Interview: Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Staatstheaters Wiesbaden (Teil 1)

Seine Intendanz in Köln endete mit großem Theaterdonner in einem Zerwürfnis. 2014 dann heuerte Uwe Eric Laufenberg in Wiesbaden an. Man war gespannt, wie der Feuerkopf mit den Beharrungskräften in der betulichen Kurstadt zurechtkommen würde. Nach drei Spielzeiten kann man sagen: überraschend gut. Durch das vom Land Hessen und der Stadt Wiesbaden gemeinsam getragene Theater weht ein frischer Wind. Das hat die politisch Verantwortlichen offenbar sehr schnell überzeugt, so daß Laufenbergs Vertrag frühzeitig bis zum Jahr 2024 verlängert wurde.

Unser Chefredakteur Michael Demel traf den Intendanten zu einem ausführlichen Interview. Der OPERNFREUND dokumentiert das Gespräch in zwei Teilen.

Uwe Eric Laufenberg / (c) Lena Obst

In Wiesbaden angekommen

OPERNFREUND: Sie sind im Herbst 2014 als Intendant nach Wiesbaden gekommen und haben zwei Jahre später bereits Ihren Vertrag bis 2024 verlängert. Warum waren Sie sich also sehr schnell sehr sicher, daß Sie in Wiesbaden bleiben wollen?

Laufenberg: Mir haben die politisch Verantwortlichen, die damalige Ministerin Kühne-Hörmann und der damalige Oberbürgermeister Müller, gleich zu Beginn versichert, daß ich so etwas wie damals in Köln hier nicht erleben würde. Das Land trägt 52 Prozent unseres Etats, die Stadt 48 Prozent. Die Finanzen seien gesichert und politisch abgestützt. Es gab dann zwar doch bei der Stadt Diskussionen über den Etat, weil sich im städtischen Haushalt ein Finanzierungsloch aufgetan hatte. Aber die Gespräche, die daraufhin geführt wurden, waren sehr fruchtbar. Die verantwortlichen Kommunalpolitiker haben bekräftigt, daß sie den Wert eines Staatstheaters für ihre Stadt als sehr hoch einschätzen und sie zu ihren Verpflichtungen stehen wollen. Hinterher hat sich herausgestellt, daß das Haushaltsloch gar nicht so groß war. Gerade aber die Gespräche mit den Verantwortlichen in der Stadt haben mir das Gefühl vermittelt, daß ich hier angekommen bin. Es ist schnell eine Vertrauensbasis geschaffen worden. Dadurch fühle ich mich natürlich auch in besonderem Maße verantwortlich für den Theaterstandort Wiesbaden. Als dann der zuständige Theaterreferent am Ministerium schon nach zwei Jahren vorgeschlagen hat, meinen Vertrag bis 2024 zu verlängern, bin ich gerne auf dieses Angebot eingegangen.

OF: Sie hatten also nicht das Gefühl, von der Millionenstadt Köln mit dem renommierten Gürzenich-Orchester nun in die Provinz abgestiegen zu sein? Die Opernproduktionen in Köln werden überregional wahrgenommen, in Wiesbaden bleibt es bei regionaler Resonanz.

L: Bei meinem Engagement in Köln ging es mir nicht um Renommee. Bis dahin hatte ich Leitungserfahrung vor allem im Schauspielbereich. Oper hatte bis dahin nur den Status von einem meiner allerliebsten Hobbys. Ich bin Kölner, habe meine ersten Opernaufführungen als Jugendlicher in Köln erlebt und bin dem Haus emotional sehr verbunden. Ich habe dort die großen Regisseure erlebt, Ponnelle etwa, Kupfer mit Janacek, habe in Wagners Ring noch Birgit Nilsson und Theo Adam erleben dürfen. Die Aufführungen dort haben mich stark geprägt. Als das Angebot von Köln kam, war die Oper in einem schlechten Zustand. Das galt für das Gebäude, aber auch für den gesamten Betrieb. Damals sind ganze Premieren ausgefallen. Als dann die Anfrage kam, ob ich mithelfen wolle bei dem Versuch, der Oper Köln wieder etwas von ihrem alten Glanz zurückzugeben, konnte ich nicht ablehnen. Wir haben es ja dann auch schneller, als ich gedacht hatte, geschafft, das Publikum wieder ans Haus zu binden. Ich habe mich erst dadurch vom Schauspiel gelöst und meinen Schwerpunkt auf die Opernarbeit verlegt.

Es gibt ja übrigens viele Schauspielregisseure, die auch Oper machen, aber wenige Opernregisseure, die auch am Sprechtheater inszenieren.

OF: Man hat den Eindruck, wer einmal vom Schauspiel zur Opernregie gewechselt ist, kehrt nicht mehr zurück.

