
Ende März 2000 wurde das Festspielhaus Neuschwanstein, damals noch unter dem Namen Musical Theater Neuschwanstein, mit einer Art Soft-Opening eröffnet. Die offizielle Uraufführung des Musicals Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies, für das das Theater eigens gebaut wurde, fand am 7. April 2000 statt. Zum 25-jährigen Jubiläum des Theaters kehrte die Produktion nun für vier halbszenische Aufführungen auf die Bühne zurück, auf der alles begann. Mit von der Partie waren einige Darsteller, die in ihre damaligen Rollen zurückkehren, sowie weitere Darsteller, auf die das Theater in seinen aktuellen Musicalproduktionen immer wieder gerne zurückgreift.
In ein Musicaltheater gehört natürlich ein Musical, sollte man meinen, aber so eindeutig ist das in diesem Fall nicht. Franz Hummel hat seinerzeit eine Komposition geschaffen, die zwar drei oder vier große Musicalnummern enthält, darüber hinaus ist Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies aber weniger ein klassisches Musical. Vielmehr handelt es sich um eine Mischung aus Musical, Oper und vor allem Operette mit einigen Märschen, ein wenig bayrischer Folklore und natürlich einem eigenen Walzer. Dennoch war die Auslastung in den Jahren 2000 bis 2003 mit über 1,5 Millionen Besuchern in rund 1.500 Vorstellungen recht beachtlich. Eine Auslastung, von der so manche Großproduktion heute nur träumen kann. Leider fand die Produktion Ende 2003 ein unrühmliches Ende, da das Haus aufgrund finanzieller Misswirtschaft geschlossen werden musste. Für das Theater mit seiner einmaligen Lage am Forggensee und direktem Blick auf Schloss Neuschwanstein folgten mehrere Jahre einer ungewissen Zukunft. Seit 2017 geht es unter der Intendanz von Benjamin Sahler Schritt für Schritt wieder aufwärts, so dass das Festspielhaus seit einigen Jahren wieder auf eine große Musicaltradition zurückblicken kann.

Doch zurück zum Märchenkönig. Nach dem Ende des Musicals am Originalschauplatz, wir bleiben nun einfach bei der Bezeichnung Musical, entstand 2005 eine Neuinszenierung des Füssener Regisseurs Stephan Barbarino am Deutschen Theater in München, die allerdings mit einem für dieses Werk zu kleinen Orchester und einem 3D-Ansatz, für den die Besucher entsprechende Brillen bekamen, eher erfolglos blieb. Daher war auch die Aufführungsdauer mit ca. 2 Monaten nicht allzu lang. Erst zu Hummels 80. Geburtstag nahm sich das Theater Regensburg des Werkes an und inszenierte in der Spielzeit 2019/20 die erste und bisher leider auch einzige wirklich sehenswerte Neuinszenierung des Werkes, angepasst an die Möglichkeiten eines Stadttheaters. Bei seiner Uraufführung im Jahr 2000 beeindruckte das Musical unter anderem mit einem imposanten Bühnenbild. So fuhr König Ludwig damals unter anderem in einer Kutsche – gezogen von echten Pferden – über die Bühne, das Schloss Neuschwanstein wurde mit großem optischen Aufwand auf der Theaterbühne errichtet und schließlich ertrank der Bayernkönig eindrucksvoll im Starnberger See, da sich unter der Bühne ein eigens angelegtes Wasserbecken befand, das der Darsteller durch eine Schleuse in den Backstagebereich vom Publikum unbemerkt verlassen konnte. Dieses Wasserbecken ist zwar immer noch in Betrieb und wird auch bei einigen Aufführungen anderer Produktionen gerne genutzt, aber für die nur dreitägigen Jubiläumsaufführungen macht es keinen Sinn, hier auch nur ansatzweise den Vergleich zur Originalproduktion zu suchen. Deshalb wählt Regisseur Dirk Schattner in der aktuellen Jubiläumsproduktion für seine halbszenische Aufführung, bei der die Darsteller in ihren jeweiligen Kostümen auf der Bühne stehen, einen völlig anderen Ansatz. Durch die gekonnte satirische Überzeichnung vieler Rollen setzt er statt auf spektakuläre optische Effekte auf die Ausstrahlung und Spielfreude seines Ensembles. Hinzu kommen Projektionen von Benjamin Sahler, die für die jeweils passenden Hintergründe sorgen. Und dieser neue Ansatz geht voll auf.

