Wiesbaden, Konzert: Russischer Abend

In seinem aktuellen Konzertprogramm waren mit dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden drei Meisterwerke der russischen Musik zu bewundern.

Unter Leitung seines Gastdirigenten Michael Güttler begann das Konzert mit der Ouvertüre zu Michail Glinkas 1842 uraufgeführter fantastischer Oper „Ruslan und Ljudmila“. Es handelt sich dabei um Glinkas zweites Opernwerk, welches er nach „Ein Leben für den Zaren“ schrieb und was auf einer Vorlage von Alexander Puschkin basiert. Es blieb bei zwei Opern, denn Glinka galt als Vater der russischen Konzertmusik. 

Und so ist es eine leise Ironie, dass es lediglich die mitreißende Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“ geschafft hat, größte Popularität zu erlangen. Somit war es ein gut gewählter Beginn für ein besonderes Konzert.

(c) Agentur

Michael Güttler wählte ein flottes, spritziges Tempo und arbeitete bestens die verschiedenen Leitmotive der Oper heraus. Schwungvoll und spielerisch gut aufgelegt erfreute das Hessische Staatsorchester Wiesbaden mit sattem und doch auch transparentem Orchesterklang. Wilde Streicherläufe, markige Bläserakkorde, unterbrochen von sehr deutlichen Akzenten auf der Pauke, alles dann am Ende in einem wilden Galopp endend. Ein schöner, gelungener Auftakt.

Im Jahr 1959 war es so weit. Der große Cellist Mstislaw Rostropowitsch erhielt von seinem Freund und Lehrer Dmitri Schostakowitsch ein Cellokonzert in die Finger geschrieben. Es war schon eine besondere Beziehung, die den impulsiven Rostropowitsch mit dem introvertierten Schostakowitsch verband. Natürlich war die Uraufführung Rostropowitsch vorbehalten. Einmal mehr zeigte der russische Komponist mit diesem Werk eine musikalische Abrechnung mit dem brutalen Stalin Regime.

Das Cellokonzert ist geprägt von unterschiedlichen Rhythmen und zahlreichen Akzentverschiebungen. Ungewöhnlich erscheint seine Aufteilung in vier Sätze. Die Sätze eins und vier wirken vor allem durch ihren tänzerischen Übermut. Innig und kontrastierend dazu steht die Melancholie des zweiten Satzes im Mittelpunkt. Dieser entfaltet zwei kantable Themen, auf die der dritte Satz, eine lange Solo-Kadenz, noch einmal Bezug nimmt. Der vorwärtsdrängende Schlusssatz ist von sprühender Virtuosität.

Solist des Abends war der erste Solo-Cellist des Hessischen Staatsorchester Wiesbaden, Johann Ludwig. Mit stoischer Ruhe und technischer Souveränität bot er eine beeindruckende Leistung. In den virtuosen Abschnitten zeigte er eine staunenswerte Beherrschung seines Instrumentes. Vor allem im elegischen zweiten Satz und dem ausgedehnten Solo der Kadenz des dritten Satzes war Ludwig völlig bei sich und hielt ausgedehnte, innige Zwiesprache mit seinem Instrument. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden begleitete seinen Kollegen höchst aufmerksam. Michael Güttler kennt seinen Schostakowitsch. Grelle Kontraste in den Holzbläsern, markige Betonungen durch die Pauke und ein kultivierter Tutti-Klang in den Streichern zeigten, wie gut Güttler das Orchester auf dieses anspruchsvolle Konzert vorbereitet hatte. Besonders sensibel und klangschön war das Solo-Horn zu vernehmen.

(c) privat

Das Publikum reagierte entzückt und erklatschte sich eine Zugabe, die Florian Ludwig schlicht mit „Natürlich muss es Bach sein!“ ankündigte.

