Detmold: „Cosi fan tutte“

besuchte Premiere am 1.06.2018

Parallelgeschichten

Wie kann man glaubhaft diese Geschichte verkaufen? – Zwei befreundete Männer tauschen ihre Freundinnen, um zu prüfen, ob diese ihnen treubleiben. Und die Freundinnen, die Schwestern sind, merken den Tausch gar nicht?

Anders: Gibt es so viel blinde Dummheit, die einen so billigen Trick nicht sofort erkennen lässt? Ja. Die gibt es. Ich habe genug fragwürdige Cosi-Inszenierungen gesehen, wo dem Publikum (und den Protagonisten) der glaubwürdige Identitätswechsel durch einen falschen Bart, Schnäuzer, Hut, Hose u.Ä. bewiesen werden sollte.

Gut, es soll nur eine schauspielerische Täuschung sein. Schlimm, wenn sie sich ernst bemüht, Realität zu sein, in der die betrogene Braut auf keinen Fall den Betrüger wiedererkennen könnte. Die Kleiderordnung zu Mozarts Zeiten machte es Männern einfacher, mit ihren Perücken, Schminke, Puder, Masken sich unerkannt für jemand anderes auszugeben. Damals ja. Aber heute? Die Grenze zur Lächerlichkeit liegt nahe.

Holger Potocki ersetzte den problematischen Identitätswechsel mit einem Zeitwechsel, ein guter Einfall und gut ausgeführt. Fiordiligi und Dorabella leben in verschiedenen Epochen. Auch wenn sie gleichzeitig auf der Bühne stehen, kommunizieren sie nicht direkt, sehen sich nicht. Fiordiligi ist eine Dame aus der Biedermeierzeit, Dorabella eine etwas chaotische junge Frau in prekären Verhältnissen heute.

Anfangs irritiert das. Die Bühne (Bühnenbild Azizah Hocke) steht – ohne eine sichtbar gezogene Linie – für zwei verschiedene, sich ideell nicht berührende Welten und zwei parallel verlaufende Erzählungen. Rechts ein primitiver Haushalt einer sagen wir sozialschwachen Frau, links ein bescheidenes Biedermeierkabinett. So unterschiedlich auch das Spiel: dezent und zurückhaltend vornehm links gegen die nicht gerade zimperlichen Wutausbrüche rechts – was zu demselben Ziel führt: Sehnsucht nach erotischer Geborgenheit.

Parallel verlaufen beide Liebesgeschichten, der Liebhaber zieht in den Krieg, an seiner statt kommt ein Fremder. Und der ist wirklich fremd, jeweils teleportiert aus einer Zeitentfernung von 200 Jahren. Na ja, licentia poetica erlaubt auch dies dem Regisseur.

Manchmal verwischt sich die Zeitentrennung – das ergibt sich zwangsweise aus der Handlung -, aber so geschickt, dass die Illusion der Parallelwelten aus den ersten Szenen bis zum Schluss fortdauert.

Despina – mit Leichtigkeit und einer gut dosierten Komik gesungen und gespielt von Katharina Ajyba – pendelt unbehelligt zwischen dem 21. Und 19. Jahrhundert. Mal ist sie eine kumpelhafte Freundin und Trösterin, mal ein braves Dienstmädchen.

Don Alfonso – selbstsicher nonchalanter Andreas Jören – schwebt auf Distanz zwischen beiden Zeiten / Welten, ohne sie wirklich zu berühren, er ist in dieser Rolle ein unaufdringlicher Beobachter ohne Eigenschaften. Obwohl – nach Da Ponte – ein alter Philosoph, ist er in Wirklichkeit ein fieser Intrigant, ein Küchenphilosoph, dem mal ein primitives Verwechslungsspiel einfällt, das in Hausfriedensbruch, Nötigung, arglistige Täuschung, versuchte Vergewaltigung, Heiratsschwindel und weitere Straftaten mündet. Das wirft immer wieder die Frage auf nach der seltsamen, von Da Ponte krass karikierten männlichen Logik: Wie zwingen Betrüger den Betrogenen Schuldbekenntnis auf. Denn der Schlussstrich: Glücklich der Mensch, der jedes Ding von der guten Seite nimmt…, ist nichts anderes, als nur der bemühte Versuch, alles wieder ins Lot zu bringen.

In seiner Inszenierung deutet Potocki nur an, dass hier die Betrüger letztlich die Betrogenen sind, aber er tut das konsequent genug, dass man von Anfang an den Eindruck nicht los wird, dass die beiden Frauen – und Despina – die Lage besser beherrschen, im 19. wie im 21. Jahrhundert. Das verleiht der Geschichte einen zusätzlichen Schub an Sympathie.

Und die Musik. Sie – unter der Leitung von György Mészáros – begleitet die dramatische Erzählungslinie mit gut überlegt variierten Tempi und passt sich aufmerksam der jeweiligen Spannung an. Dies bringt dem ganzen Abend eine Frische und den leichten Charme einer ausgewogenen Tragi-Komödie.

Die Hauptprotagonisten Megan Marie Hart (Fiordiligi), Lotte Kortenhaus (Dorabella), Insu Hwang (Guglielmo) und Stephen Chambers (Ferrando) überraschen von Anfang an mit einer Präzision im Ensemble, die Quartetten / Quintetten klingen sauber, klar, mit einer deutlichen Artikulation. Frisch und – manchmal nur leicht übertrieben – enthusiastisch.

Kurzum: Es ist eine wirklich gelungene, elegante Symbiose zwischen Regie und bestechender Interpretation. Fahrt nach Detmold, es lohnt sich.

Jan Ochalski 11.6.2018

Fotos: Landestheater Detmold/Birgit Hupfeld