Gelsenkirchen: „Curlew River“, Benjamin Britten

Premiere 27. August 2021

Unter der Intendanz von Michael Schulz hat sich das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zum führenden NRW-Haus entwickelt, wenn es um die Werke von Benjamin Britten geht. Elisabeth Stöppler inszenierte hier eine „Trilogie der Außenseiter“, die aus „Peter Grimes“, „Gloriana“ und dem „War Requiem“ bestand. Später folgten von anderen Regisseuren „The Turn of the Screw“, „Ein Sommernachtstraum“ und „Albert Herring“. Mit der Kirchenoper „Curlew River“ ist nun eines der ganz selten gespielten Britten-Werke in der Gelsenkirchener St. Georgs-Kirche zu sehen.

Der Komponist ließ sich bei dem 1964 uraufgeführten Stück von einem japanischen No-Spiel, das von einer verrückten Frau handelt, die nach ihrem von einem Sklavenhändler entführten Sohn sucht, inspirieren. Wie im No-Theater üblich wird die eigentliche Geschichte aber weitgehend nur erzählt. Vom Fährmann am Curlew Fluss erfährt die Frau, dass ihr Sohn ermordet wurde und sein Grab jetzt als das eines wundertätigen Märtyrers verehrt wird. Britten macht aus dem No-Spiel eine christliche Legende und am Ende findet sogar die trauernde Mutter Trost, als sie die Stimme ihres toten Sohnes hört.

Alle Rollen werden von Männern verkörpert, auch das ist eine Besonderheit des No-Theaters: Adam Temple-Smith singt die verrückte Frau mit viel Gefühl und zeigt eine eindringliche Charakterstudie, die nie zur Karikatur wird. Den Fährmann gestaltet Petro Ostapenko mit vollem und geschmeidigem Bariton. Mit sonorem Bass umrahmt Michael Heine als Abt das Geschehen, und Urban Malmberg bietet in der Partie des Reisenden ein kurzes aber starkes Rollenporträt. Das Kammerensemble aus den Reihen der Neuen Philharmonie Westfalen, das von Peter Kattermann geleitet wird, klingt farbenreich und spannungsvoll. Flöte, Schlagwerk und Orgel verströmen ein asiatisches Kolorit, das Horn vollbringt virtuose Fanfaren. Viola und Bass steuern dunkle Streicherfarben bei. So stilsicher und originell Britten diese Geschichte auch vertont, so führt der reine Erzählduktus des 75-minütigen Stückes doch gelegentlich zu einem Nachlassen der Spannung. Hätte die Aufführung eine Viertelstunde weniger gedauert, wäre sie wahrscheinlich noch wesentlich intensiver gewesen.

Regisseur und Bühnenbildner Carsten Kirchmeier bringt eine ebenso sparsame wie konzentrierte Aufführung auf die Bühne, die gut zum Stück passt. Zum Beginn der Vorstellung zieht der Männerchor in Mönchskutten durch die Seitenschiffe singend bis in den Altarraum und positioniert sich dort im Hintergrund. Die vier Solisten agieren vor dem Altar der Kirche, die Personenführung beschränkt sich auf wenige Bewegungen und wirkt wie Erinnerungsritual zu Ehren des ermordeten Kindes.

Der Raum ist zwar sparsam gestaltet, doch die von Patrick Fuchs geschickt ausgeleuchtete Kirche ist mit ihren Kirchenfenstern und der Kuppel über dem Altarraum an sich schon ein sehr schönes Bühnenbild, das an Wagners Gralstempel im „Parsifal“ erinnert. Britten-Fans und Raritätenjägern sei diese Aufführung ans Herz gelegt.

Rudolf Hermes 30.9.2021