entgangen. Der zu Hilfe gerufene Aroldo erkennt seine Frau, will zunächst nichts von Vergebung wissen, verzeiht aber schließlich, als sich Mina wieder auf den Weg machen will und nur hofft, noch vor ihrem Tod diese Verzeihung zu erlangen. In der dramaturgischen Wirkung natürlich kein Vergleich mit der Absolution von der Kanzel aus, aber dafür kommt der Hörer in den Genuss der Musik eines weiter gereiften Verdi (in der Zwischenzeit waren noch „Trovatore“, „Traviata“, „Vêpres siciliennes“ und „Simon Boccanegra“ entstanden).
Vor allem der Gewitterchor, während der Nachen Minas und ihres Vaters fast kentert, verweist schon stark auf den Eingangschor in „Otello“. In den vorhergehenden drei Akten, wo vieles musikalisch unverändert bleibt, beeindrucken neu vor allem das große Ensemble am Schluss des 1. Aktes und Minas große Arie, wie die ganze Rolle dramatischer ausfällt als die ihrer Vorgängerin. Jedenfalls kam es 1857 zur Uraufführung in Rimini, und es scheint, dass der Enthusiasmus des Publikums mehr durch Verdis persönliche Anwesenheit als durch das Werk hervorgerufen wurde.
Das Opernhaus wurde 1943 im Bombenhagel zerstört, aber erst 2018 war seine Wiedererrichtung beendet; es trägt nun den Namen von Amintore Galli (1845-1919), einem Musikjournalisten und Komponisten aus Rimini. Nach verschiedenen Konzerten erfolgte die eigentliche Eröffnung im August 2021 mit „Aroldo“, womit sich der Kreis zur allerersten Eröffnung schließt. Da es sich um eine Koproduktion handelt, ging „Aroldo“ nach Rimini auch nach Ravenna und war nun in Piacenza zu sehen (dann folgt noch Modena).
Der bekannte Musikwissenschaftler Emilio Sala erarbeitete mit Edoardo Sanchi, seines Zeichens Bühnenbildner, aber nicht bei dieser Produktion, eine Dramaturgie, die – ausgehend von der Zerstörung des Theaters in Rimini – die Handlung in die Zeiten des Faschismus verlegt. Das beginnt mit einer nicht weiter bezeichneten weiblichen Greisenstimme aus dem Off, die die damaligen Zeiten heraufbeschwört. Videos und Projektionen (Matteo Castiglioni) zeigen Bombenangriffe, Truppen, Flüchtlinge. Die Ausstattung von Giulia Bruschi begnügt sich mit zwei Schreibtischen und ein paar Sesselreihen, während es dem Licht von Nevio Cavina vorbehalten bleibt, Atmosphäre zu schaffen, was gut gelingt. Für die Kostüme waren Raffaella Giraldi und Elisa Serpilli aufgeboten, obwohl es in erster Linie um historische faschistische Uniformen ging. Für Mina gab es ein elegantes Abendkleid, ein Nachtgewand und für den letzten Akt einen Trenchcoat.
Auch der Text wurde dieser Dramaturgie angepasst. So wurde in „Sotto il sole di Siria“ Siria zu „Abessinia“ (Anspielung auf den gegen jedes Völkerrecht angezettelten Krieg Italiens gegen Äthiopien 1935/36) oder ein Krieger wurde mit „Camerata“ angesprochen. Von einer eigentlichen Regie war nichts zu sehen, die (mit Ausnahme des Soprans) schauspielerisch unbegabten Sänger standen stocksteif herum, während die Projektionen nur von der Musik ablenkten.
Von den stimmlichen Leistungen ist hingegen viel Gutes zu berichten. So ließ Luciano Ganci in der Titelrolle mit seinem authentischen Tenormaterial und prachtvollem squillo seinen mangelnden schauspielerischen Einsatz gerne vergessen. Die Rolle mit ihren vielen dramatischen Ausbrüchen liegt ihm sehr. Roberta Mantegna war eine furchtlos die exponierten Höhen meisternde Mina mit einem Funken Metall in der Stimme, der gut zu ihrer auch szenisch überzeugenden Interpretation passte. Ihr Vater war bei Vladimir Stoyanov in etwas farblosen, aber sicheren Händen; der Bariton sang seine Arie, wenn Egberto an Selbstmord denkt, sehr anrührend. Der Bass Adriano Gramigni (Briano) scheint über umfangreiches Material zu verfügen, das aber der technischen Verbesserung harrt. Interessant klang der junge Tenor Riccardo Rados in der nicht sehr umfangreichen Rolle des Verführers Godvino. Der zunächst in einigen bühnennahen Logen, dann auch auf der Bühne selbst zu hörende (maskierte) Chor des Hauses unter Corrado Casati machte seine Sache gut, und das 2004 von Riccardo Muti gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini folgte aufmerksam der präzisen, aber nicht sehr inspirierten Leitung von Manlio Benzi.
Das Publikum im vielleicht zu einem Drittel gefüllten Haus dankte den Künstlern mit begeistertem Beifall.
Eva Pleus / 27.01.22
Bilder: Zani-Casadio