Es ist immer wieder ein Erlebnis, Rachmaninows bekannteste Sinfonie aus dem Ursprung seiner Entstehung zu hören. Die vom Komponisten so favorisierte erste Sinfonie erlitt bei der Uraufführung ein Desaster. Dieses war so traumatisch, dass Rachmaninow in eine tiefe Schaffenskrise geriet. Mit Disziplin und größter Willenskraft fand er wieder aus diesem schwarzen Seelental heraus. Seine zweite Sinfonie entstand in den Jahren 1906/07, als Rachmaninow länger in Dresden weilte.  1908 war er Dirigent der Uraufführung in St. Petersburg.

Rachmaninows Zweite darf sicherlich als Gipfelpunkt der russisch symphonischen Spätromantik gelten. Überwältigend sind die zahlreichen schwelgerischen, endlos anmutenden Streicherabschnitte, die mit breitem Pinsel die musikalische Seele ins Zentrum des eigenen Seins führen. Tief bewegende Soli, wie z.B. das berühmte Solo der Klarinette im dritten Satz. Und welcher Kontrast, dann der mitreißende finale vierte Satz, der einer Tarantella ähnelnd, mit prasselnden Beckenschlägen diese Sinfonie würdig und optimistisch beschließt.

Rachmaninows Werk gilt zurecht als Streichersinfonie, da in allen Sätzen der große Streicherapparat in endlosen Kantilenen fortwährend gefordert ist.

(c) Kerstin Schomburg

Michael Güttler hatte mit dem Hessischen Staatsorchester eine gute Vorarbeit geleistet. Seine große Affinität zu russischer Musik war immer zu spüren. Bereits der Beginn ließ in seinem sehr gemessenen Tempo aufhorchen. Michael Güttler dirigierte das Werk, wie auch zuvor Glinkas Ouvertüre, auswendig.

Bereits in den ersten Minuten zeigte sich, dass eine besondere Interpretation dieses Meisterwerks an das Ohr der Zuhörer drang. Souverän in der Phrasierung und der Wahl der gemessenen Tempi baute Güttler Spannungsbögen perfekt auf. In den ruhigeren Abschnitten hörte er tief in die Verästelungen des Werkes hinein. Dann wieder in den vielen Ausbrüchen gefiel das Hessische Staatsorchester mit kultivierter Klangfülle. Und doch war es der dritte Satz, in welchem das Orchester den höchsten Gipfel seiner Spielkultur erklomm und die Zuhörer mit seinem intensiven Spiel beschenkte. Die Bläser waren viel gefordert. Die strahlenden Hörner begeisterten und dazu besonders der Solo-Klarinettist, der hoch sensibel sein wunderbares Solo mit größter Ruhe vortrug. Gut aufgelegt und immer auf dem Punkt war das viel geforderte Schlagzeug, welches vor allem den vierten Satz zu einem besonderen Erlebnis machte. Eine begeisternde Darbietung dieser schwer zu spielenden Sinfonie. Michael Güttler agierte als mustergültiger Souverän am Pult, der das Orchester hervorragend führte und motivierte.

Am Ende begeisternder Beifall und viele glückliche Gesichter im sehr gut besetzten Auditorium.

Das Hessische Staatstheater Wiesbaden braucht einen neuen Generalmusikdirektor. Michael Güttler hat sich an diesem beeindruckenden Konzertabend nachdrücklich für diese Aufgabe empfohlen. Seine lange Erfahrung, sein breites Repertoire und vor allem seine an diesem Abend erlebte musikalische Kompetenz sind ein Glücksfall für dieses Orchester. Freuen können sich die Konzertfreunde auf ein Wiedersehen mit Michael Güttler im März 2023. Dann wird er u.a. Stravinskys „Feuervogel“ dirigieren.

Dirk Schauß, 17. November 2022


Besuchtes Konzert im Kurhaus Wiesbaden am 16. November 2022

Michail Glinka Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“

Dmitri Schostakowitsch „Cello Konzert Nr. 1 Es-Dur op. 107

Sergej Rachmaninow „Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27“

Dirigat: Michael Güttler

Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Johann Ludwig (Cello)