Obwohl Der Mann von La Mancha am Broadway mehr als 2.300 Aufführungen en-suite erlebte, blieb ihm hierzulande der ganz große Erfolg versagt, trotz einer recht bekannten Verfilmung mit Peter O’Toole und Sophia Loren in den Hauptrollen. Zugegeben, die Uraufführung am 22. November 1965 im New Yorker Anta Washington Square Theater liegt inzwischen schon einige Jahrzehnte zurück. Kurz darauf, am 4. Januar 1968, fand im historischen Theater an der Wien bereits die deutschsprachige Erstaufführung in der Fassung von Robert Gilbert statt, die seit letzter Woche auch im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zu sehen ist. In den letzten Jahren ist es um dieses Musical allerdings recht ruhig geworden. Zwar schaffte es das Werk immer mal wieder auf den einen oder anderen Spielplan, doch blieb es irgendwie eine versteckte Perle, die man eben nicht so oft findet. Neben Gelsenkirchen ist Der Mann von La Mancha derzeit nur noch am Theater für Niedersachsen zu sehen, das der Figur des Don Quixote in der aktuellen Spielzeit neben dem Musical auch eine Oper und ein Schauspiel gewidmet hat. Dass die Premieren in Hildesheim und Gelsenkirchen zeitgleich am 29. März 2025 um 19 Uhr stattfanden, scheint allerdings Zufall zu sein.

Zur Handlung nur ein paar kurze Worte: Der Dichter und Schauspieler Cervantes und sein Assistent werden verhaftet, weil sie in einem Kloster Steuern eintreiben wollten. Sie sind der Meinung, dass die Gesetze für alle Menschen gleich sein sollten. Die Mitgefangenen beschuldigen ihn daher, ein Idealist und außerdem wohl auch ein schlechter Dichter zu sein, und stellen ihn vor ein Scheingericht. Die Verhandlung findet in Form eines Theaterstücks statt, in dem Cervantes in die Rolle des von ihm erdachten Don Quijote schlüpft. Sein Knappe Sancho steht ihm zur Seite, als er auf der Suche nach dem großen Zauberer unter anderem gegen Windmühlen kämpft. Später lernt er in einer heruntergekommenen Taverne die Magd Aldonza kennen, die ihren Körper für Geld anbietet, in der Don Quijote aber die Edeldame Dulcinea erkennt. Während viele in Cervantes nur einen geisteskranken Spinner sehen, setzt dieser seinen Kampf gegen die Ungerechtigkeit in der Welt trotz aller widrigen Umstände fort. Er glaubt weiterhin an seinen „unmöglichen Traum“ und weigert sich bewusst, die Welt so hinzunehmen, wie sie ist, anstatt sie so zu sehen, wie sie sein sollte. Am Ende überzeugt er die anfangs noch skeptischen Mitgefangenen, bevor er zu seinem eigentlichen Prozess gerufen wird.

Da die Geschichte heute vielleicht aktueller denn je ist und manches, was heute in der Welt geschieht, mit gesundem Menschenverstand kaum noch nachvollziehbar erscheint, muss an der Handlung kaum etwas geändert werden. Ursprünglich in einem spanischen Kerker um 1600 angesiedelt, verlegt Regisseur Carsten Kirchmeier die Geschichte mehr oder weniger in eine vielleicht sogar zeitlose Gegenwart. Dafür hat Bühnenbildnerin Katrin Hieronimus ein Gefängnis als Einheitsbühnenbild geschaffen, das teilweise geschickt mit einem Vorhang verdeckt werden kann. Die Kostüme von Katharina Beth bestehen überwiegend aus beigefarbenen Gefängnisanzügen, dazu tragen die Gefangenen weiße T-Shirts und Turnschuhe, szenenweise ergänzt durch graue Kapuzenpullover. Beides verdeutlicht anschaulich die triste Realität, die so in einem direktem Kontrast zur Traumwelt des Hauptprotagonisten steht. Für das Schauspiel im Gefängnis werden einfache Requisiten verwendet: Ein Topf wird zum Helm, ein Wischmopp zur Lanze, ein Spazierstock zum Schwert und eine lange Unterhose zur Stola des Priesters. Wenn dann auch noch ein schmutziger Putzlappen zum edlen Seidentuch wird, was von den Mitgefangenen mit deutlicher Mimik begleitet wird, blitzt auch immer wieder mal eine kleine Portion Humor in der Inszenierung auf. Um die willkürliche Gewalt der Machthaber zu verdeutlichen, fügt Kirchmeier zudem eine Szene ein, in der einige Statisten als Gefängniswärter scheinbar grundlos und wahllos auf die Gefangenen einprügeln. Dieses Bild hat eine starke Wirkung und ist darüber hinaus auch mehr oder weniger die einzige größere Abweichung vom ursprünglichen Libretto.

