Man darf, wenn man dazu rhetorisch in der Lage ist, Dinge auch mal sprachlich zuspitzen oder Debatten polarisierend vorantreiben, um auf Missstände hinzuweisen. Was man dabei nicht darf, ist: die Würde des Menschen verletzen. Eine „Jury von Fachjournalisten“ hat jetzt die Maske fallen lassen und der Öffentlichkeit gesagt, was sie von Menschen außerhalb ihres erhabenen Dunstkreises hält. Ohne jede Schamesröte.
Bereits mehrfach haben wir in O-Ton darauf hingewiesen, dass Preisverleihungen und Wettbewerbe keine Relevanz haben, sondern einzig dem Zweck dienen, als Marketing-Gag den Menschen noch ein bisschen mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Aus gutem Grund verzichten wir normalerweise deshalb darauf, insbesondere über Preisverleihungen zu berichten. Und eigentlich wollten wir davon absehen, über die großangelegte Marketingaktion der Berliner Zeitung Oper! zu berichten, die sich Oper! Awards nennt. Da werden von einer „Jury aus Fachjournalisten“ Preise in 20 Kategorien wie beispielsweise beste Sängerin, bestes Opernhaus oder beste Nachhaltigkeitsinitiative vergeben. Das kann man sich gut vorstellen, wie sich neun Journalisten tausende von Sängern anhören, um unter ihnen die besten herauszufinden, denn nur dann wäre ja eine Preisvergabe sinnvoll. Und man kann sich noch besser vorstellen, wie diese Journalisten mit ihrer Kernkompetenz über 300 Nachhaltigkeitskonzepte gebeugt entscheiden, welches Haus die beste Initiative gewählt hat. Dabei ist dann auch uninteressant, dass unter Experten Nachhaltigkeitsfragen noch gar nicht abschließend geklärt sind. Oder ist es eher so, dass die vielbeschäftigten Kollegen rasch einen Fragebogen mit ein paar Vorschlägen ausfüllen? Aber warum genauer nachfragen, wenn es dem besseren Abverkauf des Heftes dient, schließlich erreicht die Reduktion der kulturellen Berichterstattung längst beängstigende Zustände. Und vielleicht hilft es ja der einen oder anderen eher willkürlich ausgewählten Karriere zu Sprüngen und Häusern zum dringend benötigten Publikum.
Die Fachjournalisten, aus denen sich die „Jury“ zusammensetzt, sind „natürlich“ der Chefredakteur der Zeitung, Ulrich Ruhnke, und zwei von drei Redakteuren des Blattes. Hinzukommen Manuel Brug, Eleonore Brüning oder auch Christian Wildhagen von der NZZ. Menschen, von denen man bis heute glaubte, ihnen eine bejahende Haltung gegenüber der Würde des Menschen unterstellen zu können. Bis heute. Denn die Jury hatte noch einen weiteren Preis zu vergeben.
Der Preis in der 21. Kategorie nennt sich „größtes Ärgernis“. Das kann man machen. Die goldene Himbeere oder die goldene Zitrone in anderen Bereichen sind Beispiele dafür. Allerdings sollte man solche Anti-Preise mit Sachkenntnis verleihen. In diesem Jahr ging der Anti-Preis der Zeitung an den Theatervorplatz in Krefeld. Und damit lagen die Experten schon mal grundlegend falsch. Ja, der Vorplatz ist ein Problem für die Stadt Krefeld. Und die ist sich des Themas durchaus bewusst. Wäre einer der Kollegen in den letzten Monaten mal vor Ort gewesen, hätte er die Männer von der Security sehen können, die von Ordnungsbeamten der Stadt sekundiert werden. Gäbe es irgendwelche Sachkenntnis, hätten die Journalisten gewusst, dass hier ein Drogenhilfezentrum geplant ist. Denn selbstverständlich arbeitet die Stadt an einer Lösung, um für Drogensüchtige, deren Lieferanten oder Obdachlose andere Orte zu finden, an denen sie besser aufgehoben sind. Und vor allem hätte sich die Jury nicht zu dieser Begründung hinreißen lassen: „Schleichend abgehakt und dem Verfall preisgegeben wird aber mit dem modernen Inferno des sozial produzierten Menschenmülls zugleich ein Stück Kultur.“ Unter „Menschenmüll“ versteht die Jury, so hat es Ruhnke noch einmal nachträglich via Pressemitteilung bestätigt, die Drogenabhängigen, ihre Lieferanten und die Obdachlosen.
Menschenmüll. Was für eine Haltung steht hinter diesem Wort? Täglich arbeiten Menschen in den Kulturbetrieben daran, die Würde des Menschen anzuerkennen und zu achten. Und ausgerechnet eine Journaille, die es am besten wissen müsste, wähnt sich in einem erhabenen Dunstkreis, in dem sie sich vom „Menschenmüll“ abheben will. Es ist wohl eher so, dass dieser Begriff solchen Journalisten zugeordnet werden muss, die ihn für andere Menschen benutzen. Solch eine Ausdrucksweise haben sich nicht einmal die Nationalsozialisten getraut, wenn sie über Juden und Zigeuner sprachen.
Oberbürgermeister Frank Meyer spricht zu Recht von einer „ungeheuren sprachlichen Entgleisung“ und hält damit noch mühsam die Wut zurück, dass es jemand wagt, Menschen aus seiner Stadt als „Menschenmüll“ zu bezeichnen. Ruhnke indes ist so weit von der Wahrnehmung der Wirklichkeit entfernt, dass er der Stadt in einer Erwiderung vorwirft, von der „eigentlichen Problematik“ ablenken zu wollen. Nein, die Stadt will nicht ablenken, sondern arbeitet an der Situation – und sie wäre die erste, die solche Brennpunkte von heute auf morgen auflösen könnte. Aber sie sucht nach einer würdevollen Lösung für alle Beteiligten, was auch Michael Grosse, Intendant des Theaters Krefeld Mönchengladbach, noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Ich hätte an dieser Stelle gern allen Gewinnern der Preisverleihung gratuliert. Aber sie müssen jetzt damit leben, dass sie von Menschen belobigt wurden, die eine unerträgliche Haltung vertreten, indem sie Menschen sozialer Randgruppen in verachtenswerter Weise diskriminieren. Um nicht auch noch in den Dunstkreis einer solchen Einstellung zu geraten, sollten sich die „Preisträger“ schleunigst von dieser Veranstaltung distanzieren.
Michael S. Zerban, 3. März 2023 (Hrg. O-Ton)