im Konzerthaus am 5.05.2017
Maurizio Kagel
Auswahl aus „Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen
Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in B-Dur op 19
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr 1 in C-Dur op. 21
Bernd Alois Zimmermann
Musique pour les Soupers du Roi Ubu, Ballet noir en sept
Was für ein tolles Konzert !
Solch einen immensen Spass kann also ein Klassikkonzert machen! Da haben sich die Programmverantwortlichen des Konzerthauses Berlin zum Abschluss des Zyklus mit sämtlichen Klavierkonzerten Beethovens ganz besondere musikalische Leckerbissen ausgesucht, um das eher selten gespielte Klavierkonzert Nr. 2 gebührend einzubetten. Chefdirigent Iván Fischer (Bild unten) und der in dieser zehntägigen Hommage geehrte Alfred Brendel setzten nämlich Mauricio Kagel und Bernd Alois Zimmermann an Beethovens Seite – und so oft lachend, schmunzelnd und amüsiert raunend habe ich ein Konzertpublikum noch nie erlebt – bis manchem dann am Ende doch ab und an das Lachen im Halse stecken blieb.
Alle, die den Saal nach Beethovens Sinfonie verliessen, verpassten ein musikalisches und inhaltliches Feuerwerk der Extraklasse, nämlich Bernd Alois Zimmermanns MUSIQUE POUR LES SOUPERS DU ROI UBU.
Die sieben Teile dieses Ballet Noir wurden ergänzt mit Gedichten aus der Feder des Geehrten – Alfred Brendel ist ja nicht nur als genialer Klavierspieler bekannt, er betätigt sich auch als Lyriker und Essayist. Die makaber-absurden Texte scheinen nur auf den ersten Blick lustig zu sein, schnell aber entdeckte man den schwarzen, bissigen Humor dahinter und so blieb einem eben das Lachen doch oft im Halse stecken. Mit den Gedichten ist Brendel dann auch ganz nahe bei der Vorlage für Zimmemanns Komposition, dem surrealistische. Drama von Alfred Jarry, in dem ein tollpatschiger Spiessbürger zum Diktator aufsteigt und am Ende alle Künstler und Intellektuellen im MARCHE DU DÉCERVELLAGE (Gehirnausquetschung) vernichtet. Und diese Verachtung der Intellektuellen und der Künstler gemahnt uns doch exakt an die Populisten unserer Zeit, von Trump über Wilders, Blocher, Le Pen zu Höcke und wie sie alle heissen. Brendels Zwischentexte, diese vor tiefsinnigem makabren Humor nur so strotzenden Gedichte, wurden vom Schauspieler Max Hopp mit augenzwinkernder Ernsthaftigkeit vorgetragen – grossartig. Mit dem Fahrrad fuhr er aufs Podium, begrüsste umständlich den Dirigenten, bevor er dann zu seinen Rezitationen der Brendel-Gedichte anhob und am Ende mit dem Rad quer durch den Mittelgang des Parketts den Saal wieder verliess.
Zu diesem textlich-inhaltlichen Hochgenuss gesellte sich der musikalische. Man spürte die Lust der Musikerinnen (reich besetzte Holz- und Blechbläser, Schlagzeuge, Gitarren, Jazz-Combo, Harfe, Klavier, Celesta, Orgel und ausser vier Kontrabässen keine Streicher), den Spass des Dirigenten an dieser von Zitaten nur so gespickten Musik. Da war in verfremdeten Splittern alles zu hören, was in der Musikgeschichte Rang und Namen hat – auch vor Zitaten aus dem eigenen kompositorischen Umfeld schreckte Zimmermann nicht zurück, selbst Intimfeinde wie Stockhausen kamen zu Ehren, so im letzten Teil, wo sich enervierenden Akkorde aus seinem Klavierstück IX dem Walkürenritt Wagners und Belioz‘ Symphonie fantastique stellen müssen. Die tänzerische Grundstruktur der Renaissance-Musik blieb das ganze Werk hindurch erhalten, wurde immer wieder durch Einsprengsel verfremdet, abgelenkt, auf neue Gleise geschickt. Ein herrlicher Ohrenschmaus und eine herausfordernde Arbeit für musikalische Detektive!
