Graz: „Scherzi musicali“

30. Juni 2015, Orpheum

Monteverdis erotische Scherze

Das überaus reichhaltige Programm der Styriarte wird in diesem Jahr an insgesamt 13 verschiedenen Veranstaltungsorten in und um Graz geboten. Das erste Konzert, über das für den „Opernfreund“ heute berichtet wird, fand im Grazer Orpheum statt – schon vom Namen her also durchaus passend zu Monteverdi. Das Orpheum mit seinen rund 600 Plätzen im Hauptsaal gehört zu den Spielstätten der Bühnen Graz-Steiermark und hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Zu Lebzeiten Monteverdis war hier noch ein Pestfriedhof, der dann erst von Kaiser Franz Josef aufgelassen wurde. Auf dem Gelände wurden danach ein Gasthaus, ein Brauhaus ein Badehaus, eine Bierhalle und letztlich im Jahre 1899 ein Varieté-Theater errichtet. Der Name dürfte einer amerikanischen Varieté-Kette nachgebildet sein, die in jeder größeren Stadt ein Orpheum -Theater hatte. (Die Marx- Brothers reisten auf ihren Touren von Orpheum zu Orpheum). Heute ist das Grazer Orpheum eigentlich eine Spielstätte für Rock, Pop, Jazz und Kabarett – Und wie passt Monteverdi in dieses Haus??

Wenn man an sich die wechselhafte Vorgeschichte des Veranstaltungsortes – vom Pestfriedhof zum Varieté-Theater – vor Augen hält, dann überrascht die Ankündigung der schon vor sechs Jahren erschienenen CD (mit einigen Stücken des Grazer Programms) des virtuosen italienischen Ensembles „La Venexiana – dort heißt es nämlich: „Die Republik Venedig wurde zwischen Sommer 1630 und Herbst 1631 von einer Pestepidemie heimgesucht, was u. a. auch verheerende Folgen für die venezianische Wirtschaft hatte. Monteverdis 1632 veröffentlichte Scherzi musicali lassen sich in diesem Zusammenhang zum einen als Versuch ansehen, dem Bedürfnis der Bürger nach Zerstreuung nachzukommen, zum anderen auch den venezianischen Musikverlegern zu helfen. Zwar haben wir, Gott sei Dank keine Pestepidemie hinter uns, doch hat unsere Wirtschaft schon rosigere Zeiten gesehen. Da kommt die heiter unterhaltsame Musik Monteverdis gerade recht.“

Das passt wahrlich geradezu frappierend – nicht nur zum Veranstaltungsort, sondern auch zur aktuellen europäischen Wirtschaftslage……

So wie vor bald 400 Jahren in Venedig haben sich nun auch in Graz „die Bürger“ köstlich unterhalten. Die Musik Monteverdis, ergänzt durch Stücke seiner Zeitgenossen Biagio Marini und Tarquinio Merula, ist von einer zeitlosen Frische – und gar, wenn sie derart viruos und animiert-lebensfroh präsentiert wird, wie an diesem Abend von den elf Musikerinnen und Musikern des zu Recht renommierten Ensembles „La venexiana“. Das weltweit konzertierende Ensemble brachte nach Graz ein Programm mit, das 2015 schon wiederholt in Frankreich, in Japan und in England erklungen war. Es begann mit heiteren Gesängen voll der erotischen Metaphern aus Flora und Fauna und wandte sich dann „diversen ‚Spielarten‘ der Liebe zu: Küssen und Beißen, Alte und Junge, Liebespfeile und Liebeskrieger – alles ausgedrückt in herrlicher Musik von Claudio Monteverdi und seinen Zeitgenossen.“ Wie immer bei der Styriarte ist das Programmheft sorgfältig redigiert – man kann darin alle Texte auf Italienisch und auf Deutsch nachlesen.