L: Das kann gut sein. August Everding hat mir einmal zu Beginn meiner Laufbahn gesagt: Wenn Sie Schauspiel können, dann machen Sie zuerst Schauspiel. Die Oper kommt von ganz alleine. So war es ja dann auch.

OF: Hier in Wiesbaden ist der Anteil jetzt wieder fifty-fifty?

L: Ja. Es ist mir eine sehr große Freude, daß ich in Wiesbaden wieder Schauspiel machen kann. Es war auch einer der Gründe, warum ich gerne hierhergekommen bin. Man kann am Sprechtheater viel schneller auch Tagesaktuelles aufgreifen und man ist in den Stoffen breiter aufgestellt. In der Oper haben wir mit der jüngsten Uraufführung „Schönerland“ auch versucht, ein brennendes Thema unserer Gegenwart aufzugreifen. Das ist uns nach meinem Eindruck gut gelungen. An diesem Beispiel sieht man aber die Schwierigkeit der Oper, auf aktuelle Ereignisse einzugehen. Wir hatten bei „Schönerland“ einen Vorlauf von vier Jahren. Der Anlaß waren die Zustände der Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa. Damals war die gesamte Flüchtlingsproblematik allenfalls eine Randnotiz in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber im Laufe des Produktionsprozesses spitzte sich die Dramatik dessen zu bis hin zum Eindruck im Jahr 2015, wir würden geradezu von diesem Thema überrollt. Wir hatten zwischenzeitlich die Befürchtung, daß der Stoff so gewaltige Dimensionen annimmt, daß wir sie mit einer Oper nicht mehr adäquat einfassen können. Wir waren schon drauf und dran, uns ein anderes Thema zu suchen. Das Libretto hat den Produktionsprozeß, wie ich meine, gut aufgenommen und durch Schaffung einer zweiten Ebene, in der ein fiktives Produktionsteam auftritt, thematisiert.

OF: In dem Stück gibt es die Rolle des „Intendanten“, der gar nicht gut wegkommt. Damit sind aber nicht Sie gemeint?

L (lacht): Sagen wir so: Das Produktionsteam meinte, daß der Intendant, der unbedingt eine moderne Oper machen will, in dem Stück auch vorkommen muß. Es hat natürlich immer etwas rührend Lächerliches, wenn man in der Oper „aktuell“ sein will. Oper ist per se nicht „aktuell“. Man kann aber interessante Stoffe mit aktueller Brisanz suchen. Das ist ein Unterschied. Verdi hat das ja immer versucht, Stoffe zu finden, die ungewöhnlich sind, etwas, was die Leute aufweckt, vielleicht sogar skandalös ist. Damit hatte er großen Erfolg. Solche Erfolge kann man aber nicht planen. Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß uns mit „Schönerland“ eine solche zeitgemäße Oper gelungen ist. Auf diesem Weg wollen wir weitermachen, ohne das Kernrepertoire zu vernachlässigen.

Neue Wege mit einem konservativen Publikum

OF: Gerade im Hinblick auf das Kernrepertoire gab es ja zu Beginn Ihrer Amtszeit große Unruhe. Sie haben einige Lieblingsproduktionen des Publikums durch Neuinszenierungen ersetzt, etwa die „Bohème“ und „Hänsel und Gretel“. Die beliebte „Traviata“ haben Sie dann auch noch ersetzt. Haben Sie sich damit nicht unnötigen Ärger gemacht? Die Produktionen hätten noch ewig laufen können und wären immer vor ausverkauftem Haus gespielt worden.

Das alte Ensemble ist aufgelöst worden. Gerade das Wiesbadener Publikum hatte da zu einzelnen Sängern eine große emotionale Bindung aufgebaut. War dieser vielfach als radikal erlebte Schnitt nötig?

L: Das ist überall so, wenn eine Intendanz zuvor lange gedauert hat. Mein Vorgänger war zwölf Jahre im Amt und hat nach meinem Eindruck vieles einfach laufen lassen. Ich hatte mir einige Vorstellungen angesehen und war zur Überzeugung gelangt, daß an vielen Stellen Handlungsbedarf besteht. Es ist aber nicht wahr, daß wir das Ensemble aufgelöst haben. Wir haben es vielmehr erneuert.

OF: Gibt es in Wiesbaden tatsächlich noch ein Ensemble? Auf Ihrer Homepage und auch im Spielplanheft ist nämlich keines ausgewiesen.

