Linz: „Die Frau ohne Schatten“

8.10. (Premiere am 30. 09.2017)

Atemberaubende Realisierung! Drei OF Sterne!

Es gab Zeiten, da haftete dieser Oper das Etikett an „spröde zu sein“. Spätestens aber mit der unvergesslichen Leonie Rysanek als Kaiserin, die sich für diese Oper zeitlebens besonders stark eingesetzt hatte, gehört der „Frosch“ zum Repertoire jeden größeren Opernhauses und stellt für dieses eine ungeheure Kraftprobe dar. Alleine an die 100 Musiker sitzen im Graben und die Glasharfe sowie ein Teil der Stimmen müssen über die elektronische Anlage in den Besucherraum eingespielt werden. Ein ungeheurer logistischer Aufwand, den das Ergebnis, das sei vorweggenommen, allemal gerechtfertigt hat. Der gut gemischte Cocktail an Quellen, Hofmannsthal bemühte u.a. Goethe, Hauff, Freud und Jung, ergab eine äußerst komplexe und komplizierte Märchenoper mit dem einen Hauptthema des Segens der Liebe durch Geburt von Kindern. Und der „Schatten“ in dieser Oper steht als Symbol für die Fähigkeit zur Mutterschaft, welche die Kaiserin nicht besitzt, da das Licht durch sie wie durch Glas durchdringt. Traditionell bedeutet das Fehlen eines Schattens aber auch, dass jene Person mit bösen Mächten, in der Oper in Gestalt der Amme, im Spiel ist. Diese zweite Deutung schwingt auch bei der „Frau ohne Schatten“ im Hintergrund mit.

Intendant Hermann Schneider zeigt gleich zu Beginn der Oper die Transformation der Kaiserin, der Tochter des Geisterkönigs Keikobad, die den Kopf einer Gazelle langsam abnimmt. In einer bewaldeten Umgebung, die entfernt an das „Nocturne“ von Max Ernst aus dem Jahr 1949 erinnert (Ausstattung: Falko Herold), hat sie der Kaiser der südöstlichen Inseln erlegt. Da sie aber keine Kinder gebären kann, gehört sie nicht vollständig zu den Menschen. Der an der linken Bühnenseite über eine sehr hohe Leiter herabkletternde Geisterbote verkündet der Amme, die alles Menschliche verabscheut, dass in drei Tagen die Frist um sei und der Kaiser zu Stein wird, wenn die Kaiserin bis dahin keinen Schatten werfe, sprich schwanger werde. Die Kaiserin in Kenntnis dieser Umstände macht sich zu den Menschen auf, um einen Schatten zu gewinnen, während sich der Kaiser für drei Tage nichtsahnend fröhlich auf die Jagd begibt. Die an sich vertikale Geschichte dieser Oper wurde nun in dieser Inszenierung dergestalt aufgebrochen, dass mittels der Drehbühne die Geister- und Menschenwelt als Parallelwelten vorgeführt werden, und so äußerst spannende Übergänge kreieren. Die Welt des Färbers Barak und seiner Gattin wird wiederum naturgemäß in die Arbeitswelt verlegt, wo der Färber Barak mit seinen drei körperlich behinderten Brüdern und seiner Gattin um ihre Existenz ringen.

Mit einem Gabelstapler bringt er eine Palette beladen mit weißer Wäsche heran und führt dann eindrucksvoll vor, wie diese mittels eines kleinen Kranes in die Bühnenversenkung getaucht wird, um nach einigen Minuten goldgelb wieder in die Höhe gezogen zu werden. Diese Szenerie mit ihren Waschmaschinen im Hintergrund zitiert das Ambiente der Färber in der Inszenierung von Jonathan Kent und der Ausstattung von Paul Brown für das Mariinsky Theater St. Petersburg 2011 (vgl. http://www.dailymotion.com/video/x52yjna_strauss-die-frau-ohne-schatten-saint-petersburg-2011_music). Die Szene, in der dann die Färbersfrau von der Amme mit Reichtum betört wird, erinnert in ihrer klanggewaltigen Illustration entfernt an Klingsors Zaubergarten. Man hört demgemäß, dass es gar nicht so leicht ist den gewaltigen Fels Wagner in der Brandung ohne hörbare Blessuren zu umschiffen… Aber auch Schönbergs „Lied der Waldtaube“ aus den „Gurre-Liedern“ fand ihren Niederschlag im Gesang des Falken. Während die Färbersfrau dann kocht, hört sie die Stimmen der ungeborenen Kinder, die in dieser Inszenierung mit übergroßen Köpfen erscheinen. Edgar Allan Poe lässt grüßen.

