Aufführung am 23.Januar 2018
featuring: Anna Harteros (Sopran)
Heroisches und Intimes
„Und es wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt“. Diese Worte aus Schillers „Der Taucher“ kamen einem in den Sinn, als die Münchner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev mit Peter Tschaikowskys „Francesca da Rimini“ anhoben. Der Komponist hatte die tragische Geschichte in einer Ausgabe von Dantes „Divina Commedia“ gelesen, welche mit Bildern von Gustave Doré geschmückt war. Diese beeindruckten Tschaikowsky besonders. Er fand sogar, dass der die Unterwelt durchbrausende Wirbelsturm von dem Zeichner besser dargestellt wurde als von der eigenen Musik (eine fraglos zu bescheidene Bemerkung). Aber die Schilderung der Liebe von Francesca und Paolo schien ihm gelungen.
Paolo ist der Bruder von Francescas Gatten, einem düsteren Menschen, was Francesca zu Paolo doppelt leidenschaftlich entbrennen lässt. Wie weit das Tête-à-tête letztendlich ging, lässt Dante offen, auch Doré enthält sich einer Festlegung. Aber ein inbrünstiger Kuss kann ja eigentlich nur ein Anfang sein … Dem von einer Jagd heimkehrenden Gatten reicht ohnehin, was er sieht. Mit einem Dolch ersticht er das Paar. Die Toten werden, irgendwie doch schuldig, in die Unterwelt verbannt, wo sie ständig dem besagten Wirbelsturm ausgesetzt sind. Dante folgt ihren Spuren, und Francesca erzählt ihm ihre Liebes- und Leidensgeschichte so dringlich, dass der Dichter, von Mitleid ergriffen, ohnmächtig zu Boden sinkt.
Tschaikowsky kostet alle Stimmungen der Erzählung aus, lässt das Orchester düster vibrieren, gibt aber auch einzelnen Instrumenten (Klarinette mit Pizzicato-Begleitung, Celli, Englischhorn mit Harfe) Gelegenheit, das Lichtvolle in dem schattenreichen Drama zu schildern.
Valery Gergiev hatte das musikalische Geschehen voll im Griff, ungeachtet seiner fingerflattrigen Gestik und einer nicht immer ganz taktgenauen Einsatzgebung. Tschaikowskys aufgewühlte Musik lässt sich vom Orchester im Grund nur auf der Stuhlkante sitzend angemessen absolvieren. Die Münchner Philharmoniker taten dies mit vollem Körpereinsatz, die Soli gelangen ausdrucksvoll und innig.
Als Überleitung zu Richard Wagners Wesendonck-Liedern (in der großartigen Orchesterfassung Felix Mottls) könnte die Zeile „Sausendes, brausendes Rad der Zeit“ dienen. Und es ist ja auch daran zu erinnern, dass Tschaikowsky die Bayreuther Festspiele besuchte und vom „Ring des Nibelungen“ nachhaltig fasziniert war. Dieser Eindruck könnte mit ein Auslöser für die Komposition seiner Orchesterfantasie „Francesca da Rimini“ gewesen sein.
Die leicht hypertrophen Liedtexte der verheirateten Mathilde Wesendonck lassen vielleicht hier und da lächeln, aber sie entsprangen nun einmal der Gefühlseuphorie im Leidenschaftsverhältnis zu Wagner. Eine Dreiecksgeschichte wie bei Dante, freilich ohne tödlichen Ausgang. Die „Tristan“-Atmosphäre sind in Mathildes Zeilen nahezu trunken eingefangen („Sanft an deiner Brust verglühen, und dann sinken in die Gruft“). Die Musik zu diesem Gedicht „Träume“ bezeichnete Wagner als Vorstufe zu seinem Musikdrama, was auch für „Im Treibhaus“ gilt. Von der Inbrunst und dem Pathos, aber auch dem Ausdruck von Intimität wird man als Hörer regelrecht narkotisch vereinnahmt. Gergiev wählte moderate Tempi, was Wagners süffigen Klängen einen äußerst breiten Raum gab. Und der will mit Gesang erfüllt sein.
Die Solistin des Wesendonck-Zyklus‘ war Anja Harteros, Elsa bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen. Trotz ihrer verstärkten Hinwendung zu reiferen Opernfiguren in jüngerer Zeit (etwa der „Rosenkavalier“-Marschallin) und dem Zuwachs an dunkleren Vokalfarben ist sie nach wie vor eine jugendlich-dramatische Sängerin, wobei die Betonung auf dem ersten Wort liegt. Ihr Vortrag gab, denkt man an eher heroinenhafte Interpretationen zumal der Vergangenheit (Kirsten Flagstad, Astrid Varnay, Martha Mödl), der Musik etwas überraschend Irdisches – weniger Weltflucht als Welt-Wollen, gleichwohl geöffnet für höhere Sphären. Am beeindruckendsten wurde dieses changierende Klima Wirklichkeit im mittleren Lied „Im Treibhaus“, mit dessen Musik der dritte „Tristan“-Akt anhebt. Zu den bestechenden Pianohöhen (Smaragd, Luft, Duft) bot Anja Harteros viel weiches vokales Fließen. Eine weniger erotisch getönte als keusche Interpretation. Zwei kleine Unebenheiten oder auch die Zuhilfenahme von Noten konnten dem faszinierenden Eindruck nichts anhaben.
Bayreuth spielte auch im Leben von Richard Strauss eine bedeutsame Rolle, freilich noch nicht 1899, als er sein „Heldenleben“ uraufführte. Die Operndominanz späterer Jahre war noch nicht ausgeprägt, noch überwogen Tondichtungen. Beim „Heldenleben“ waltet eine fast schon hybride Lust an überdimensionalem Orchesterklang. Das Werk war (und ist bis heute) nicht unumstritten, was Strauss durchaus bewusst war. Immerhin erkannte die Öffentlichkeit, besonders eine spezifische, wer mit „Des Helden Widersacher“ gemeint war und mit leicht karikierenden Spielanweisungen für die Holzbläser auf die Schippe genommen wurde.
Der Begriff „Held“ mag mit dem Vokabular bei Wagner parallel laufen, aber Richard Strauss wollte ihn (bei allem Selbstbewusstsein) nicht auf sich geprägt sehen. „Ich ziehe es vor, Frieden und Ruhe zu genießen“, erklärte er einmal. Den etwas komplizierten Charakter seiner Frau Pauline schildert er im „Heldenleben“ hingegen ausgiebig. Dem Konzertmeister der Münchner Philharmoniker dankte man, dass die oft so ausschweifend wirkenden Passagen der Solovioline konzentriert wirkten. Valery Gergiev entwarf mit seinen Musikern ein üppiges Klangpanorama von großer emotionaler Variationsbreite. Hinreißend die Schlussapotheose.
Christoph Zimmermann 26.1.2018