Wiesbaden: María Dueñas, Tonhalle Orchester Zürich: Rossini, Tschaikowski, Dvořák

Konzert am 25. August 2022, Friedrich-von-Thiersch-Saal

Weltklasse aus Zürich

Ein spektakuläres Konzertprogramm verwöhnte das Wiesbadener Publikum im Rahmen des diesjährigen Rheingau Musikfestivals. Drei der beliebtesten Konzertstücke der Musikliteratur, vorgetragen vom Tonhalle Orchester Zürich und deren Chef-Dirigent Paavo Järvi. Als Solistin konnte, die gerade einmal 19-jährige spanische Geigerin María Dueñas gewonnen werden.

Gioachino Rossini: Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“

1829 erlebte die letzte Oper von Gioachino Rossini „Guillaume Tell“ (Wilhelm Tell) ihre Uraufführung. Es war das letzte Werk des Meisters aus Pesaro. Seine grandiose Ouvertüre gehört seither zu den bekanntesten und beliebtesten Werken Rossinis. Die Gliederung in vier Teile bietet einem Orchester reiche Gelegenheit für solistische Effekte und spielerische Brillanz. Im einleitenden Andante zeigte die formidable Celli-Gruppe des Tonhalle Orchesters Zürich seine überragende Klangkultur. Der Sturm war ein Fest für die Blechbläser und das Schlagzeug. Mit feiner lyrischer Note zelebrierten die Holzbläser den anschließenden Hirtengesang. Bei dem furiosen Finale motivierte Paavo Järvi sein Orchester zu prachtvollem Spiel bei fein ausdifferenzierter Dynamik. Große Begeisterung!

Pjotr Tschaikowski: Violinkonzert D-Dur op. 35

Mit dem Violinkonzert von Pjotr I. Tschaikowsky, entstanden 1878, erlebte das Publikum das bekannteste Violinkonzert in der russischen Musik. Erkennbar ist der wieder gewonnene Optimismus des Komponisten, der sich in jener Zeit in einer tiefen Phase der Depression steckte und im Rahmen eines erfolgreichen Kuraufenthaltes am Genfer See wieder zu neuer Schaffenskraft fand.

Die Anforderungen für den Solisten sind herausragend. Leise Melancholie und warme Kantabilität stehen großen Orchesterausbrüchen gegenüber, gesteigert in einem mitreißend virtuos komponierten Schlusssatz. Und doch ist es vor allem der tief berührende zweite Satz, die poesievolle Canzonetta, die dieses Werk so unwiderstehlich macht. Hier treffen Sehnsucht und Melancholie aufeinander

María Dueñas kann bereits auf eine atemberaubende Karriere blicken. Zahlreiche Preise und ihr gewidmete Kompositionen von Jordi Cervelló bestätigen den besonderen Rang dieser jungen Künstlerin.

María Dueñas hatte keinerlei technische Schwierigkeiten und spielte dieses so schwere Werk, als wäre es eine Kleinigkeit. Mit staunenswerter Selbstverständlichkeit begegnete sie diesem Violinkonzert, nichts war zu schwer für sie. Ihre Virtuosität ist beeindruckend, geriet aber zuweilen etwas zu sehr als spieltechnische Leistungsschau. Zwar gelang es ihr, den zweiten Satz ruhiger und emotional gefasster zu spielen, doch auch hier war die Virtuosin deutlicher im Vordergrund als die kantable Künstlerin. Atemberaubend schnell dann das rasante Tempo im beschließenden Allegro vivacissimo. Virtuoser Überschwang und jugendlicher Elan erzeugten eine energiestarke Wirkung, die vom hellwachen Orchester begeisternd aufgenommen wurde. Wenn dieser Konzertabend etwas verdeutlichte, dann die unmissverständliche Tatsache, dass María Dueñas die Zukunft gehört und sie bereits jetzt eine beachtliche Virtuosin ihrer Zunft ist. Es ist ihr sehr zu wünschen, dass sie die notwendige Ruhe zur künstlerischen Reifung findet. Der Zuhörer erfreut sich an spieltechnischem Feuerwerk, aber noch mehr an emotionaler Tiefe. Letztere war an diesem Abend zu deutlich im Hintergrund geblieben.

