Interview: Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Staatstheaters Wiesbaden (Teil 2)

Seine Intendanz in Köln endete mit großem Theaterdonner in einem Zerwürfnis. 2014 dann heuerte Uwe Eric Laufenberg in Wiesbaden an. Man war gespannt, wie der Feuerkopf mit den Beharrungskräften in der betulichen Kurstadt zurechtkommen würde. Nach drei Spielzeiten kann man sagen: überraschend gut. Durch das vom Land Hessen und der Stadt Wiesbaden gemeinsam getragene Theater weht ein frischer Wind. Das hat die politisch Verantwortlichen offenbar sehr schnell überzeugt, so daß Laufenbergs Vertrag frühzeitig bis zum Jahr 2024 verlängert wurde.

Unser Chefredakteur Michael Demel traf den Intendanten zu einem ausführlichen Interview. Der OPERNFREUND dokumentiert das Gespräch in zwei Teilen. Hier geht es zu Teil 1.

Spielplangestaltung: Dirigenten und Regisseure

OF: Wir hatten im OPERNFREUND zu Ihrem Spielplan für die Saison 2016/17 seinerzeit angemerkt, daß es Ihnen gelungen ist, das Dutzend der international meistgespielten Opern in einem einzigen Spielplan unterzubringen. Das dürfte der deutschlandweit risikoscheueste Spielplan gewesen sein. Es ist schon klar, daß sie damit die finanziellen Risiken der „Ring“-Produktion ausbalancieren wollten …

L: Es ging weniger um finanzielle Risiken als um die Probendisposition. Wenn man mit dem „Ring“ gleich mehrere überlange Opern in einer Spielzeit herausbringt, bedeutet das, man hat auch entsprechend lange Proben und dazwischen aus arbeitsrechtlichen Gründen Sperrtage. Dann muß man die übrigen Werke so auswählen, daß man sie mit erwartbar guter Auslastung häufiger spielen und damit den Spielplan zwischen den Ring-Aufführungen auffüllen kann. Da fällt die Wahl automatisch auf beim Publikum beliebte Opern. Das war allein dem „Ring“ geschuldet. Schon in dieser Spielzeit findet eine Repertoireerweiterung statt. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen.

OF: Man hat ohnehin den Eindruck, daß Sie in Ihrer Intendanz, die gerade einmal drei Jahre währt, den größten Teil des Kernrepertoires bereits erneuert haben. Es ist an alten Inszenierungen bloß noch übrig: „Die Hochzeit des Figaro“, „Tosca“ und „Der Fliegende Holländer“.

L: Und den „Figaro“ werden wir auch noch durch eine Neuproduktion ersetzen.

OF: Dann darf Konrad Junghänel seinen Mozart-Zyklus also noch um weitere Neuproduktionen erweitern?

L: Ja. „Idomeneo“ und „Titus“ werden als Doppelpack kommen. Wir belassen es aber bei den großen sieben Opern von Mozart. Geplant ist, den gesamten Mozart-Zyklus nach seiner Vollendung in einer einzigen Spielzeit zu präsentieren. Unser neuer Generalmusikdirektor Patrick Lange hat ja diese Konstellation vorgefunden, daß Mozart bei uns musikalisch exklusiv von Konrad Junghänel betreut wird. Er hat das akzeptiert. Wenn der Zyklus der sieben Opern vollendet ist, will Patrick Lange aber auch wieder Mozart dirigieren. Er hat zu Beginn der Spielzeit mit der „Zauberflöte für Kinder“ gezeigt, daß er mit zwei Orchesterproben ein völlig anderes Klangbild erzeugen kann. Das zeigt übrigens die Qualität unseres Orchesters, daß es derart unterschiedliche Interpretationsansätze auch nebeneinander hinbekommt.

OF: Ist mit der Berufung von Patrick Lange zum neuen Generalmusikdirektor ihr Wunschkandidat zum Zuge gekommen?

L: Uneingeschränkt ja.

(c) Lena Obst

OF: Nach dem Abgang von Zsolt Hamar schien es so, daß die Lücke bis zum Amtsantritt von Patrick Lange insbesondere von Konrad Junghänel gefüllt wurde. Neben seinem Mozart-Zyklus hat er ja auch Orchesterkonzerte übernommen und den Klang des Orchesters gerade im Hinblick auf historisch informierte Aufführungspraxis stark geprägt. Wird es neben Lange und nach Junghänel künftig eine weitere prägende Dirigentenpersönlichkeit geben? Etwa in Form eines „Ersten Gastdirigenten“?