L: Natürlich gibt es ein Ensemble! Ich habe allerdings noch nie die Mitglieder des Ensembles extra ausgewiesen, auch in Köln nicht. Ich wüßte nicht, wozu das gut sein sollte. Wir haben alle Arten von Verträgen bei uns: Es gibt die Fest-Engagierten, die aber nicht wie Sklaven gehalten werden und unbesehen alles singen müßten. Die dürfen und sollen Raum zum Gastieren haben. Das ist bei verantwortungsvollen Opernhäusern inzwischen guter Standard. Die Deutsche Oper Berlin macht das beispielsweise auch so. Das gibt uns dann wieder die Möglichkeit, mit Stammsängern anderer Häuser kontinuierliche Zusammenarbeit zu pflegen. Nehmen Sie etwa Thomas Blondelle, der zum Ensemble der Deutschen Oper Berlin gehört und der bei uns regelmäßig in wichtigen Produktionen auftritt. Wir haben andere Sänger, die bei uns an 15 Abenden auftreten, die aber keinen klassischen Ensemblevertrag wollen. Das ist immer eine Frage, womit sich ein Künstler am wohlsten fühlt.

OF: Immerhin können Sie sich regelmäßige Engagements von Andreas Schager und Catherine Foster leisten …

L: Schager und Foster kenne ich seit vielen Jahren. Die Zusammenarbeit hat zu Zeiten begonnen, als beide noch nahezu unbekannt waren. Gerade bei Schager haben wir davon profitiert, daß wir bereits vor seinem großen Durchbruch die aktuellen Engagements festgemacht haben. Und da er ein sehr treuer Mensch ist, erfüllt er seine Verträge zu den Ursprungskonditionen. Andere große Namen können wir uns immerhin zu den Maifestspielen leisten.

OF: Hat sich der Sturm der Entrüstung über die radikalen Schnitte inzwischen gelegt? Welche Rückmeldungen bekommen Sie vom Publikum? Waren das Geburtswehen, die nun vorbei sind?

L: Die Reaktionen waren schon Wiesbaden-typisch. Man sagt ja nicht zu Unrecht, daß man in Wiesbaden an Dingen, die man für schön und altbewährt hält, gerne festhält. Ich nehme das sehr ernst. Man hat aber im Zuschauerraum inzwischen sehr wohl registriert, daß es mir ernsthaft um Qualität geht, daß ich insbesondere eine hohe musikalische Qualität anstrebe. Bei den Inszenierungen geht es mir nicht darum, gewissen Moden hinterherzulaufen oder sogenannte Entrümpelungen durchzuführen, sondern mit den Produktionsteams zu überlegen, wo der Kern eines Werkes am ehesten zu greifen ist. Auf diesem Weg geht das Publikum inzwischen sehr gut mit. Es gibt allerdings immer noch eine gewisse Scheu vor bislang hier selten gespielten Werken. Es gibt da bemerkenswerte Lücken etwa bei Janacek.

OF: Schmerzt es Sie, wie schlecht besucht etwa die „Katia Kabanova“ war, eine der bislang besten Produktionen Ihrer Intendanz?

L: Bei „Peter Grimes“ war es leider ähnlich. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

OF: Und trotzdem werden Sie in dieser Saison die „Katia Kabanova“ wiederaufnehmen und haben auch gleich ungewöhnlich viele Vorstellungen dafür angesetzt. Sie haben offenbar keine Scheu, notfalls vor einem leeren Haus zu spielen.

L: Während der „Ära Gielen“ an der Oper Frankfurt war ich am dortigen Schauspiel engagiert und habe den Mut von Gielen bewundert, wie er beispielsweise das Forsythe-Ballett durchgesetzt hat. Am Anfang waren bei den Ballettaufführungen vielleicht zwei Reihen besetzt. Es hat dann vier Jahre gedauert, und dann waren die Vorstellungen immer ausverkauft – bei der selben Art von Tanztheater.

OF: Nun hat Frankfurt auch ein anderes Publikum.

L: Das stimmt schon. Wenn wir aber wirklich an Qualität glauben, an Qualität festhalten und diese Qualität dauerhaft anbieten, dann bin ich überzeugt davon, daß diese Qualität sich durchsetzen wird. Das wird auch in Wiesbaden so sein. Erste Anzeichen dafür sehen wir bereits. „Peter Grimes“ war schon besser besucht als „Katia Kabanova“. Wenn wir uns sicher sind, daß es sich um hervorragende Produktionen handelt, wenn uns das unisono auch alle Kritiken bescheinigen, wenn der Teil des Publikums, der sich reingetraut hat, enthusiastischen Beifall spendet, dann wird sich das herumsprechen. Das ist nachhaltiger, als wenn wir verstaubte Inszenierungen anbieten, die schon seit 30 Jahren laufen und dabei Sänger über die Bühne jagen, die das besser nicht mehr singen sollten. Selbst wenn solche Aufführungen voll sein sollten, verliert man so auf Dauer sein Publikum.

Im Übrigen haben wir bereits jetzt im Großen Haus eine Auslastung von 87 Prozent. Dazu hat nicht zuletzt der „Ring“ beigetragen.

Teil 2 des Interviews: „Wir brauchen Stücke mit überraschender, heutiger Musik.“