Kontrapunkt: „Von allen Hunden gehetzt“

Ich bin die Erste, die zugibt, wenn ich mich geirrt habe. Ich hätte nie, nie, nie gedacht, dass ein Mann wie Herbert Föttinger, der so brav stets für die Sozialistische Partei bereitstand und in der Josefstadt so rotes, linkes Theater gemacht hat wie nur möglich, tatsächlich in die Mühle derer geraten könnte, die als geifernde Selbstgerechte wieder einmal zum Halali blasen. Das hat die Politik doch für ihre Schützlinge meist verhindert. Diesmal offenbar nicht.

Also auf zur Menschenjagd, wie schön. Von allen Hunden gehetzt. Wenn man daran denkt, wie viele Künstler  das (von Jimmy Levine bis Gustav Kuhn) ihre Karrieren gekostet  hat. Andere haben sich umgebracht (Benny Fredriksson, der Mann von Anne Sofie von Otter, der nach einer Medienkampagne keinen anderen Ausweg sah als Selbstmord). Und keine Hilfe in Sicht. Nein, auch Rot und Grün wenden sich gegen Föttinger – der Schutz der Politik (die etwa Teichtmeister vor Untersuchungshaft und Gefängnis bewahrt und die Drogenfrage gar nicht angeschnitten hat, oder André Heller für seinen 800.000 Euro Basquiat-Scherz gewissermaßen entschuldigte). ist nicht mehr immer gewährleistet. Verdammt, man kann sich auch auf gar nichts mehr verlassen.

Nun bin ich die Letzte, die auch nur die geringste Sympathie für Herbert Föttinger hegt (obwohl ich manchmal in die Knie gehe, wenn er sich als hinreißender Schauspieler erweist – ich liebe das Theater, ich bin bestechlich). Aber irgendwie scheint in mir der Gerechtigkeitssinn des Schützen zu walten, der auch nicht dulden will, dass Menschen gehetzt werden, alle gegen einen, den man durch die Straßen jagt oder an den Pranger stellt. Nein, das will ich nicht. Auch wenn sie sich zu wehren wissen wie Föttinger.

Es ging fraglos um Machtmißbrauch. Und wie sehr sich die Zeiten geändert haben, wie stark die Schwachen geworden sind, hat sich oft gezeigt. (Ein paar beleidigte Reinhardt-Seminaristen konnten die Direktorin entthronen.) Und es wäre dumm und kurzsichtig, manche (weiß Gott nicht alle!) Veränderungen unserer Zeit nicht zu begrüßen. Ich bin auch einst weinend im Sekretariat der Kultur-Redaktion von Ö 1 im Funkhaus gestanden, weil mein Chef mich vor allen anderen heruntergeputzt hat (und keiner sagte etwas, so wie ich schandbarerweise nichts sagte, wenn es einem meiner Kollegen auch geschah…). Demütigend. Gemein. Niederträchtig. Und ich habe natürlich nicht alles hingeschmissen, sondern weitergearbeitet. Man muss ja leben. Und außerdem war mein Chef, wenn er friedlich war, ein gar nicht so unangenehmer Mann.

Wir reden von Machtmißbrauch, so wie er ganz selbstverständlich üblich war. Wäre ich damals, vor 30 Jahren, zu – ja, zu wem eigentlich gegangen, wo es noch gar nicht die Möglichkeit gegeben hätte, mich zu beschweren, hätte es vielleicht geheißen, ich soll den Mund halten (wie eine Kollegin zu mir meinte). Heute müssen gedemütigte Menschen das nicht. Und ich will niemandem, absolut niemandem unterstellen, dass sie / er – vielleicht aus Wichtigmacherei? – aus einer Mücke einen Elefanten machen. Eine himmelschreiende Tragödie war es ja nicht, damals beim ORF, wenn es auch eine Zeitlang weh getan hat… Man soll bitte immer die Kirche im Dorf lassen. Die wahren Tragödien spielen sich in der Ukraine und in Gaza ab.