L: Die Zusammenarbeit mit Konrad Junghänel geht wie gesagt weiter. Er wird also weiter prägenden Einfluß haben. Patrick Lange stellt sich in seiner ersten Spielzeit mit einem breit gefächerten Repertoire vor. Ob wir dann in kommenden Spielzeiten für einzelne Projekte bestimmte Gastdirigenten dazuholen oder sogar auf kontinuierliche Zusammenarbeit setzen, das muß sich noch finden. Wir hatten ja mit Jochen Rieder einen sehr interessanten Gastdirigenten für die „Manon“ engagiert. Das war eine Einladung, hinter der auch Patrick Lange stand, der ihn aus Zürich kannte. Ich werde auch künftig dem Generalmusikdirektor keine Gastdirigenten einfach vor die Nase setzen. Wir sind da intensiv im Gespräch. Ich kann schon verraten, daß wir eine Premiere mit dem scheidenden Darmstädter Generalmusikdirektor Will Humburg planen.

OF: Bei den Inszenierungen tauchen in Wiesbaden – Achim Freyer ausgenommen – die großen Regie-Namen nicht auf. Sie inszenieren selbst. Daneben gibt es junge Talente, die beachtliche Arbeiten abliefern, etwa zuletzt „Peter Grimes“ und „Katia Kabanova“.

L: Ich setze auch bei den Regisseuren auf bewährte Kräfte. Mit Bernd Mottl, Nicolas Brieger oder Ingo Kerkhof habe ich schon in Köln gut zusammengearbeitet, und das setzen wir jetzt in Wiesbaden fort. Die gehören zur „Kernmannschaft“. Über diese drei hinaus versuche ich, spannende neue Talente zu finden, die zum jeweiligen Projekt passen. Ich halte nichts davon, den vielbeschäftigten sogenannten großen Namen hinterher zu laufen und mich am Gagenpoker mit weitaus größeren Häusern zu beteiligen.

OF: Begleiten Sie die Produktionsprozesse bei Gastregisseuren? Mischen Sie sich ein?

L: Das ist heikel. Womöglich mische ich mich zu wenig ein. Aber konstruktive Kritik, die respektvoll mit den Künstlern umgeht, wird auch angenommen. Diktatur funktioniert im Theater nicht.

„Wir brauchen Stücke mit überraschender, heutiger Musik!“

OF: Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? Gibt es spektakuläre Projekte? Man hatte ja schon zu Ihrer Kölner Zeit den Eindruck, daß es ein „Kracher“ pro Spielzeit sein muß. In Köln etwa haben Sie einen Teil von Stockhausens „Licht“ herausgebracht, hier in Wiesbaden die „Soldaten“ von Zimmermann, von denen alle dachten, ein Haus wie Wiesbaden sei zu klein dafür. Auch den „Ring“ in einer Spielzeit zu stemmen, hatte etwas Spektakuläres. Diese Spielzeit erscheint dagegen vergleichsweise ruhig. Bleibt das künftig so?

L: Na ja, ich sehe unsere Uraufführung in dieser Spielzeit schon als „Kracher“ an! Da fahren Sie volles Risiko: Sind die Noten rechtzeitig fertig? Reicht die Zeit zur Einstudierung? Das war schon eine riesige Herausforderung.

Was die Moderne angeht, so gibt es noch zwei bis drei Schlüsselwerke, die ich gerne hier herausbringen würde. Es werden übrigens Stücke sein, um welche die Oper Frankfurt, unser großer Nachbar, bislang erstaunlicher Weise einen Bogen gemacht hat. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten.

Wichtiger aber ist es, neue Stücke für das Repertoire zu finden. Ich meine damit nicht Ausgrabungen bereits vorhandener Werke, sondern neue Stücke herzustellen, von denen wir glauben, daß die Leute sie hören wollen, weil es sie emotional ergreift und intellektuell herausfordert. Es ist die schwerste Aufgabe, der man sich überhaupt stellen kann. Ich hoffe, daß auch die zeitgenössische Musiksprache sich weiterentwickelt und aus ihren Sackgassen wieder herausfindet. Ich komme gerade aus Helsinki und habe mir die neue Oper „Herbstsonate“ angehört. Es war ausverkauft! Das Publikum hat gejubelt! Mir wurde berichtet, daß das Publikum dort die Premiere abgewartet und dann aufgrund der Berichte bei den Karten zugegriffen hat. Das zeigt doch, daß es geht!

Das ist übrigens etwas völlig anderes als die berüchtigten „Ausgrabungen“. Die haben meist in der Premierenserie einen gewissen Neuigkeitswert, aber wenn man sie einmal gesehen hat, dann reicht es auch. Ich habe mir zuletzt in Antwerpen Korngolds „Wunder der Heliane“ angesehen. Das sind so Stücke, bei denen ich denke: Danke, daß ich sie hören durfte; jetzt weiß ich, warum sie nicht gespielt werden. Dabei war es in Antwerpen eine großartige Aufführung! Tolles Dirigat, sensationelle Sänger, atmosphärische Inszenierung, aber an die Lebensfähigkeit dieses Stückes glaube ich überhaupt nicht.

Was wir brauchen, sind vielmehr neue Stücke mit überraschender, heutiger Musik. Ich fürchte, daß die Oper untergeht, wenn uns das nicht irgendwann wieder gelingt.

