Wiesbaden: Sean Shibe, Orchester des Schleswig-Holstein Musikfestivals: Dvořák, Rodrigo

Konzert am 20. August 2022, Friedrich-von-Thiersch Saal

Seit langer Zeit ist Dirigent Christoph Eschenbach dem Schleswig-Holstein Musikfestival verbunden. Alljährlich bilden die besten Nachwuchsmusiker aus dem In- und Ausland das Orchester des Festivals, um innerhalb einer Projektphase ein anspruchsvolles Programm einzustudieren.

Antonín Dvořák: Konzertouvertüre op. 92 „Karneval“

»Natur (In der Natur), Leben (Karneval) und Liebe (Otello)« – diese Ouvertüren-Trilogie schrieb Antonin Dvořák Ende des 19. Jahrhunderts. Ausgelassen, voller Vitalität mit prasselnden Beckenschlägen beginnt die Karneval Konzertouvertüre und wird im Mittelteil von einem elegischen Motiv in der Klarinette kontrastiert.

Christoph Eschenbach dirigiert diese Ouvertüre oft und gerne. Seine besondere Verbundenheit mit diesem effektvollen Werk war ihm jederzeit anzumerken und so konnte das Orchester des Schleswig- Holstein Musikfestivals sich zu Beginn äußerst vital und feurig präsentieren. Der spielerische Elan und die Klangfülle des Orchesters waren begeisternd, so dass es bereits für diesen ersten Beitrag stürmische Begeisterung gab. Ein schöner Beginn!

Joaquín Rodrigo: Concierto de Aranjuez

Was die Oper „Carmen“ in der Oper ist, dass ist das bekannteste Gitarrenkonzert der Musikliteratur: das „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo. Beide Werke sind d i e musikalischen Sinnbilder für Spanien.

Rodrigo schrieb sein Meisterwerk in dunkler Zeit, im Jahr 1939. Es ist autobiographisch und programmmusikalisch zu betrachten. Der spanische Komponist liebte die königlichen Gärten des Palastes von Aranjuez. Viele unbeschwerte Stunden des Glückes verbrachte er darin mit seiner Frau Vicky (Victoria). Er nannte sie sein „Augenlicht“, da Rodrigo durch eine Diphterie Erkrankung erblindet war. Größte Popularität bis hin zur Schlagerschmonzette erreichte sein Adagio des Konzertes. In Wahrheit ein Trauergesang und eine Anklage des Komponisten, der mit diesen Klängen die Totgeburt seines Sohnes verarbeitete.

Solist des Abends war der junge Schotte Sean Shibe, der in diesem Jahr den Leonard Bernstein Award vom Schleswig-Holstein Festival erhielt. Shibe ist enorm vielseitig. Er arrangiert und ist ebenso an der E-Gitarre überaus aktiv. Große Popularität erlangte er durch eine eigene Radio Sendung bei der BBC.

Shibe war ein intensiver Gestalter des Konzertes. Mit großem technischem Können entwickelte er eindringlich jede Phrase. Höhepunkt war das außerordentlich gefühlvoll vorgetragene Adagio. Solist und Dirigent nahmen sich sehr viel Zeit. Besonders in den langsamen kantablen Momenten befragte Shibe intensiv die Komposition, bohrte sich tief in sie hinein und verschmolz dabei komplett mit seinem Instrument. Es war schon eine besondere Hörerfahrung, wie weit Shibe die Dynamik zurücknahm. Und auch Eschenbach mit seinem engagierten Orchester tat es ihm gleich. Somit entstand ein einzigartiger Gesang zwischen Gitarre und Orchester, geradeso als sängen zwei Troubadoure von diesem Leid.

Ein heiterer, auflösender Kontrast war das beschließende Allegro gentile, dass mit einem subtilen Augenzwinkern vorgetragen wurde.

Eschenbach war ein vorbildlicher Begleiter, der jede Nuance aufnahm und zum vorbildlich ausgeführten Dialog nutzte. Das Orchester des Schleswig-Holstein Musikfestivals agierte sehr aufmerksam und mit fein ausgewogener Klangsinnlichkeit. Anrührend gelang das Solo des Englischhorns im zweiten Satz.

Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88

Im zweiten Teil wurde das Publikum mit einer mitreißenden Darbietung von Antonín Dvořáks 8. Sinfonie beschenkt. Der Komponist leitete selbst die Uraufführung seines Werkes 1890 in Prag. Unendlich sind seine genialischen melodischen Einfälle und der pulsierende Rhythmus der musikalischen Themen.

Christoph Eschenbach bewies auch hier einmal mehr seine große Affinität zu diesem genialischen Komponisten. Mit großem Elan und ausgeprägter Kantabilität zeigte er einmal mehr seine Ausnahmestellung als einer der größten Dirigenten der Gegenwart. Seine Interpretation war derart voller Lebensfreude und Musizierfreude angereichert, dass die zahlreichen Zuhörer über diese herausragende Darbietung in grenzenlose Euphorie gerieten. Dieser Dvořák erklang offensiv und zuweilen auch etwas derb in den Blechbläsern, was genau richtig und passend erscheint. Das war keine parfümiert tönende Weltschmerz Symphonie. Nein, Eschenbach und das so engagiert mitgehende Orchester formulierten einen orchestralen Hochgesang auf das Leben! Dazu gelangen dem Orchester vortreffliche Soli: zauberhafte Holzbläser, strahlende Hörner, leuchtende Trompeten, im Verein mit den auftrumpfenden übrigen Blechbläsern und eine rhythmisch präzis auftrumpfende Pauke! Getragen wurden sie von der blendend aufgelegten Streichergruppe, die mit beachtlicher Klangfülle aufzutrumpfen wusste.

Mit Elan und Kantabilität intonierte die homogene Cellogruppe das choralartige Eingangsthema, gefolgt von subtilen Blechbläserfarben im Dialog mit den Vogelstimmen der Holzbläser. Freude und rauschender Lebensenthusiasmus wurden vom Dirigenten und seinem Orchester ausgezeichnet zur Geltung gebracht.

Im Adagio kam die Musik völlig zur Ruhe. Sehnsucht, Impressionen einer weiten Landschaft mit einem feinen Chor aus Naturlauten in einer nie endenden Melodie formulierte Dvořák in einem hinreißenden Satz musikalischer Vollendung. Eschenbach ließ die Melodie blühen und atmen. Immer wieder begeisterte sein überragendes Timing, die Überlegenheit in der dynamischen Gestaltung.

Das sensible Orchesterspiel geriet berührend und transparent zugleich. Auch in den Forte Aufschwüngen blieb die Klangkultur jederzeit gewahrt.

Ein heiteres Intermezzo dann im Walzer des dritten Satzes, den Eschenbach mit feiner Agogik gestaltete.

Mit energischen Fanfaren stürmte Eschenbach in den Freudentaumel des letzten Satzes. Die Hörner waren mit ihren prominenten Trillern strahlend präsent. Völlig souverän dann das herrlich virtuose Solo der Flöte. Lebensfreude pur und tänzerischer Elan waren allgegenwärtig.

Nach dem Presto Teil des Finales gab es im Wiesbadener Kurhaus kein Halten mehr. Lange, intensive, stehende Ovationen feierten Orchester und den großartigen Christoph Eschenbach.

Dirk Schauß, 21. August 2022