Aber man muss die Dinge auch im gesellschaftspolitischen Zusammenhang sehen. Früher war es beim Theater einfach „so“, dass, wie eine Freundin mir erzählte, ein Direktor von ihr verlangen konnte, sie solle ihm ihren nackten Busen zeigen. Heute muss man das hoffentlich nicht mehr. Aber dass Direktoren und Regisseure sich wie die Berserker verhalten haben, war gang und gebe. Man lese es nur im Buch von Matthias Hartmann nach, wie Peymann oder Zadek oder Flimm sich aufgeführt haben. Da blieben sicher viele nicht unbeschädigt, die damals in den Fokus der Allmächtigen gerieten.

Nun entschuldigt das nichts, was mich an den bitteren Witz erinnert, wo nach dem Krieg ein Amerikaner zu einem Nazi sagt: „Ihr habt Juden umgebracht.“ Und der Nazi antwortet: „Und ihr habt Neger gelyncht.“ (Von der Ausrottung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas war damals noch nicht die Rede.) Ich hasse es, wenn man Schuld gegeneinander aufrechnet (ja, Stalin hat mehr Menschen ermorden lassen als Hitler, aber entschuldigt dieser Vergleich einen von ihnen, auch wenn Mao der schlimmste Massenmörder war?), Aber – „Behandelt jeden Menschen nach seinem Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher“, hat schon Hamlet (bzw. Shakespeare) so treffend formuliert .

Föttinger sagt man, glaube ich, persönlich keine sexuellen Übergriffe nach, wohl aber zweifellos höchst unpassendes Verhalten, das er gerne mit dem Probenstress und dem „Eifer des Gefechts“ erklärt. Nun, das ist ja wohl auch (abgesehen vom Charakter…) eine Frage der Selbstkontrolle, und die sollte ein 63jähriger schon hinkriegen. Man kann allerdings mit Sicherheit annehmen, dass er künftig (außer Wutausbrüchen vor seinen Vertrauten, die ihn trösten werden) auf sein Verhalten achtet. Davonjagen muss man ihn also nicht – obwohl die Frage im Raum steht, ob jemand, der so beschädigt ist, noch eineinhalb Spielzeiten als Direktor durchstehen kann.

Was nun? Nimmt man ihm – wir sind ja so moralisch – jetzt den Kammerschauspieler und das Wiener Goldene Ehrenzeichen weg (sind seine Verdienste nun plötzlich weniger groß oder gar nicht mehr vorhanden?). Den Nestroy-Ring und den „Nestroy“-Sonderpreis? Oder sagt man: Gut, Leute, es ist geschehen, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Macht die Sache nicht aus böswilliger Lust größer als sie ist. Umbringen braucht er sich nicht, dass er freiwillig zurücktritt, glaube ich auch nicht. Also begraben wir das Ganze und arbeiten wir weiter. Da muss schließlich ein Theaterbetrieb laufen…

Dass künftig bei Josefstädter Inszenierungen „Vertrauenspersonen“ bei den Proben sitzen werden… welch ein Unsinn. Wer sollte das sein? Welches Intrigantenstadl setzt das in Gang? Welch ein System der Bespitzelung? (Zumal es Föttinger nicht mehr betrifft, weil er bis zum Ende seiner Direktion nicht mehr inszenieren will.)

Was also? Ich denke, die Rache der Gedemütigten hat schon gegriffen. Allerdings glaube ich Föttinger, wenn er sagt, er hätte die ganze Sache gerne bei Gericht verhandelt. Denn seine Verteidigungsrede dort – das wäre sicher eine seiner größten Rollen!

Im Übrigen sollte man in „Sonny Boys“ in der Josefstadt gehen. Das, was Robert Meyer und Herbert Föttinger da liefern, ist Theaterkunst vom Besten. Und darauf kommt es auch an.

Renate Wagner 22. Dezember 2024*

*Originalbeitrag im Online-MERKER (Wien)