Detmold: „La Cenerentola“, Gioachino Rossini

Rossinis wohl menschlichste und darum heute noch glaubwürdigste komische Oper La Cenerentola ist aktuell in Nordrhein-Westfalen auf den Bühnen in Düsseldorf sowie in Neuproduktionen in Hagen und Essen zu sehen. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, die Geschichte vom Aschenputtel von unterhaltsam bis tiefgründig zu inszenieren. Mit einer Neuinszenierung des Landestheaters Detmold wird nun auch der Osten des Bundeslandes bedient.

Mit dem genauen Titel (auf Deutsch) Aschenputtel, oder Der Triumph des Guten wird deutlich, dass die Oper, uraufgeführt 1817 in Rom, einen aufklärerischen Zweck verfolgt. Das Märchen von der gemobbten Stieftochter wurde verschiedentlich verschriftlicht, nicht nur von den Gebrüdern Grimm, sondern bereits im Barock von Charles Perrault. Jedoch verwendet der Librettist Jacopo Feretti nicht die typischen Märchenfiguren böse Mutter und gute Fee, sondern verwandelt sie in den mit der Erziehung von drei Töchtern überforderten sowie verarmten Vater Don Magnifico und den Lehrmeister des Prinzen, Alidoro, und streicht auch alles Phantastische. Der Prinz Ramiro sucht die schönste Frau im Lande zu heiraten und landet als sein eigener Diener verkleidet bei Magnifico. Der hofft, dass wenigstens eine seiner echten Töchter eine gute Partie gewinne. Die geizigen und streitsüchtigen Töchter Clorinda und Tisbe kümmern sich nicht um den vorgeblich niederen Gast, er aber und die Stieftochter Angelina (das Engelchen – nomen est omen!) finden Gefallen aneinander. Als Dandini, der Diener des Prinzen, jedoch als Prinz verkleidet, kommt, um die Töchter des Hauses zum großen Ball im Schloss abzuholen, will der Vater aber nur seine echten Töchter mitgehen lassen und schickt Angelina, die er für tot erklärt, heimlich arbeiten. Doch der kluge Alidoro weiß, dass drei Töchter im Haus leben, und verspricht Angelina, sie ebenfalls zum Ball zu bringen. Auf dem Ball erwecken die Töchter einen schlechten Eindruck, ebenso ihr Vater. Die hinzukommende verschleierte Angelina bezaubert die Hofgesellschaft, wird aber von ihrer Familie nicht erkannt. Durch den Kleidertausch zwischen Prinz und Diener kommt es zu Verwicklungen (beide singen „Ha, das gäbe ein Kapitel für den herrlichsten Roman“), die sich auflösen, als der echte Prinz nach einem Unfall Schutz im Hause Magnificos findet und er in Angelina die unbekannte Schöne wiedererkennt. Er, der einst vermeintliche Diener, hält um ihre, der Dienerin, Hand an; Vater und Stiefschwestern sind maßlos verärgert. Am Ende verzeiht Angelina allen, oder, wie der Chor singt: „Des Herzens Güte siegt“. In Detmold wird Italienisch gesungen.

© Jochen Quast

Mit drei prominenten weiblichen Rollen ist diese Oper vokal ausgeglichener als das bekannteste Rossini-Werk, der Barbier von Sevilla. Das zickige Schwesterpaar Clorinda und Tisbe, dargestellt in Detmold von Johanna Nylund und Lotte Kortenhaus, harmoniert musikalisch und darstellerisch hervorragend. Beide sind groß, blond und mit schönen Stimmen versehen. Das Aschenputtel hingegen ist davon kontrastierend klein und dunkelhaarig. Rina Hirayama ist auch stimmlich zurückhaltender, dezent in den Ensembles, kann sich im Quintett am Ende des ersten Aktes kaum gegen die kräftigen Herren behaupten. In den Soli und Duetten mit Ramiro aber kann sie ihren leuchtenden, klaren Mezzo mit sicheren Koloraturen überzeugend präsentieren. Insbesondere ihre virtuose Schlussarie wird zum Höhepunkt der Aufführung. Als ihr Prinz Ramiro kann der junge chinesische Tenor Anle Gou mit Schmelz, gut fokussierter Stimme, strahlenden Höhen, prägnant rollendes „R“s und ebenfalls sicheren Koloraturen überzeugen. Seinen Namen sollte man sich merken! Die komödiantischen Rollen übernehmen mit beweglichen Stimmen Ricardo Llamas Márquez als Don Magnifico – er muss seinen kräftigen Bass bei den Koloraturen stark zurücknehmen -, Andreas Jören als Dandini und Jaime Mondaca Galaz als Alidoro. Der ist ein geheimnisvoller Spindoctor mit häufigem Blick auf seine Uhr, um zu kontrollieren, dass alles nach seinem Plan verläuft. Gesanglich und darstellerisch lassen sie bis auf die erwähnte Einschränkung bei Márquez keine Wünsche offen.

© Jochen Quast

Regisseur Christopher Cowell entschied sich für eine unterhaltsame Inszenierung. Das Ganze spielt im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, warum auch immer, denn das Bedürfnis eines namhaften, aber verarmtes Vaters, seine Töchter in höhere Kreise zu vermitteln, besteht nicht nur in der damaligen Hauptstadt des Kapitalismus. Und dass er hier zum Lumpensammler degradiert wird, aber zum Ball einen Pelzmantel und Gehstock mit Silberknauf trägt, ist kaum nachvollziehbar. Ansonsten passen die Kostüme gut zum Konzept. Laut Programmheft durchzieht die Trauer über den gestorbenen Fürsten – Ramiros Vater – die gesamte Aufführung, so zieht der Leichenzug während Cenerentolas erster Cavatine über die Bühne. Ein weiterer Einfluss dieses Gedankens auf die Inszenierung ist nicht zu erkennen. Stattdessen beherrschen herrlich ausgespielte Situationskomik, bewusst übertriebene Gestik und prägnante Mimik das Geschehen. Die Drehbühne wird dominiert von einem Objekt, in das Angelina Lumpen zum Waschen wirft, das aber auch für einen Auftritt von innen und als Umkleide für Angelina für den Ball dient. Die Mitglieder des Herrenchores greifen zu passenden Gelegenheiten in die Handlung ein. Zum Schluss tritt Ramiro die Regentschaft an, wird dazu mit Akten überhäuft, quittiert davon genervt seinen Posten, setzt Alidoro seine Krone auf und tritt mit Angelina die Flucht an – ein überraschender Regieeinfall, mit dem die Klassengegensätze aufgehoben werden.

Die musikalische Seite der Aufführung ist nicht zuletzt wegen des temperamentvollen, gleichwohl feinsinnigen Spiels des Symphonischen Orchesters des Landestheaters Detmold unter der Leitung des GMD Per-Otto Johansson und des tadellosen Herrenchores von beeindruckender Qualität und die muntere Inszenierung durchaus sehenswert, denn die kritischen Anmerkungen sind kein Grund, sich diese Produktion nicht anzusehen. Das Publikum feierte lautstark und im Stehen alle Protagonisten einer gelungenen Premiere voller vokaler Glanzlichter.

Bernhard Stoelzel, 16. Februar 2025


La Cenerentola
Gioachino Rossini

Landestheater Detmold

Premiere am 14. Februar 2025

Inszenierung: Christopher Cowell
Musikalische Leitung: Per-Otto Johansson
Orchester des Landestheaters Detmold