Eine große Stärke des Stückes ist vor allem auch die wunderbare Musik von Mitch Leigh, die immer wieder von spanischer Folklore durchzogen ist. So ist es gleich zu Beginn des Abends eine große Freude, dass Kirchmeier darauf verzichtet, die Ouvertüre zu bebildern. Eine der vielleicht schönsten Ouvertüren der Musicalgeschichte erklingt mit voller Wucht vor schwarzem Vorhang aus dem Orchestergraben, aus dem die Neue Philharmonie Westfalen unter der musikalischen Leitung von Mateo Peñaloza Cecconi für rund zwei Stunden (gespielt wird ohne Pause) für einen musikalischen Hochgenuss sorgt. Auch Philipp Kranjc, seit der Spielzeit 2021/22 festes Ensemblemitglied des MiR, ist als Cervantes alias Don Quijote eine wahre Freude. Mit seinem ebenso kraftvollen wie gefühlvollen Bassbariton meistert er die großen Hits Der unmögliche Traum und Der Mann von La Mancha mit Bravour. Dabei verleiht er der Rolle eine unglaubliche schauspielerische Präsenz, dass es eine wahre Freude ist im zuzusehen. Vor allem die Tatsache, dass er sich kurz vor der Premiere eine Rippe gebrochen hat und trotzdem eine solche Leistung auf die Bühne bringt, verlangt höchsten Respekt. Wie Regisseur Carsten Kirchmeier vor der Aufführung betonte, wurde Kranjcs Einsatz von ärztlicher Seite abgesegnet, die Inszenierung aber in den Kampfszenen etwas entschärft, was ohne Erwähnung wohl niemandem groß aufgefallen wäre. Als Assistent Sancho überzeugt Benjamin Lee mit klarem Tenor, vor allem in seinem großen Solo Ich mag ihn, in dem er erklärt, warum er trotz Don Quijotes Eigenarten an dessen Seite steht. Für die Rolle der Aldonza/Dulcinea konnte mit Elisabeth Hübert eine Gastsolistin verpflichtet werden, die einem breiteren Publikum vielleicht noch durch den Gewinn der Fernsehshow Ich Tarzan, du Jane! bekannt ist, durch den sie die Hauptrolle der Jane in der deutschen Erstaufführung von Disneys Tarzan erhielt. Mit ihrem klaren Mezzosopran überzeugt sie vor allem in den eher lyrischen Liedern der Dulcinea und sorgt im großen Finale noch einmal für einen besonderen Moment, wo sie dem sterbenden Don Quixote aufzeigt, was er mit seinem unermüdlichen Glauben an das Gute im Menschen bewirkt hat. Auch die weiteren neun Rollen sind treffend besetzt, so dass das Ensemble hier auf ganzer Linie überzeugen kann.

Musikalisch ist Der Mann von La Mancha ein echtes Highlight, das in Gelsenkirchen in einer werkgetreuen Inszenierung zu erleben ist. Sie lässt das Stück gekonnt zeitlos erscheinen und bringt die nach wie vor aktuelle Geschichte unterhaltsam und nachdenklich zugleich auf die Bühne.
Markus Lamers, 6. April 2025
Der Mann von La Mancha
Musical von Dale Wasserman (Buch) und Mitch Leigh (Musik)
Deutsch von Robert Gilbert
Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen
Premiere: 29. März 2025
besuchte Vorstellung: 5. April 2025
Inszenierung: Carsten Kirchmeier
Musikalische Leitung: Mateo Peñaloza Cecconi
Neue Philharmonie Westfalen
Weitere Aufführungen: 13. April, 8. Mai, 10. Mai, 25. Mai, 1. Juni, 18. Juni, 20. Juni, 5. Juli, 12. Juli