Claudio Cavina leitete das von ihm 1998 gegründete Ensemble diskret, aber mit straffen Gesten vom Cembalo aus und ist den vier Gesangssolisten ein aufmerksamer Begleiter. Da gibt es nie ein Nachlassen der Spannung, wohl aber eine immer federnd-rhythmische Basis bei gleichzeitig flexibler Anpassung an den Fluss der Sprache – ganz im Sinne von Monteverdis Wahlspruch „L’orazione sia padrone del armonia e non serva“ – das Wort sei Gebieterin der Musik und nicht ihre Slavin. Alle vier Gesangssolisten beherrschen ihr Metier perfekt und artikulieren ungemein plastisch. Man kann somit verschmerzen, dass man wegen mangelnder Saalbeleuchtung die Texte im Programmheft nicht mitverfolgen kann.

Die Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli ist der umschwärmte weibliche Mittelpunkt des Abends. Sie singt stilgerecht ohne Vibrato, mit vielfältigen Klangfarben und mit sicheren Koloraturen. Besonders köstlich und drastisch ist ihr Duett „Bel Pastor“ mit dem ebenso ausdrucksreichen Tenor Alessio Tosi . Bei diesem Duett wird das Konzertpodium tatsächlich zur Bühne – umso mehr als die beiden anderen (pausierenden) Solisten den Tenor mit lebhaftem Mienenspiel und drastischen Gesten in seinem Liebeswerben aneifern und ermuntern.

Der Tenor Alberto Allegrezza liefert mit der (auswendig vorgetragenen) Arnalta-Szene aus „Incoronazione di Poppea“ ebenso ein Kabinettstück drastischen Musiktheaters wie die drei Herren gemeinsam im Madrigal „Eccomi pronta ai baci!“ , in dem eine junge Frau ihren Liebhaber auffordert, sie zu küssen, aber ja nicht zu beißen. Ironischerweise hat Monteverdi das Madrigal mit drei Männerstimmen besetzt und so gesellte sich zu den beiden Tenören der Bariton Mauro Borgioni . Auch er überzeugte mit plastischer Textgestaltung und verstand es, alle Ensembles mit warmer Stimmfarbe zu unterlegen. Für das Schlussstück hatte man jene Szene aus „Il ritorno d’Ulisse in patria“ gewählt, in dem die drei Herren als Freier Penelopes sich vergeblich mühten, den – ihnen vom Dirigenten gereichten – Bogen (des Odysseus zu) spannen. Auch dies wurde musikalisch, aber auch mit Gesten drastisch und überzeugend präsentiert.

Am Ende gab es großen und verdienten Jubel für einen ungemein anregenden Abend italienischer Madrigal- und Musiktheaterkunst. So wünscht man sich heute die Wiedergabe „alter“ Musik: plastisch, abwechslungsreich, geradezu swingend – einfach perfekt.

Hermann Becke, 1.7.2015

P.S Veranstaltungsfotos

Da der Veranstalter keine Fotos anbieten konnte, müssen wir uns diesmal mit Amateurfotos begnügen, um ein wenig die Atmosphäre des Abends zu vermitteln

Drei Hinweise:

– Die Styriarte steht im Jahre 2015 und dem Generalmotto „….und lachte“ – und wurde wenige Tage nach dem Amoklauf in Graz mit Toten und Verletzten und just an dem Tag der Terroranschläge in Frankreich, Tunesien eröffnet. Intendant und Dramaturg begründen in einem Video eindrucksvoll, warum trotz – oder vielmehr gerade wegen – dieser furchtbaren Ereignisse die befreiende Kraft der Kunst unverzichtbar ist.

– Das Konzert wurde vom Österreichischen Rundfunk aufgezeichnet und kann ab 6.Juli sieben Tage lang nachgehört werden – hier der link

– Die Styriarte bietet in Zusammenarbeit mit einer Grazer Tageszeitung heuer eine Kritiker-Schule : „Orientiert an den legendären Kritikerseminaren des Wolf-Eberhard von Lewinski laden wir junge Menschen ein, sich in diesem Fach umzutun.“ Die „Scherzi musicali“ waren eines der beiden Projekte, die „mit Vorbereitung, Konzertbesuch, Rezension und Diskussion der Ergebnisse, teilweise gemeinsam mit den betroffenen Künstlern“ für die Kritiker-Schule zur Verfügung standen. Man darf gespannt auf die Ergebnisse sein, die wohl hier demnächst nachzuverfolgen sein werden.