OF: Das heißt aber, daß die zeitgenössische Musik wieder zugänglicher werden muß. Sie haben es ja in „Schönerland“ gezeigt: Es gibt offensichtlich traditionelle Taktunterteilungen, nachvollziehbare Phrasen, Rückgriffe auf die Nummernoper, klare Gesangslinien …

L: Die Ausdrucksformen, die sich die moderne Musik erobert hat, fangen wir bei Berg und Schönberg an bis zu dem, was Zimmermann und andere geschrieben haben, die in extreme Ausdrucksformen gehen, sind irgendwann auch ausgereizt. Wenn man aber andere Musikbereiche heute sieht, die etwa mit elektronischer Musik, mit stark vom Rhythmus geprägten Formen eine Musiksprache kreieren, die offenbar sehr nahe bei den Leuten ist, warum sollte das dann im Musiktheater nicht möglich sein? Wenn man diese Musik singen, fühlen, meinetwegen mittrommeln kann, dann wird sie auch wieder ihren Weg zum Publikum finden.

OF: Das ist der Weg der Post-Moderne, oder bereits der Post-Post-Moderne. Man weiß, welchen Weg die Musik im letzten Jahrhundert gegangen ist, hat aber erkannt, daß ein fortwährendes Weiterschreiten, bei dem man immer noch mehr auflösen muß, immer noch ungewöhnlicher sein muß, an seine Grenzen stößt. Also nimmt man vom Anspruch des Progressiven, der Avantgarde Abstand und geht zurück zum schon einmal Dagewesenen und nimmt es reflektierend auf.

L: Was diese extreme Musik des 20. Jahrhunderts geprägt hat, waren die zwei Weltkriege. Die Traditionen von Jahrhunderten, auf denen die Musiksprache bis dahin fußte, wurden völlig zerstört. Die letzte „Publikumsoper“ war „Arabella“ von Richard Strauss. Das war die erfolgreichste Oper im deutschsprachigen Raum in den 1930er Jahren, öfter gespielt sogar als die „Zauberflöte“. Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es das nicht mehr, daß man ein neues Stück herausbringt, welches von allen Bühnen überall nachgespielt wird.

OF: Na ja, der „Peter Grimes“ hat sich beispielsweise schon sehr breit durchgesetzt.

L: Aber nicht so schnell und bei weitem nicht so flächendeckend wie seinerzeit die „Arabella“. Sicher gibt es noch vereinzelt Stücke aus der Zeit nach 1950, die immer wieder auf den Spielplänen auftauchen, etwa die „Karmeliterinnen“ von Poulenc, aber das ist eine Ausnahme. Poulenc bedient sich einer der Tradition verpflichteten Musiksprache, die ja von seinen Komponistenkollegen abgelehnt wurde. Da herrschte doch die Ansicht vor, daß man mit der gesamten Tradition brechen müsse, weil sie durch die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges unrettbar kompromittiert worden sei. Wer weiter so komponiere, als sei nichts geschehen, mache „verlogene“ Musik. Diese Fixiertheit auf die Katastrophe hat der Musikentwicklung nicht gutgetan. Lange galt, daß nur Untergangsmusik „moderne“ Musik ist.

OF: Um davon wegzukommen, vergeben Sie jetzt also für jede Spielzeit einen neuen Kompositionsauftrag?

L: (lacht) Wenn ich das Geld dafür hätte, würde ich das sofort machen. „Schönerland“ ist immerhin ein Anfang. Die Erfahrung mit dieser Produktion werten wir jetzt aus: Was haben wir richtig, was haben wir falsch gemacht? Ganz wichtig: Wie hat das Publikum es aufgenommen? Wir sollten nicht wahllos irgendetwas Neues machen. Man muß auch nicht ausschließlich auf die Uraufführungs-Karte setzen. Wir werden uns intensiv umsehen, welche neuen Stücke anderswo erfolgreich herausgebracht werden, um sie bei uns nachzuspielen und so einen Beitrag zu leisten, daß eine Erneuerung des Repertoires stattfinden kann. Ich habe schon den ein oder anderen Titel im Blick.

Ausblick

OF: Stichwort „Sanierungsbedarf“. Es scheint ja so zu sein, daß derzeit alle Opernhäuser in Deutschland entweder saniert oder sogar abgerissen werden. Wie sieht es in Wiesbaden aus?

L: Natürlich gibt es Wünsche. Unser Kleines Haus etwa ist zu klein. Aber das ist Zukunftsmusik. Mein Vertrag läuft aktuell bis 2024, und es besteht Hoffnung, daß ich diese Zeit ohne große Baustelle bewältigen kann.

OF: Sind Sie am Ende wunschlos glücklich in Wiesbaden?

L: Wir sind ein mittleres Haus, und ein mittleres Haus stößt eben immer wieder an seine Grenzen. Aber ich habe gelernt, mit diesen Grenzen gut zu leben. Wir können nur das, was wir können. Aber was wir können, wollen wir so gut wie möglich machen. Ich neige prinzipiell nicht zur Unzufriedenheit.

OF: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

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Hier geht es zu Teil 1 des Interviews.