Paavo Järvi und sein fabelhaftes Orchester zeigten ein tiefes Gespür für Tschaikowski. Hier waren keine musikalischen Begleiter am Werk, sondern gestaltende Partner auf Augenhöhe, die immer versuchten, den aktiven Dialog zur Solistin herzustellen. Die solistischen Beiträge in den Holzbläsern waren hervorragend und auch in den Tutti – Teilen, wie z.B. dem berühmten Polonaisen Thema des ersten Satzes, zeigte das Tonhalle Orchester Zürich seine große Meisterschaft. Viel Applaus für Orchester, Dirigent und Solistin. María Dueñas bedankte sich dann auch mit einer Zugabe, die leider nicht angesagt wurde.

Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“

Nach der Pause dann ertönte eine der beliebtesten Symphonien der gesamten Konzertliteratur. Drei Jahre Aufenthalt in Amerika, in der „Neuen Welt“, inspirierten Antonin Dvorak zu seinem symphonischen Gipfelwerk, zu seiner 9. Symphonie, die im Jahr 1893 uraufgeführt wurde. Intensiv erforschte er die Gesänge der Indianer Völker und verarbeitete manche Tonfolge bekannter Spirituals. Und doch sind natürlich die Klänge seiner böhmischen Heimat unverkennbar.

Eine Steilvorlage also für jedes Orchester, das eigene Können unter Beweis zu stellen. Und Paavo Järvi animierte sein Orchester unablässig mit starker Energie und motivierte es zu Höchstleistungen.

Bereits im ersten Satz intonierten die Hörner makellos, ebenso wie die Holzbläser. Bereits der erste Horneinsatz wurde mit großer Attacke und vollem Risiko perfekt intoniert. Herrlich markig dann die akzentuiert agierende Pauke. Mit größtem Schwung und feurigem Brio fegten die Streicher durch das Allegro molto. Starke Akzente warf Järvi immer wieder in das Orchester hinein. Fortwährend betonte er das Tänzerische der Symphonie, ebenso galt sein Augenmerk auch der Betonung der Nebenstimmen.

Im anschließenden berühmten Largo hatte dann das Englischhorn seinen großen Moment. Der Solist des Orchesters schuf einen Moment der tiefsten Ruhe. Dvorak nannte das Largo auch „Legende“, ein Trauergesang des Indianers Hiawatha, der den Tod seiner Angebeteten beklagte. Die Zeit stand hier still, die Musik erklang in einer Bildhaftigkeit, die tief berührte. Ein unvergesslicher Moment im emotionalen Breitwandsound.

Wunderbar locker und tänzerisch leicht geriet dann das Scherzo. Auch hier verarbeitete Dvorak Motive aus dem Hiawatha Epos in Form eines Hochzeittanzes. Besondere Akzente durfte hier die Pauke in prägnanten Betonungen setzen.

Kaum ein symphonischer Satz in Dvoraks Werk dürfte derart dynamisch sein, wie der finale Satz. Hinzu kommt seine verblüffende Meisterschaft in der Verarbeitung der Motive, so dass in diesem vierten Satz nochmals alle Hauptmotive erklingen. Järvi konnte im beschließenden Allegro con fuoco nochmals Energie freisetzen, die begeisterten und mitrissen. Das Orchester spielte um sein Leben, voller Leidenschaft und Emphase. Selten ist ein Orchester derart risikobereit zu erleben.

Järvi zeigte sich in dieser Symphonie als Meister in der dynamischen Gestaltung, der die gesamte Bandbreite vom körperhaften Piano bis ins gewaltige Fortissimo traumwandlerisch sicher ausspielte. Spannend und ungewohnt anders waren die wiederkehrenden ruppigen Momente im Orchesterspiel. Dazu passte auch, dass Järvi auf alte Hörtraditionen verzichtete. So gab es keinerlei effektvolle Ritardandi, im Gegenteil Järvi stürmte stets nach vorne, ohne dabei in Hast zu verfallen.

Das Tonhalle Orchester Zürich zeigte eine eindrucksreiche Umsetzung dieser vielschichtigen Partitur. Fantastisch die Perfektion und das aufmerksame Hören untereinander. Dieser Eliteklangkörper begeisterte in allen Gruppen. Zudem verfügt das Orchester über ausgezeichnete Solisten, die ihre Soli zu sehr persönlichen Beiträgen formulierten. Es war ein besonderes Erlebnis, diese herrliche Symphonie auf diesem Niveau zu hören. Weltklasse aus Zürich, die vom jubelnden Publikum mit stehenden Ovationen belohnt wurde.

Und so durfte sich das Auditorium über einen schwungvollen ungarischen Tanz No. 1 von Johannes Brahms als Zugabe freuen. Ein schöner Abend!

Dirk Schauß, 27. August 2022

(c) Rheingau Musik Festival