Humorvoll ist bereits die Einleitung, in der ein Fremdenführer (dargestellt von Michael Schneider, der später auch als Hofsekretär zu sehen ist) eine Gruppe von Touristen über die Bühne führt und dabei kleine Geschichten zum Haus erzählt. Dabei erinnert er auch an Josephine Barbarino, die das Gebäude seinerzeit entworfen hat und die er am Premierenabend im Zuschauerraum ausfindig macht. Nachdem alle „Touristen“ die Bühne verlassen haben und nur noch ein einsamer Schwan aus Plüsch zurückbleibt, kann die Vorstellung beginnen. Hierbei ist es eine wahre Freude zu sehen, wie Winfried Hübner als bayerischer Ministerpräsident und Wilhelm Beck als Kabinettssekretär Pfistermeister in ihre Rollen schlüpfen, die sie bereits von 2000 bis 2003 verkörperten, und erneut ihre Intrigen gegen den König inszenieren. Statt Geld für das Militär bereitzustellen, widmet der König sich nämlich lieber mit ganzer Hingabe der Kunst. Der Vortrag der beiden Politiker im Immobilien-Song über das nicht vorhandene Geld, das die Welt regiert, ist ein kleiner Höhepunkt des Abends. Auch in der Rolle Ludwigs II. gibt es ein Wiedersehen, denn der in den USA geborene Bariton Jon Geoffrey Goldswothy schlüpft erneut in die Rolle, die er vor 25 Jahren geprägt hat. Seine Interpretation von Du holde Kunst, dem wohl bekanntesten Lied des Musicals, sorgt für Gänsehaut. Mit Florian Münzer als Obermedizinalrat Dr. von Gudden und Martin Sommerlatte als Fotograf Edgar Hanfstaengel kehren zwei weitere Künstler in ihre damaligen Rollen zurück und zeigen eindrucksvoll, dass sie in all den Jahren nichts verlernt haben. Neu dabei sind Marc Trojan als Baumeister, Gesandter und Kaiser Franz Joseph von Österreich sowie Lutz Thase als Richard Wagner. Gerade letzterer wird in dieser Inszenierung sehr charmant, aber auch sehr nachhaltig als eine Person dargestellt, die den König regelrecht ausnimmt und dabei Hans von Bülow (Jens Rainer Kalkmann) noch seine Cosima (Andrea Jörg) ausspannt. Das ist wenig sympathisch, eingefleischte Wagnerianer seien hiermit also gewarnt. Als kleine Wiedergutmachung kann man allerdings hinzufügen, dass Franz Hummel in seiner Komposition einige passende Anleihen an Wagners Werke implementiert und sein Musical mit opernhaften Klanggeweben versehen hat. Die drei Nymphen, die als unsichtbare Wesen immer wieder in die Geschichte eingreifen, sind die sympathischsten Figuren des Stückes. Voller Spielfreude wirbeln Christine Owen, Angelika Erlacher und Madeleine Haipt in ihren weiten Gewändern immer wieder über die Bühne des Festspielhauses. Immanuel Grau als Prinz Otto, Antonia Streitenberger als Sophie und Kathryn Wieckhorst als Kaiserin Elisabeth von Österreich runden die Hauptrollen ab. Letzterer gebührt mit Adler und Möwe auch das dritte große Lied des Abends.

Insgesamt kann die Partitur von Franz Hummel, wie bereits erwähnt, mit vielen wunderbaren Melodien punkten. Diese werden vom Bohemian Symphony Orchestra Prague unter der musikalischen Leitung von Martin Šanda mit rund 40 Musikern in einer dem Werk angemessen großen Besetzung klangvoll zu Gehör gebracht, so dass man abschließend nur von einer absolut gelungenen Jubiläumsaufführung sprechen kann.
Markus Lamers, 22. März 2025
Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies
Musical von Franz Hummel (Musik) und Stephan Barbarino (Buch & Liedtexte)
Festspielhaus, Füssen
Premiere: 21. März 2025
Inszenierung: Dirk Schattner
Musikalische Leitung: Martin Šanda
Bohemian Symphony Orchestra Prague