Füssen: „Der Ring – das Musical“

Im Oktober 2019 traf „Mythos auf Musical“, wie es das bildreiche Programmheft von Ludwigs Festspielhaus am Forggensee in Füssen formuliert. Denn man präsentierte die bereits mehrfach ausgezeichnete neue Inszenierung von „Der Ring – das Nibelungen Musical“ des ARD Fernsehpreisträgers Frank Nimsgern mit den Topstars der europäischen Musicalszene wie Jan Ammann, hier auch schon als König Ludwig II rezensiert, Chris Murray, Christopher Brose et al. Bei Nimsgern, Komponist der Produktion und auch für das Konzept verantwortlich, kann man einmal wirklich sagen, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Denn ich erlebte seinen Vater Siegmund Nimsgern des Öfteren als Wagner-Bariton, gerade auch als Wotan im „Ring“, auch in Bayreuth. Die Erstaufführung von Nimsgerns Interpretation des Kampfes der Götter mit Alberich um die Macht des Ringes fand am 16. Dezember 2007 am Theater Bonn statt. Nun kam sie also ins dafür besonders gut geeignete Festspielhaus im Allgäu, das 2015 gerade auch mit der „Ring“-Produktion aus Sofia von sich reden machte. Mehr Wagner ist hier schon für den Herbst 2020 geplant.

Rheinamazonen im Pool

Nimsgern will mit dem „Ring“-Musical eine „Story voller Ehrgeiz und Erotik, Liebe und Leidenschaft, Gier und Begierde, Himmel und Hölle, All- und Ohnmacht“ zeigen. Es ist ihm in einem musikalisch mit unkonventionelleren und bei weitem weniger eingängigen Mitteln als bei der auch in Füssen gespielten und hier besprochenen „Päpstin“ weitgehend gelungen. Bei einem Vergleich fällt jedoch auf, das bei jenem Musical viel mehr Wert auf Harmonie und Melodie gelegt wird. Beim „Ring“ überwiegt der Eindruck, dass optische und auch dramatische Effekte, ohne das saloppe Wort „Knaller“ verwenden zu wollen, im Vordergrund stehen. Das liegt sicher auch an der Inszenierung von Reinhardt Friese und der allerdings immer wieder sehr beeindruckenden und enormen dramaturgischen Raum einnehmenden Choreographie von Marvin A. Smith mit fünf Tänzerinnen, vier Tänzern und sogar einer Luftakrobatin. Marvins Choreographie wirkt allerdings öfters zu gymnastisch, es fehlt an Feinschliff und Anmut. Die szenische Einstudierung übernahm der Füssener Theaterdirektor Benjamin Sahler gemeinsam mit dem Darsteller des Siegfried, Christopher Brose, nach einer Originalinszenierung von Reinhardt Friese am Theater Hof. Sahler zeichnet auch für die Bühnenbild-Einrichtungen nach Original-Bühnenbildern von Herbert Bruckmüller verantwortlich. Das äußerst eindrucksvolle und die Handlung stark unterstützende Lichtdesign kommt von Tino Tiesler.

Alberich mit Rheinamazonen

Für den Librettisten Daniel Call ist der „Ring“ das Symbol für Verbindung und Unendlichkeit, eine in dieser Akzentuierung für die Freunde der Wagnerschein Tetralogie vielleicht nicht direkt eingängige Auffassung. Für Call ist der „Ring“, und das ist interessant und sicher zutreffend, „verbunden mit den größten Mythen der Menschheit, denn alles, was uns in Form von Worten, Klängen und Farben überliefert wurde, erzählt vom Ringen um Liebe, um Macht oder Tod. Meist von allem zugleich. Denn das sind sie – ob banal oder bedeutungsvoll in Zeilen und Lieder gegossen: Die Grundpfeiler unseres Lebens. Von Geburt an bis zum Unausweichlichen. Und … wir hoffen doch inständig, es möge die Liebe sein, die alle Kreise schließt, so zaghaft und bescheiden sie sich darstellt im Stahlgewitter des Machtgetöses. Um mehr geht es nicht im Musical „Der Ring“, aber auch nicht um weniger.“ Ein tolles Wort, wohl eine Wortschöpfung, „Stahlgewitter des Machtgetöses“. Etwas, das wir tagtäglich in den Nachrichten vernehmen, gegen das wir fast schon immun geworden sind, und das das leading team dieser Produktion sowohl musikalisch wie szenisch zu verdeutlichten suchte – und da war dann eben nicht viel Platz für wenigstens gelegentliche besinnliche musikalische Linienführung.

