Aufführung am 15. Mai 2018
Kartäuserkantorei: Paul Krämer
Heiterkeit und Fröhlichkeit, wie es in Albert Lortzings Oper „Der Wildschütz“ heißt, wird mit Bernd Alois Zimmermann und Johann Wolfgang von Goethe kaum jemals in Verbindung gebracht. Dabei gibt es von dem Komponisten eine ganze Reihe von Fotos, welche ihn entspannt lächelnd zeigen. Aber man assoziiert mit ihm, schon mit Blick auf sein tragisches Ende, eher tiefgründigen Lebensernst. Das bestätigen Aufführungen aus jüngster Zeit – die „Soldaten“ im Staatenhaus oder die „Ekklesiastische Aktion“ (Philharmonie-Gastspiel des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters) – besonders nachdrücklich. Insofern war es eine sinnvolle Entscheidung der Kartäuserkantorei und ihres Dirigenten Paul Krämer, auch mal den „anderen“ BAZi vorzustellen.
Der Komponist seinerseits hatte mit der Vertonung von Goethe-Gedichten (zusammengefaßt unter dem von Erasmus von Rotterdam entliehenen Titel „Lob der Torheit“) eine Korrektur bzw. Ergänzung beim überaus seriösen Bild vom Weimarer Dichterfürsten im Auge. Gerade das Goethe-Jahr 1949 schien ihm geeignet, auch mal den „augenzwinkernden Weisen“ zu beleuchten.
Der Chorliederzyklus ist deswegen aber nicht einseitig hinsichtlich der Stimmungen. So stehen sich alleine die mittleren Nummern, „Pastorale giocoso“ und „Pastorale serioso“, stark kontrastierend gegenüber. Das zuletzt genannte Gedicht, zu einer Koloraturszene gestaltet, war für den gläubigen Zimmermann wegen seiner „Naturfrömmigkeit“ wohl besonders wichtig. Freilich wählt er keinen elegischen Tonfall, sondern gestaltet ein virtuoses Stück mit überaus vertrackten Sopranhöhen. Superb, wie Anna Herbst (Bild unten) all diese vokalen Katarakte bewältigte, ohne besondere Anstrengungen spüren zu lassen.
Ein besonders drastischer Text ist die Nummer vier, mit „Tonalität“ überschrieben (im Programmheft steht „Toalität“, in der Werkerläuterung „Totalität“). Das Wort „Hintern“ wird mit Wiederholungen der ersten Silbe in eine akrobatische Komik hinein getrieben. Der Chor sang, gut geführt von dem erst 27- oder 28jährigen Dirigenten, ausgesprochen lustvoll. So einfach, wie BAZi seine Musiksprache bezeichnet („fröhliche Tonalität“), ist sie aber denn doch nicht und geht auch über die Kategorisierung „einem Laienchor füglich zumutbar“ um Einiges hinaus. Zumindest empfindet man das als Zuhörer bei einer Erstbegegnung mit dem Werk. Kompliment also für die sichere Ausführung durch die Sänger, zu denen bei den Solisten auch noch der klarstimmige Tenor Patrick Grahl und Sebastian Seitz mit seinem mehr robusten Bariton gehörten.
Das Gürzenich-Orchester, mit Zimmermann-Werken derzeit ausgiebig beschäftigt, bot in der vorgeschriebenen kleinen Besetzung ein filigranes instrumentales Umfeld. Die Flöten sorgten für besonders aparte Stimmungen. Gewaltig allerdings das Schlagzeugarsenal mit sage und schreibe zehn Spielern.
Auch die Orchesterbesetzung von Igor Strawinskys „Symphonie des Psaumes“ gibt sich nicht ganz traditionell. Violinen und Bratschen fehlen komplett, was dem Werk einen gewissen Dunkelklang gibt. Da hätten Klarinetten eigentlich nicht gestört, aber auch sie wurden vom Komponisten ausgespart. Die Psalmen-Sinfonie entstand 1930 zum 50jährigen Bestehen des Boston Symphony Orchestra Sein Dirigent Sergej Kussevitzky, Freund und Verleger des Komponisten, hatte sich zwar ein Stück von etwas populärem Zuschnitt gewünscht, aber Strawinsky bestand auf seiner Idee eines Chorwerkes, welche er schon lange mit sich herum trug.
Die drei Sätze gehen ineinander über. Dennoch gibt es so etwas wie finale Zäsuren, welche in unverhohlene Dur-Akkorde münden. Grundsätzlich befleißigt sich der Komponist jedoch eines neoklassizistischen Stils, welchem er damals anhing. Das heißt freilich nicht klassisch geglättet. Die Harmonik etwa ist durchaus heikel, was die Kartäuserkantorei viele Proben gekosten haben dürfte. Die Bewältigung beeindruckte nachhaltig.
Nur kurze Zeit nach „Lob der Torheit“ schrieb Francis Poulenc sein „Stabat Mater“. Erstaunlich, wie stark zeitgleich geschriebene Werke in ihrem Stil, ihrem musikalischen Habitus differieren können. Zwar war Poulenc in früher Zeit mal das, was man einen „jungen Wilden“ zu bezeichnen pflegt. Dann aber führte ein bestimmtes Erlebnis dazu, daß er sich der Religion zuwandte, was sich in einem Spätwerk, der momentan häufiger gegebenen Oper „Les Dialogues des Carmélites“, besonders ausprägt. Einige Jahre zuvor war ein intimer Freund des homosexuellen Poulenc gestorben. Für ihn schrieb er sein „Stabat Mater“, dessen schmerzbewegter Text seinem starken Trauergefühl entgegen kam.
I.G. zu den etwas radikal konzipierten Werken von Strawinsky und Zimmermann klingt Poulencs Musik friedfertig. Dieser Eindruck rührt fraglos auch von der Tatsache her, daß sich der Komponist in einer erweiterten Tonalität ausdrückt, zwar ohne harmonische Anbiederung, aber doch irgendwie „seelentrösterisch“. Paul Krämer dirigierte umsichtig, manchmal fast andächtig. Der Chor konnte nicht zuletzt in diversen A-Cappella-Passagenseine interpretatorische Kultur unter Beweis stellen. Den expressiven Solopart übernahm Anna Herbst und überzeigte erneut mit ihrer souveränen Stimmführung.
Foto (c) Uta Konopka / annaherbst.com
Christoph Zimmermann (16.5.2018)