Gelsenkirchen: „Billy Budd“, Benjamin Britten

Düster und dunkel geht es zu, Nebel wabert, finstere Gestalten singen sehnsuchtsvoll. Intendant Michael Schulz inszeniert an seinem Musiktheater im Revier Benjamin Brittens selten zu sehendes Seemanns-Drama „Billy Budd“ als ein Spiel zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Schatten. Dies gelingt – das sei vorweggenommen – außerordentlich und lässt den Abend in nicht enden wollendem Jubel ausgehen.

Brittens Oper stellt jedes Opernhaus vor große Herausforderungen. Die Hauptrollen sind höchst anspruchsvoll, sie zu besetzen gelingt in kaum einem Ensemble, dazu eine Vielzahl mittlerer und kleiner Rollen und ein gigantischer Chorpart, der nur vom Herrenchor zu bestreiten ist – eigentlich eine Aufgabe nur für sehr große Häuser. Dass man sich dieser Herausforderung in Gelsenkirchen aber derart bravourös gestellt hat, zollt größten Respekt an alle Beteiligten.

(c) Karl und Monika Forster

Die Geschichte um den jungen Seemann Billy Budd, der zwangsweise an Bord des Kriegsschiffs „Indomitable“ gerät und der, ob seiner liebenswerten und guten Art Neid und Missgunst des finsteren Waffenmeisters John Claggart auf sich zieht, bis dieser Billy in einer Intrige der Meuterei bezichtigt und es zu einer für Claggart tödlich endenden Auseinandersetzung kommt, wird von der Regie schnörkellos und mit hoher Intensität erzählt. Das Bühnenbild von Dirk Becker verzichtet weitgehend auf maritime Anklänge, einzig die Kostüme von Renée Listerdal legen den Link zum Kriegsschiff. Die Regie erzählt das Umfeld der Geschichte als eine menschenverachtende Kriegsmaschinerie, der einzig der naive Billy und der Schöngeist und Intellektuelle Kapitän Vere scheinen entfliehen zu wollen. Ihnen entgegen steht das Düstere, das Böse in Form des erlernten Tötens, der Hierarchie und des Gehorsams und der Strafe. Die „Indomitable“ ist ein Ort der Unterdrückung und der Gewalt – ein düsterer Ort, ein Ort ohne Hoffnung.

(c) Karl und Monika Forster

Vermutlich ist es auch das, was Billy, der mit fast kindlichem Enthusiasmus in den Krieg ziehen will so besonders und so beliebt macht – er ist für die Mannschaft eine nahbare Lichtfigur. Ihm entgegen steht der so düstere Schiffsprofoss, der in seiner großen Arie im ersten Akt die Zerstörung des Guten und Schönen ankündigt. Dieses vermeintlich sehr einfache Schema von Gutem gegen das Böse bedient die Regie hervorragend. Durch exzellente Personenführung, hochatmosphärische Bilder und optische Reduktion verdichtet sich die Handlung zum Thriller. Aber nicht nur im Kleinen, auch in den großen Massenszenen, denn diese Oper ist eine echte Choroper, überzeugt die Inszenierung durch Lebendigkeit und starke Bilder. Der Zuschauer ist zutiefst gefesselt und begibt sich mit den Protagonisten auf eine tiefgehende emotionale Achterbahnfahrt. Besser kann man es kaum machen.

(c) Karl und Monika Forster

Musikalisch ist der Abend wirklich beachtlich. Star des Abends ist der von Alexander Eberle einstudierte Chor, der seinen riesigen Part in allen Facetten perfekt meistert. Egal ob in lockerer Shanti-Manier oder dramatisch, egal ob als Klang aus der Ferne oder im lebendigen Spiel – was die Herren des Opernchores, die durch einen Projektchor unterstützt werden, leisten ist grandios. Aber auch die Solisten können sich durch die Bank weg hören lassen. Besonderen Jubel erhält Michael Tews als John Claggart. Mit einem schier unendlich tief dröhnenden Bass lässt er Hass und Verzweiflung seiner Figur lodern. Dominik Köninger in der Titelpartie des Billy geht mit jugendlicher Leichtigkeit in die Partie und überzeugt gleichermaßen stimmlich wie szenisch. Martin Homrich spielt als Kapitän Edward Fairfax Vere die Ambivalenz seiner Figur, zwischen Intellektuellem und Militär einfühlsam aus. Die innere Zerrissenheit, ob er am Ende Billy zu Unrecht zu Tode verurteilt hat und damit die Frage nach dem wirklich bösen und guten in seiner Mannschaft, geht wahrhaft zu Herzen.

(c) Karl und Monika Forster

In den kleineren Partien überzeugen ganz besonders Piotr Prochera als Mr. Redburn, Joachim G. Maaß als Dansker und Khanyiso Gwenxane als Red Whiskers. Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen musiziert einen fein nuancierten Britten. Baumann weiß genau, wo er die Massen ins fortissimo treiben kann und wo er mit feiner Kammermusikalität arbeiten muss. Im Graben spielt man sauber und kraftvoll auf, bringt die Partitur mit all ihren Modernismen zu leuchten und greift mit Schwung und Freude beherzt zu, wenn der Seemann sein Garn spinnt.

Billy Budd ist ein rundum gelungener Opernabend, der spannend und hochmusikalisch daherkommt. Dieses Werk ist leider viel zu selten zu sehen und gerade deshalb kann man die Leistung des Gelsenkirchener Hauses nicht hoch genug loben. Diese Produktion ist dringend empfohlen und lohnt einen Ausflug ins Ruhrgebiet.

Sebastian Jacobs, 26. März 2023


Billy Budd

Benjamin Britten

Besuchte Premiere: 25. März 2023

Musiktheater im Revier

Inszenierung: Michael Schulz

Chorleitung: Alexander Eberle

Musikalische Leitung: Rasmus Baumann

Neue Philharmonie Westfalen