Zum Auftakt der „Aufführungs-Matinée anlässlich des 475. Gründungstages der Staatskapelle Dresden“ dirigierte als ihr Hausdebüt die aus Taipei stammende und in Wien ausgebildete Yi-Chen Lin die Konzertouvertüre „Die Hebriden op. 26“ von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Mit dem aus unmittelbaren Erleben einer Schottlandreise des jungen Genies geschöpfte Werk vermittelte Frau Lin mit einem beeindruckend markanten Dirigat den Hörern mit stimmungsvollen Bildern Eindrücke der schottische Landschaft, vom Meer und von den sagenumwobenen Höhlen des altgälischen Helden Fingals. Die Musiker folgten hautnah ihren Direktiven und hatten sichtlich Freude am Zusammenwirken.
Das „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107“ von Dmitri Schostakowitsch dürfte inzwischen neben den beiden Haydn-Cellokonzerten aus den Jahren 1765 bzw. 1783, den Cello-Konzerten Antonin Dvořáks von 1895 und Edward Elgars von 1919 eines der am häufigsten aufgeführten Werke dieser Gattung sein.
Die von Schostakowitsch dem Cellisten Mstislaw Rostropowitsch gewidmete Komposition wurde im Oktober 1959 in Leningrad vom Widmungsträger zum ersten Mal öffentlich gespielt. Bereits im Folgejahr kam das Konzert bei der Staatskapelle Dresden ebenfalls mit dem Solisten Mstislaw Rostropowitsch zur Aufführung. Seit dieser Zeit gehört das Opus 107 Schostakowitschs zum Erinnerungskern des Dresdner Musiklebens.
Das Verhältnis Dmitri Schostakowitschs zur sowjetischen Kulturpolitik ist uns weitgehend geläufig. Wie aber die Macher der sowjetischen Kulturpolitik zum Komponisten und Menschen Dmitri Schostakowitsch standen, ist zumindest mir noch immer nicht bekannt. Da fehlt auch die Akteneinsicht.
Ob Schostakowitsch mit dem Cellokonzert auf aktuelle Umstände der Zeit reagieren wollte, kann nur vermutet werden. Die Suliko-Floskel des georgischen Volksliedes „Suchte ich das Grab meiner Liebsten“ im vierten Satz kann nur als spöttisch-sarkastisch gedeutet werden. Um Stalin ein menschliches Antlitz zu verleihen, galt das sentimentale Stück in der Propaganda als dessen Lieblingslied. Schostakowitsch dürfte aber auch bekannt gewesen sein, dass der Diktator allerdings dem populärem „Flieg, schwarze Schwalbe, flieg“ den Vorzug gab.
Als Solist des Konzertes wurde der 1996 in Stuttgart geborene Konzertmeister der Violoncelli der Sächsischen Staatskapelle Sebastian Fritsch wirksam. Mit seinen inspirierenden Interpretationen als Solist mit einer Vielzahl von Orchestern hat er sich bereits in der Spitzengruppe der jüngeren Cellisten etabliert.
Sehr zügig, aber zurückhaltend in der Dynamik begann Sebastian Fritsch den Kopfsatz und wiederholte mehrfach die kurzen Motive, immer wieder vom hervorragenden Horn solistisch unterstützt. Mit durchhaltender Intensität, ohne an schroffen Ecken und Kanten der Partitur den Schönklang zu opfern, fesselte er seine Hörer mit prägnanter, fast perkussiven Behandlung der Partitur. Die Dirigentin Yi-Chen Lin hielt beim Moderato betonten Kontakt mit dem Solisten und gestaltete den Satz hellwach, dabei betont weich, lyrisch mit verhaltener Dynamik. Der Solist musizierte mit intensivem Singen in breiten dynamischen Bögen, dabei ruhig, unaufgeregt und nie forcierend.
Auf die elegische Klage des langsamen Satzes folgte als gleichsam selbstständiger Satz die extensiv ausgedehnte Kadenz. Höchstes Können und kluge Gestaltungskunst wurde vom Solisten geboten, als er zunächst im intensiven Dialog mit seinem Instrument etwas verträumt die elegische Klage intonierte. Grandios meisterte er die äußerst leisen Passagen mit ihrer schwierigen Gestaltung der Pausen. Fast aus dem Nichts führte Sebastian Fritsch den zweiten Teil der Kadenz zu einem regelrechten Ausbruch, um dann der Dirigentin Platz für den mit drängender Energie geladenen Schlusssatz zu geben. Das völlig verrückte Finale nahm Fritsch beinah spielerisch und ließ sich weder vom robuster auftretenden Orchester noch von den Themenbruchstücken beeindrucken.
