Gelsenkirchen: „Die Macht des Schicksals“, Giuseppe Verdi

Premiere am 22.02.2020

Eine schicksalhafte Oper ganz neu erlebt

Dass die Inszenierung von Generalintendant Michael Schultz von „La forza des destino“, Verdi, überraschen würde, kündigt sich bereits im Foyer des MIR an, wenn vor Aufführungsbeginn eine Marienprozession mit Gebeten und Gesängen zwischen den auf Einlass wartenden Zuschauern hindurch zieht.

Musikalisch gehört das Stück mit zu dem Schönsten, was Verdi komponiert hat, aber inhaltlich hat diese Literaturoper sehr mit den Unzulänglichkeiten der Vorlage zu kämpfen. Sowohl Verdi selbst, als auch spätere Regisseure, haben immer wieder verschiedene Kürzungen und Umstellungen vorgenommen, um die verschiedenen Handlungsstränge zu verdeutlichen. Somit entspricht es alter Tradition, an dieser Stelle Neues zu wagen, und Michael Schultz und Giuliano Betta (musikalische Leitung) nehmen diese Herausforderung an.

Die Prozession erreicht die Bühne, Petra Schmidt, in der Rolle der Donna Leonore di Vergas, die auch die Maria verkörpert, wird ein flammendes Herz in die Hände gelegt, dass anschließend, unter großen Schmerzen Marias, sieben mal mit Dolchen durchbort wird. Für die Gottesmutter bedeutet Lieben Leiden. Für Leonore wird es nicht anders sein.

Der erste Akt nimmt den bekannten Verlauf, wobei es Preziosilla (Khatuna Mikaberizde, die die Partie für Almuth Herbst übernimmt) ist, die als schwarz gewandete Schicksalsgöttin die Bühne betritt und Don Alvaro (Timothy Richards) die unglückselige Waffe reicht. Im weiteren Verlauf des Stückes wird Preziosilla immer mehr die Züge einer „La Catrina“, der mächtigen Göttin des Todes, annehmen.

Erst nachdem sich der tragische Schuss aus der zu Boden fallenden Waffe gelöst und die Brust des Marchese die Calatrava (Luciano Batiníc) durchbohrt hat, findet Giuliano Betta die Zeit, die großartige Ouvertüre des Stückes zu präsentieren.

Die Partie des Marchese, eigentlich eine „Schnurzrolle“, die nur aus wenigen Gesangszeilen besteht, ist für die Dramaturgie der Stückes von entscheidender Bedeutung. Nur wenn die Partie von einem der besten Sänger des Stimmfachs übernommen wird, wird aus dessen Stimmgewalt seine Bedeutung und die Liebe seiner Tochter erlebbar.

Dumm nur, dass er nach wenigen Takten sein Leben verliert. Zu den Klängen der verspäteten Ouvertüre betreten Mönche die Bühne und legen dem Toten das Gewandt Padre Guardianos an. Wie Leonore bei ihrem Vater Schutz fand, wird sie es zukünftig bei seinem alter ego, dem alten, weisen Mönch suchen.

Das Gelsenkirchener Konzept löst die Struktur der beiden nächsten Akte auf und verschränkt die Schicksalswege von Leonora, Don Alvaro und Don Carlo (Bastiaan Everink). Der Fokus der Inszenierung richtet sich auf die Protagonisten und es entstehen neue Szenen mit Musik von Giuseppe Verdi und Claudio Monteverdi. So wie Liebe eine Form des Leidens ist, ist der wahre Glaube nur in der Selbstaufgabe bis hin zum Tode lebbar, wie uns exemplarisch durch die gekreuzigten Pilger vor Augen geführt wird. Ach Leonore wird diesen Weg gehen, ihre Einkleidung für die Klausur findet mittels eines weißen Leichentuches statt.

Die Bühne ist äußerst schlicht gehalten. Zwölf Tische, drei Stühle. Der Chor sitzt auf einer Tribüne im Bühnenhintergrund. Die Kostüme der Protagonisten sind zeitlos einfach. Bei einer durchdachten Lichtregie, großartigen Sängern und einer kongenialen musikalischen Begleitung reicht das vollkommen aus, Bilder und Stimmungen von größter emotionaler Kraft zu schaffen.

Weit über die musikalische Spannung des Werkes selbst geht dieses „Schicksals-Projekt“, wenn nach dem bekannten „Rataplan“ das „Dies Ira“ aus Verdis Requiem erschallt, und unter Blitzen, apokalyptischen Posaunen und flammenden Schwertern das Weltende durch einen über die Tische schreitenden Totentanz illustriert wird. Kinder, als schwer bewaffnete Soldaten ausstaffiert, erscheinen auf der Bühne und richten die Gewehre erst auf das Publikum, bevor sie das Unheil auf die Bühne tragen. Emotionsgeladene Bilder, die teils schwer zu ertragen sind.

Am unglückseligen Ende des Stückes ist des nach Schulz`s Lesart keiner der drei zentralen Personen, die ihr Handeln aktiv steuern, sondern immer wieder der schicksalshafte Zufall, der den weiteren Verlauf der Handlung bestimmt. Niemand ist hier Täter; alle Beteiligten sind Opfer. Während Leonora und Carlos den Tod finden, versinkt Alvaro im Gram.

Reichlich Szenenapplaus, Standing Ovations, anhaltender Jubel und nicht Enden wollender Applaus für Gesang und Musik. Beim Auftritt des Produktionsteams entlädt sich ein Stimmungsorkan, wie ich ihn bisher noch nicht erlebt habe. Tausend Buh-Rufe und tausend Bravos mischen sich in einen Sturm der Emotionen, der sich kaum zu beruhigen weiß. Nicht jedem hat diese Produktion gefallen, aber kalt gelassen scheint sie niemanden zu haben.

Eine lohnenswerte Erfahrung.

Ingo Hamacher, 23.2.2020

Bilder (c) Forsters

Weitere Termine:

27.02., 01.03., 06.03., 14.03., 21.03., 29.03., 05.04. (15:00), 18.04. 25.04.2020