Siegfried und Tänzer

Dabei gibt es konzeptionell einige Änderungen zu Wagners „Ring“. Da sind statt der Rheintöchter die sicher artverwandten „Rheinamazonen“, die sich bedeutungsschwanger „Zärtlichkeit“, „Lust“ und „Schmerz“ nennen, es aber damit nicht ganz genau nehmen. Nachdem der „Ring“ bei Wotan gelandet ist, schafft Alberich, dem hier zudem noch mit dem Star Chris Murray eine viel stärkere Rolle zukommt als gewohnt, in seiner Schmiede einen Edelmenschen aus Eisen und Stahl, den jungen Siegfried. Dieser steigt, nachdem er den Ring vom Drachen gewonnen und Wotan entmachtet hat, zum Alleinherrscher der Menschheit auf. Nun versucht Wotan seine Tochter Brunhild zum Mord an ihrem geliebten Siegfried zu überreden, was auch Alberich versucht, aber Brunhild kann ihn retten und bringt nun ihrerseits ihren Vater Wotan um! Ungewohnte Kost… phantasievoll ist allerdings der Drache gestaltet, ein Ensemble aus Tänzern macht ihn zur beweglichen Gefahr – mit einem humoristischen Augenzwinkern. Die Rheinamazonen lassen sich bisweilen zu allzu albernen Aktionen hinreißen. Die Tänzer vollziehen ein engagiertes Wasserballett im Riesenpool des Festspielhauses, der einst für des Königs finalen Gang bei Berg in den Starnberger See gebaut wurde. Immerhin bekommen die Rheinamazonen am Ende von Brunhild den Ring zurück.

Drachenkampf

Jan Ammann ist ein imposanter Wotan mit respektabler großer Erscheinung und einem klangvollen Bariton, der über entsprechende Phrasierung und Ausdrucksmöglichkeit verfügt. Er ist der beste unter den Protagonisten. Chris Murray ist ein drahtiger und zäh seine Ziele verfolgender Alberich, was bisweilen etwas zu Lasten der Stimme geht, was aber mit der Boshaftigkeit der Figur durchaus zu vereinbaren ist. Er legt ein schauspielerisches Meisterstück an den Tag, mit toller Mimik und einem die Rolle klar konturierenden Ausdruck. Christopher Brose, ja auch am leading team beteiligt, spielt ebenfalls äußerst engagiert, allerdings kommt seine vokale Leistung von der Diktion her etwas zu kurz. Dem Sopran von Anke Fiedler als Brunhild fehlt es an stimmlicher Rundung, Volumen und auch an Höhensicherkeit, die gelegentlich zu scharf erklingen. Aber auch sie hat ihre Rolle bestens drauf und löst diesen Part bestens ein. Kathy Savannah Krause als „Zärtlichkeit“, Kristin Backes als „Lust“ und Stefanie Gröning als „Schmerz“, die übrigens auch die Produktionsleitung innehat, machen ihre Sache bei großen Bewegungsherausforderungen -naturgemäß auch im Swimming Pool – sehr ansprechend. Folgende Tänzerinnen und Tänzer halten das Ganze in beständigem Schwung: Ann Kathrin Wurche, Julie Martin, Marlou Düster, Stephanie Tampu, Lea-Katharina Krebs, Vera Horn, die auch die Ring-Akrobatikerin ist; Sebastian Wunder, Michael Fiech und Gregor Continanza.

Alberich in der Schmiede

Frank Nimsgern hat die musikalische Leitung der Band bestehend aus Marcel Jahn, Stefan Engelmann, Stephan Schuchardt und ihm selbst.

Damit zeigte das Team des Festspielhauses einmal mehr, wie sehr es sich mit einer Truppe von außerhalb integrieren kann. Dieses ganz bestimmt sehenswerte „Ring“- Musical wird in Füssen in diesem Jahr wieder aufgeführt werden. Es lohnt sich nicht nur für die Freunde des Wagnerschen Werks, einmal dabei zu sein. Es gibt weitere Aufführungen von Ende Juli bis Anfang August 2020.

Klaus Billand/3.1.2020

www.klaus-billand.com

Bilder: Michael Böhmländer / Ludwigs Festspielhaus
Füssen