Detmold: „West Side Story“

Premiere: Freitag, 13. September 2013

Gegen veraltete Musical-Inhalte setzt man am besten die Spielfreude junger Darsteller. Wovon sonst könnte man sich einen Erfolg versprechen, wenn man mit einem Stoff arbeitet, der vor 70 Jahren – mit Vorbehalt – als aktuell galt? West Side Story ist ein Musical, dem das Pionierhafte nachgesagt wird. Doch die Story, die in den 1950er Jahren die Kämpfe der kriminellen Straßenbanden theatralisch darstellen wollte und sie nie glaubwürdig darstellen konnte, verliert angesichts der heutigen Straßenkriminalität ganz den kritischen Kontext. Was bleibt sind Musik und Ballett, die Evergreens und die groß aufgebauten, dynamischen Tanzszenen. Ganz im Sinne von Leonard Bernstein und Jerome Robbins.

Das Werk entstand in den Köpfen von einem Choreographen und einem Musiker, und zwar in dieser Reihenfolge, und nicht in den Köpfen von Sozialarbeitern, Polizisten oder Jugendpsychologen. Der Choreograf Robbins sah die Gruppendynamik einer Straßenbande als Gruppendynamik der Balletttänzer auf der Bühne, der Musiker Bernstein die Spannung der Kontrapunkte: „Zwei Banden, aufeinander prallende dynamische Kräfte – ich habe sie vor Augen, ich spüre Rhythmen.“ Um daraus ein vorzeigefähiges Spektakel zu machen, brauchten sie nur noch eine zu diesem Rahmen passende Story.

Das Beste, was ein Stück universal macht, sind – seit es Liebe und Theater gibt – die Liebesgeschichte mit Hindernissen und die traurige Schönheit des Todes aus Liebe. Es sollte – nach Bernstein – eine moderne Version von Romeo und Julia werden. West Side Story ist ein Werk, das sich vorwiegend der Musik bedient: Bernstein war ein genialer Musiker, aber kein genialer Musik-Theatermacher. Die Musik gibt die Vorstellung, das Orchester und die Sänger mit ihren Songs voller Ohrwurm-Melodik. Die Story bleibt zweitrangig, sie ist ein Mittel, das das Theatergeschehen zusammenhält.

Die Detmolder Inszenierung (Regie Kai Metzger, Choreografie Richard Lowe) geht den einfachen, risikolosen Weg: Sie hält sich weitgehend an die Inszenierung der Uraufführung vor knapp 70 Jahren. Die Gruppenchoreografien wechseln sich mit den Songs ab, die Dialoge dazwischen sind nur ein Füllstoff. Diese dramaturgische Tücke kann die Regie nicht umgehen: Was macht man mit der Tanzkompanie, die nicht tanzt? Sie muss eine simpel gestrickte, durchschaubare Geschichte mimen. Das sind die Schwachstellen der Detmolder Inszenierung, Passagen, die den schnellen Fluss bremsen. Sobald das Ballett zum Sprechtheater wird, schwächelt das Tempo, die Spannung fällt. Man wartet auf das Fortkommen, wartet, bis wieder getanzt und gesungen wird. Ein Plus für die Choreografie, dass die statischen, manchmal nicht ganz verständlich gesprochenen Gruppenszenen, sich wie zufällig in Tanz auflösen. Dann lebt die Bühne auf, dann lebt auch die erzählte Geschichte weiter. Dass bei der geordneten Gruppen-Choreografie etwas chaotisch zugeht, stört nicht, schließlich stehen die Tänzer sinnbildlich für gesetzlose gewaltbereite Straßenbanden. Dem Tanzensemble, das für diese Produktion dank Sponsorengeldern mit externen Künstlern verstärkt wurde, merkt man deutlich die Freude am Spiel; hier besonders auffallend Stevie Taylor, vom Publikum gefeiert für ihren Sinn für Humor.

Katharina Ajyba glänzte als Maria-Darstellerin, an ihrer Seite agierte Kai-Ingo Rudolph als Tony. Ich meine, Katharina Ajyba würde in einer Opernrolle noch mehr glänzen; in West Side Story kontrastiert Ihre kraftvolle, reife Stimme zu deutlich mit dem Musical-Sound des Ensembles und mit der Rolle eines sehr jungen, ja unerfahrenen Mädchens.

Das Bühnenbild von Petra Mollérus verdeutlicht den Ort des Geschehens: Öde graue Betonblöcke werden zu Räumen, Wänden, Straßenwinkeln, Brückenpfeilern zusammen- und auseinandergeschoben.

Das Orchester (musikalische Leitung Matthias Wegele) hat mit der Akustik des kleinen, schmucken Landestheaters ein Problem: Die Bläser, in dieser Bernstein-Musik oft forte eingesetzt, klingen im Verhältnis zu anderen Instrumentengruppen so schrill, dass ich es nicht wagen kann, von einem Klangkörper zu sprechen, sondern vielmehr von Klangkörperteilen. Da müsste man noch viel Feinarbeit leisten und vielleicht mehr darauf achten, wie der Klang im Orchestergraben in Zuschauerraum ankommt.

Jan Ochalski Fotos: Landestheater /Björn Klein

Weitere Vorstellungen: So 29.09./ Fr 11.10./ So 13.10./ So 03.11./ Sa 07.12./ Do 26.12./ Fr 27.12.2013; Sa 08.02./ Sa 12.04./ Mo. 21.04./ Do 01.05./ Do 19.05.2014