Besonders beeindruckten die sonore Tonlage, die melodiöse Beweglichkeit und die Kraft des von Sebastian Fritsch vorgestellten Violoncello aus der Werkstatt von Thorsten Theis. Der 1971 in Waldbröl geborene Instrumenten-Schöpfer Theis beweist, neben anderen Profilierten der Zunft, dass in der heutigen Zeit Klangwerkzeuge zu schaffen sind , die den hochgelobten „Alten Italienischen“ durchaus ebenbürtig sein können und bei messtechnischen Vergleichen durchaus auch bessere Ergebnisse erreichen. Thorsten Theis hatte ursprünglich der Beruf eines Metall-Formenbauers erlernt und ist damit am präzisen Arbeiten im Hundertstel-Millimeterbereich geschult. Seine Leidenschaft für den Werkstoff Holz hat ihn zu einer Instrumentenbauer- Lehre und 2002 zu einer eigenen Werkstatt geführt. Moderne Möglichkeiten, wie die Beurteilung von Hölzern mit Schallgeschwindigkeitsmessungen oder das Scannen alter Instrumente erlaubten, den alten Meistern ihre Geheimnisse zu entlocken. Bei Thorsten Theis hat vor allem aber seine direkte Zusammenarbeit mit Spitzenmusikern zu derart erstaunlichen Musikinstrumenten, wie dem von Sebastian Fritsch gespielten Cello aus dem Jahre 2016 geführt.
Den Abschluss der Matinee bildete die aufmunternde „Serenade E-Dur für Streichorchester op. 22“ aus Antonín Dvořáks (1841-1904) glücklichster Lebenszeit. Um mehr Zeit zum Komponieren zu finden, beendete der Bratschist Dvořák im Jahre 1873 seine Orchestermusiker-Tätigkeit und betrieb eine erfolgreiche private Musikschule. Ein von Eduard Hanslick (1825-1904) lanciertes großzügiges Künstler-Stipendium ermöglichte dem Mittdreißiger, sich auf seine junge Familie und auf seine Tondichtungen zu konzentrieren. Noch vom späteren Weltruhm unbehelligt, arbeitete er an der Entwicklung eines eigenen musikalischen Stils und schuf eine Folge hochkreativer Werke. Mit dem „ersten Klaviertrio op. 21“und dem „ersten Klavierquartett op.23“ erschloss sich Dvořák neue Kammermusikformen. Fast wie zur Erholung schrieb er zwischen diesen Werken innerhalb von zwölf Tagen mit seiner „Serenade für Streichorchester E-Dur“ sein, neben der neunten Symphonie, am häufigsten gespieltes Stück.
Diesen lebensbejahenden Kontrast zum Cellokonzert Dmitri Schostakowitschs gestaltete Yi-Chen Lin mit einer kraftvollen Streicher-Besetzung der Staatskapelle mit erstaunlich kammermusikalischer Struktur. Leichtfüßig erklang das Stück, indem die tiefen Streicher nie zu dominant in den Vordergrund traten, sondern dezent agierten. Frau Lin betonte die Klangschönheit des ersten Satzes, die Beschwingtheit des langsamen Walzersatzes und das an feinem Humor kaum zu überbietenden hyperaktive Scherzo. Zum Höhepunkt der Serenade gestaltete die Dirigentin mit der Betonung der Romantik der Partitur den langsamen Satz, indem sie aus der feierlich wehmütigen Anfangswendung einen melancholischen Gesang herauswachsen ließ, um daraus einen strahlenden Höhepunkt zu entwickeln. Das kraftvoll packend beginnende Finale fasste die Episoden noch einmal Rondo artig zusammen, bis am Ende die Figuren verschwinden und der Kreis sich schloss. Als Ergebnis war ein exzellentes musikalisches Zusammenspiel hochkonzentrierter Musiker entstanden, das ein gut gestimmtes Publikum in den Nachmittag entließ.
Thomas Thielemann 25. September 2023
Aufführungsmatinée zum 475. Gründungstag der Staatskapelle Dresden
Semperoper Dresden
24. September 2023
Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzertouvertüre „Die Hebriden“ op. 26
Dmitri Schostakowitsch: Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107
Antonín Dvořák: Serenade E-Dur für Streichorchester op. 22
Dirigentin: Yi-Chen Lin
Solist: Sebastian Fritsch
Sächsische Staatskapelle Dresden