Berlin: „Adams, Dvořák, Rachmaninow“, Konzerthausorchester unter Joana Mallwitz

Im offiziellen Programm des Musikfests Berlin ist das Eröffnungskonzert des Konzerthausorchesters nicht gelistet, aber es fügt sich bewußt in dessen Amerika-Schwerpunkt ein, mit einem Werk, wie es amerikanischer nicht sein könnte (John Adams‘ The Chairman dances), und zwei in den USA entstandenen Spätwerken von Repräsentanten der großen europäischen Musiktradition (Dvořáks Cellokonzert und Rachmaninows Symphonische Tänze).

Selbstverständlich muß ein Eröffnungskonzert auch den aktuellen Artist in Residence präsentieren, heuer der Cellist Sheku Kanneh-Mason. Die Hauptattraktion des Abends ist aber die Chefdirigentin. Joana Mallwitz leitet bereits seit einem Jahr jenes Orchester, das seit der Wiedervereinigung ein wenig im Schatten der anderen großen Klangkörper der Hauptstadt gestanden hat, und noch immer meint man, die Frische und den Schwung des Neubeginns spüren zu können. Das Eröffnungskonzert und seine Reprise waren schon viele Wochen zuvor ausverkauft. Das zeigt eine ungebrochene Ausstrahlungskraft über das treue Stammpublikum hinaus.

© Simon Pauly

Diese Aufmerksamkeit für die Frau an der Spitze birgt für das Orchester Chancen und Gefahren. Eine Gefahr könnte darin bestehen, daß die Musiker nur als Vehikel zur weiteren Profilierung einer starken Dirigentenpersönlichkeit dienen. Das Eröffnungskonzert zerstreut derartige Bedenken. Die Präsentation des Hauptwerks im zweiten Teil, der Symphonischen Tänze von Rachmaninow, hat nichts von einem Dirigenten-Egotrip. Vielmehr läßt die Chefin jede Orchestergruppe im denkbar günstigsten Licht erstrahlen, von den farbigen Holzbläsern über das homogene Blech bis zu den athletisch-sehnigen Streichern. Stark, klar und schnörkellos wird die reiche Partitur in größter Plastizität ausgebreitet, mit idealen Tempi, tänzerisch-federnden Rhythmen, organischen Rubati und mustergültiger Transparenz – pure, spannungsgeladene Musik. Diese Interpretation würde man gerne auf Tonträger besitzen.

Darin besteht die Chance des Medien-Hypes um die junge Dirigentin: Daß nun auch der von ihr zur Hochleistung inspirierte Klangkörper als solcher neben Philharmonikern, Staatskapelle, DSO und RSB als Mitspieler auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Denn keineswegs hat Joana Mallwitz das Rad neu erfunden. Sie kann auf die langjährige Arbeit vor allem von Iván Fischer aufbauen, der als ihr Vor-Vorgänger unermüdlich an der Klangbalance gefeilt hatte, um eine für das Konzerthaus optimale Orchesteraufstellung zu finden. Mallwitz knüpft daran etwa mit der ungewöhnlichen Aufreihung der Kontrabässe hinter den Bläsern an. Auch behält sie die Tradition einer „deutschen“ Aufstellung mit antiphonal angeordneten Geigengruppen bei, selbst wenn der Themenschwerpunkt eine „amerikanische“ Aufstellung nahelegen könnte. Das schadet auch nicht beim eröffnenden Foxtrott für Orchester The Chairman dances aus John Adams Oper Nixon in China. Adams selbst hat von einer „Technicolor-Partitur“ gesprochen, und so geben die Musiker das eingängige Werk wie süffig-swingende Filmmusik.

© Simon Pauly

Bei Dvořáks Cellokonzert allerdings, dem Hauptwerk im ersten Teil, hätte sich das Orchester mitunter gegenüber dem Solisten stärker zurückhalten dürfen. Sheku Kanneh-Mason verfügt über keinen großen Cello-Ton und gerät gegenüber dem Orchestertutti manches Mal ins Hintertreffen. Sehr schön gelingen Momente des Interagierens mit einzelnen Instrumenten und Gruppen. Gerade im langsamen Mittelsatz stellt sich dann eine beseelte kammermusikalische Intensität ein. In der laufenden Saison wird man ihn am Konzerthaus in verschiedenen Kammermusikformationen erleben, wo er die Stärken seines gesanglichen Cello-Tons ausspielen kann. Der Jubel für den bescheiden auftretenden jungen Musiker ist am Ende groß und steigert sich noch nach einer ungewöhnlichen Zugabe, bei der er eine Folk-artige Melodie pfeift und sich dabei selbst auf seinem Instrument begleitet.

Das Konzerthausorchester ist mit diesem Auftakt vielversprechend in die neue Saison gestartet. Die Verbindung der neuen Chefin zu ihrem Klangkörper hat das Potential, zu einer „Ära“ zu werden.

Michael Demel, 8. September 2024


John Adams: „The Chairman Dances“ – Foxtrott für Orchester
Antonín Dvořák: Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104
Sergej Rachmaninow: Symphonische Tänze op. 45

Konzerthaus Berlin

7. September 2024

Sheku Kanneh-Mason, Violoncello
Joana Mallwitz, Musikalische Leitung
Konzerthausorchester Berlin