Das Musiktheater im Revier ist unter Opernkennern längst kein Geheimtipp mehr und beindruckte allein in der vergangenen Spielzeit mit bemerkenswerten Produktionen selten zu sehender Stücke das Publikum. Nun eröffnet man mit etwas Populärem, mit Richard Strauss‘ „Salome“ und begeistert auf Seiten der Regie und der Musik gleichermaßen.
Dieser Abend atmet eine bezwingende Düsternis, der sich Regisseur Manuel Schmitt und Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann angenommen haben. Wir befinden uns im scheinbar nicht genutzten Saal eines Palastes, alles ist schwarz, ein kleines bühnenartiges Podest, rechts ein Kabinett, aus dem immer wieder die Perversionen der Agierenden beobachtet werden können und auf der Bühne merkwürdige Kugeln. Die Szene bestimmend ist aber eine runde Fläche, den Mond anmutend in der Rückwand der Bühne. Dieser Ort kommt ohne Farbe aus, alles ist schwarz, blass, freudlos und kalt. Das sehr stimmige Kostümbild von Carola Volles unterstreicht diese Anmutung hervorragend und legt kleine Links in verschiedene Epochen, zeigt verhaltene Erotik, Macht und lässt den Tetrarchen und sein Weib in prächtigen Roben erscheinen.
Die Atmosphäre ist giftig. Salome betritt wie das gejagte Reh die Szene während bis dahin alles von Männern, teils mit Waffen, dominiert war. In dieser Gesellschaft kann es weder freudvolle Lust noch Liebe geben. Es gibt Gewalt und erzwungene Lust. Im Schleiertanz soll später auch zu sehen sein, was es wirklich heißt, wenn Herodes seine Salome tanzen lässt. Diese Salome ist getrieben, man glaubt, sie wolle fliehen und kann es nicht. So gerät gerade die erste Szene mit Jochanaan ausgesprochen interessant, denn dieser Prophet ist nicht nur der Gefangene, er ist wirklich etwas anderes, etwas auch für den Zuschauer Fremdes. Einem Außerirdischen gleich, wird er in einem Käfig gefangen gehalten und ist eher fremdes Wesen als Mensch. Ein raffiniertes Kostüm lässt Hände erscheinen, die sich neugierig nach Salome strecken, jedoch ohne sie zu berühren. Eine für die Frau vermutlich ungewohnte Erfahrung. Dieser Jochanaan kommt nicht aus der Bibel, sondern erinnert an eine Figur aus dem Science-Fiction Genre, der hochenergetisch zu sein scheint, sich mal wie Tier, mal wie Superheld auf der Bühne bewegt und für Salome eine ganz andere Form von Wesen ist und sie es so begehren lässt.
(Denn das muss man dieser Salome lassen. Sie ist nicht nur das rachsüchtige, perverse Biest. Sie ist in höchstem Maße unsicher. Sie ist in einer Ordnung gefangen, in der sie nichts zu melden hat. Freundlichkeit, Nähe und Zuneigung kennt sie nicht und sie kämpft immer wieder mit sich selbst, scheint zu erkennen, wie widerlich ihre Forderungen sind, führt einen permanenten Kampf zwischen Stärke und Schwäche, zwischen Wollen und Müssen. Dabei geht es der Regie nicht nur um eine rein feministische Sicht, die das Werk in eine pure Opfer-Täter Deutung inszeniert, es geht hier wirklich um ein menschliches Schicksal und das gerät – nicht zuletzt durch die zutiefst berührende und plastische Darstellung der Titelfigur durch Susanne Serfling – exzellent. Serfling reizt mit einer absolut tiefgehenden Personenregie alles aus, was diese Salome so erschütternd macht, und weiß das auch in ihrer perfekt klingenden Stimme umzusetzen. Dramatisch schraubt sie sich in die Höhen, scheut auch das Schroffe, das Harte nicht um nur kurz später wieder in schwelgerischer Lyrik aufzutrumpfen. Ein in jeglicher Hinsicht beeindruckendes Rollenportät.
Die weiteren Hauptrollen sind aber nicht minder hervorragend besetzt. Martin Homrich gibt einen im besten Sinne widerlichen Tetrarchen, der szenisch alles gibt und dabei mit kraftvollem, für die Partie beinahe schon zu kultiviertem Tenor einen absolut überzeugenden Herodes interpretiert. Benedict Nelson singt einen wohlklingenden Jochanaan, der – anders als sonst in dieser Oper vorkommend – wenig salbungsvoll und prophetisch ist, dafür aber sehr wohl etwas Fremdes, faszinierendes hat und dies mit einer Frische in der Stimme zu unterstreichen weiß. Almuth Herbst gibt eine giftig keifende Herodias und überzeugt ebenfalls. In den durch die Bank weg hervorragend singenden und agierenden kleineren Partien fallen besonders Kahnyiso Gwexane als Narraboth und Yevhen Rakhmanin als erster Soldat auf. Die beiden jungen Sänger setzen mit ihren bemerkenswerten Stimmen kleine, feine Akzente in der musikalischen Qualität des Abends.
Die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann trumpft in dieser Produktion auf. Baumann wählt zügige Tempi, lässt das Orchester laut, wild und im positiven Sinne ungezügelt musizieren. Die Holzbläser gehen frech und forsch an die Orientalismen der Musik, das Blech setzt ätzende Akzente und traut sich alle Wucht der Partitur auszuspielen. Dabei werden an wenigen Stellen die Grenzen zur Hörbarkeit der Sänger auf der Bühne berührt, aber nie überschritten. Baumann greift beherzt zu und nimmt all die Schroffheit, aber auch all das Lyrische und Fließende dankbar an und zaubert einen exzellent musizierten Strauss im Gelsenkirchener Graben.
Die Salome am Musiktheater im Revier ist eine beeindruckende und packende Produktion, die szenisch, wie musikalisch komplett zu überzeugen vermag und wieder Mal ein Plädoyer für die hohe Qualität der in diesem Haus gezeigten Abende ist
Sebastian Jacobs, 29. September 2023
Salome
Oper von Richard Strauss
Musiktheater im Revier
Gelsenkirchen
Premiere: 23. September 2023
Besuchte Vorstellung: 28. September 2023
Inszenierung: Manuel Schmitt
Musikalische Leitung: Rasmus Baumann
Neue Philharmonie Westphalen