Piacenza: „Norma“

Vorstellung am 22.10.21 (Premiere)

Vincenzo Bellinis Meisterwerk steht nicht allzu oft auf den Spielplänen, weil es nicht nur an und für sich schon hervorragender Stilisten und Belcantisten bedarf, sondern für die Titelrolle einer Sopranistin, die in der Lage ist, auch die menschlichen Dimensionen des Schicksals der Druidenpriesterin auszuloten. In Piacenza hatte man auf Angela Meade gesetzt. Man möchte der korpulenten Amerikanerin wünschen, dass ihre Karriere länger dauern möge als die ihrer Soprankolleginnen Alessandra Marc, Jane Eaglen oder Susan Dunn, deren vom Gewicht überbeanspruchte Körper nach wenigen Jahren kein Auftreten mehr möglich machten. Meade sang die mörderische Partie ohne nennenswerte Anstrengung und überzeugte in den lyrischen Stellen („Oh, rimembranze“) ebenso wie in der furiosen Attacke („In mia man alfin tu sei“). Die ganze menschliche Tragödie der Figur vermochte sie nicht aufzuzeigen, was schon bei der fehlenden Mimik begann. Schade, denn rein gesanglich gab es nichts auszusetzen.

Für diese machtvolle Stimme mit ihrem verführerischen Timbre hätte man sich einen anderen Tenorpartner gewünscht als Stefano La Colla, der zwar unermüdlich Spitzentöne produzierte, aber im Verismo besser aufgehoben ist als bei Bellini, von dem er stilistisch keine Ahnung hatte. Dazu war er nicht immer intonationssicher. Paola Gardina sang mit leichtem Mozartmezzo eine in der Mittellage angenehme Adalgisa, deren dramatischere hohe Töne aber für den Hörer zur Qual wurden. Dazu spielte sie ein verhärmtes Hascherl, das wohl nie Polliones Aufmerksamkeit hätte erregen können. Der in jeder Hinsicht kompletteste Sänger war wiederum Michele Pertusi, der die nicht sehr umfangreiche Rolle von Normas Vater Oroveso mit seiner markanten Interpretation aufwertete und adelte. Stimmlich und szenisch überzeugend fiel der von Didier Pieri interpretierte Flavio, Freund des Pollione, aus. Als Normas Vertraute Clotilde ergänzte Stefania Ferrari.

Sesto Quatrini am Pult des Orchestra Filarmonica Italiana ließ mit Verve und Brio aufspielen. Gut hielt sich auch der Chor des Hauses in der Einstudierung von Corrado Casati.

Die Koproduktion mit den Häusern von Modena und Parma war 2016 in St. Gallen entstanden und seither in kleineren französischen Häusern zu sehen gewesen. Regisseur Nicola Berloffa verlegte die Handlung (wieder einmal) ins 19. Jahrhundert und zeigte ein Volk nach einer krachenden Niederlage (der Herrenchor bestand durchwegs aus hinkenden Krüppeln). Dennoch träumen sie von Revanche, aufgestachelt von Oroveso. Diese Lösung enthebt die Ausstatter der Peinlichkeit, einen Stamm von „Wilden“ und deren Ambiente illustrieren zu müssen. So zeigt das Bühnenbild von Andrea Belli einen verfallenden Palast bzw. einen kahlen Innenraum; Valeria Donata Bettella ließ sich für die Herren schmucke Uniformen einfallen, für die Damen nichts sehr Kleidsames im Stil von Hausmütterchen.

Ansonsten ist dem Regisseur neben ungeschickten Auftritten und Abgängen, bei denen man sich fragte, warum die Protagonisten nicht zusammengestoßen waren, nicht viel eingefallen. Um dem 19. Jahrhundert treu zu bleiben, in dem es in Europa keine Todesstrafe auf dem Scheiterhaufen mehr gab, ließ Berloffa Norma und Pollione schlicht enthaupten.

Im ziemlich gut gefüllten Haus gab es am Schluss viel Applaus für einen eher doch zwiespältigen Abend.

Eva Pleus 25.10.21

Bilder: Cravedi / Verile