Eingeleitet wurde dieser Abend mit einer Auswahl von fünf Märschen aus Mauricio Kagels ZEHN MÄRSCHE UM DEN SIEG ZU VERFEHLEN. Hier als Beispiel Marsch Nr.1. Auch dies natürlich herrlich groteske Musik, geschrieben zum Hörspiel DER TYRANN, in welchem Kagel Zitate von Politiken mit ihren leeren Worthülsen auf die Schippe nimmt. Bei der Wiedergabe rückten die beiden Schlagzeuger in den Fokus der Aufmeksamkeit, da sie (wie es der Komponist empfahl ) mit "variablen instrumentalen Erweiterungen „auftrumpften". So rückten eine Mülltüte, ein Waschbrett, eine Konservendose u.v.a.m. ins Zentrum der Aufmerksamkeit und man musste aufpassen, darob nicht die 25 herausragenden Solistinnen und Solisten des Konzerthausorchesters Berlin an den Blasinstrumenten zu vergessen. Denn wie sie diese aus dem Tritt fallende Musik spielten, Hörerwartungen unterliefen, das war ganz grosse Klasse. Zu diesem Sarkasmus Kagels passte dann natürlich auch der eingangs projizierte Videoausschnitt aus einem Gespräch mit Alfred Brendel, das in seinen Worten gipfelte, dass die Kunst die Aufgabe habe, dem "Chaos unserer Tage eine ästhetische Ordnung entgegenzuhalten". Brendel war erneut persönlich im Saal anwesend, bescheiden auf seinem Sitz in einer hinteren Loge den Beifall entgegennehmend und das Konzert offensichtlich geniessend.
Besonderen Anlass dazu bot ihm natürlich sein Schüler Kit Armstrong, welcher kurzfristig den Solopart in Beethovens Klavierkonzert Nr.2 für den erkrankten Till Fellner übernahm. Armstrong hatte ja bereits am Abend zuvor mit Beethovens drittem Klavierkonzert brilliert (oper-aktuell.info hat darüber berichtet). Nun also spielte der junge Mann das seltener aufgeführte zweite Konzert, auswendig, wie wenn es zu seinem Standardrepertoire zählen würde. Kein Wunder, äusserte Brendel einmal über Kit Armstrong, dass dieser Pianist (er begann im Alter von fünf Jahren mit komponieren und Klavier spielen) das grösste Talent besitze, das ihm in seinem Leben begegnet sei. Nach der von Iván Fischer mit federndem Elan dirigierten Orchestereinleitung setzte Armstrong mit perlenden Läufen ein, virtuos, dynamisch fein abgestuft, den Blick dabei nie auf den Tasten, sondern immer ins Orchester gerichtet, was zu einer spannenden und präzisen Art des Zusammenspiels führte. Spätestens in der Kadenz wurde jedem im Saal klar, mit welch einer Begabung man hier erleben durfte. Doch neben aller Virtuosität begeisterte bei Armstrongs Spiel wiederum der langsame Satz, dieses Erforschen und Erkunden der Ruhe mit weichem Anschlag und zartesten Piani, die bis zum Zerreissen gehaltene Spannung, träumerisch, und doch das Ziel nicht aus den Augen verlierend. Und wie am Abend zuvor überraschte Kit Armstrong nach dem von ihm und dem Konzerthausorchester so spritzig intonierten Finale mit der Zugabe: Erneut kein Bravourstück, erneut in der Tonart des Klavierkonzerts verharrend, erneut eine Rückbesinnung auf einen vorhergehenden Meister – Johann Sebastian Bachs zweistimmige Invention in B-Dur spielte Armstrong mit weich und kristallin zugleich erklingendem ruhigem Fluss. Wunderschön!
Nach der Pause dann erklang, anknüpfend an Beethovens zweites Klavierkonzert, das ja eigentlich sein erstes ist, die erste Sinfonie aus der Feder des Sinfonikers Beethoven. Iván Fischer lotete in dieser Sinfonie deutlich das Revolutionäre und die Sturm und Drang Attitüde der Komposition aus, machte mit zupackendem Klang und wirkungsvoller Akzentsetzung klar, dass es Beethoven wegzog von höfischer Gefälligkeitsmusik und hin zu einer dramatisch geprägten musikalischen Aussage. Selbst dem nicht gerade sehr einfallsreichen zweiten Satz vermochte Fischer durch die Herausstellung der Sforzati Struktur zu verleihen. Im dritten und vierten Satz liessen einerseits das Feuer und die Verve aufhorchen, andererseits faszinierte zum Beispiel auch die Adagio-Einleitung des Finalsatzes, der dann im pulsierenden Vivace ein Frische und etwas beinahe Aufrührerisches bekam, jedenfalls ein gerüttelt Mass an Enthusiasmus versprühte.
Ja, zu solchen Konzertprogrammen geht man ausgesprochen gerne hin, Nahrung für Geist, Ohr und Herz!
Bilder:
Iván Fischer © Marco Borggreve / Konzerthaus Berlin
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