Der von der Amme herbeigezauberte Jüngling könnte rein optisch als Double von Max Raabe durchgehen. Und während der von der Jagd heimgekehrte Kaiser, erfreut seinen verloren geglaubten Falken wieder gefunden zu haben, sich betrogen wähnt, weil er die Kaiserin nicht antrifft und sie daher töten möchte, empfindet diese erstmals Mitgefühl mit dem gepeinigten Barak, das ihrer Menschwerdung als unabdingliche Voraussetzung dienen wird. Der versteinerte Kaiser erscheint auf einem hohen Sockel sitzend effektgeladen wie eine Horrorfigur aus einem Gothic Thriller. Das Lebenswasser verweigernd, beschließt die letzte Prüfung der Kaiserin vor ihrer endgültigen Menschenwerdung. Sie hat die Amme inzwischen verstoßen und betritt nun den Tempel ihres Vaters. Die glückliche Wiedervereinigung der Paare ist stets eine Herausforderung an jede Regie. Auch diesmal ist sie leider etwas kitschig geraten, denn Kaiser und Kaiserin schieben einen Kinderwagen über die Bühne. Das allerletzte Bild jedoch verlöscht diesen Eindruck sofort, denn es zeigt die schlafende Färberin, die die Ereignisse möglicher Weise nur geträumt hat und eine mädchenhafte Kaiserin, die sich wieder in die Gazelle transformiert. Ausstatter Falko Herold hat durch ein Video, welches Soldaten im ersten Weltkrieg zeigt, geschickt auf die Entstehungszeit des Werkes hingewiesen und auch erschütternd das „Versinken“ der Färberswelt am Ende des zweiten Aktes ausgestaltet, indem die Wand des Färberhauses, wie man sie in einem beliebigen Baumarkt vorfinden kann, geräuschvoll einstürzt. Weniger beeindruckend wirkte aber jene transparente Kabine, in der der weinende Falke erscheint.

Markus Poschner am Pult des Bruckner Orchesters Linz präsentierte einen derart spannungsgeladenen farbigen Strauss wie man ihn nur sehr selten erleben kann. Die drei Damen waren exzellent in stimmlicher wie darstellerischer Hinsicht. Allen voran Miina-Liisa Värelä als Färberin, die mühelos alle Höhen dieser mörderischen Partie scheinbar mühelos und ohne Einbrüche meisterte. Brigitte Geller als Kaiserin stand ihr aber in nichts nach. Zerbrechlich und doch menschliche Stärke beweisend, führte sie ein ergreifendes Bild des vom Kaiser erlegten Geisterwesens auf der Suche nach einem menschlichen Schicksal vor. Die an der Lyric Opera Chicago ausgebildete dramatische Mezzosopranistin Katherine Lerner bewies durch ihre stimmlich abgedunkelte dämonische Amme, dass sie ein Gewinn für das Ensemble des Landestheaters Linz ist. Man kann gespannt auf ihre nächsten Debüts warten: Marguerite in „La Damnation du Faust“ und Brangäne. Enttäuschend war der Kaiser von Heiko Börner, dessen Tenor wenig erstrahlte. Die Regie ließ ihn leider auch in Unterwäsche aus dem Bett der Kaiserin ersteigen und umständlich bekleiden, was nicht gerade vorteilhaft mitanzusehen war. Der in Seoul geborene Bariton Adam Kim war als Geisterbote anzusehen, dass er nicht gänzlich schwindelfrei ist, um von so einer hohen Leiter, wenn auch gesichert, herab zu steigen.

Gesanglich gefiel er. Bassbariton Michael Wagner war ein bemitleidenswerter Färber Barak, der wunderschön auf Linie sang und dessen Stimme schließlich zu einem fulminanten Höhepunkt im Schlussquartett fand. Die Färbersbrüder reüssierten sowohl gesanglich als auch darstellerisch. Matthäus Schmidlechner verlieh seinen satten Tenor dem Buckligen, während Dominik Nekel den Einarmigen mit seinem erdigen Bass unterlegte. Martin Achrainer stellte als Einäugiger auf einem Möbelgleiter kniend hin- und her rollend neben seinem profunden Bariton auch wieder einmal sein enormes schauspielerisches Talent unter Beweis. Der in München geborene junge Tenor Mathias Frey gefiel als charmante Erscheinung des Jünglings, auf den die Färberin ihre begehrlichen Blicke nachvollziehbar schon einmal werfen durfte. Die drei Dienerinnen an diesem Abend Margaret Jung Kim, Gabriele Salzbacher und Vaida Raginskytė ergänzten das übrige Ensemble vortrefflich, ebenso Ulf Bunde, Tomaz Kovacic, Marius Bocan, Jochen Bohnen, Joschko Donchev und Markus Schult, die ihre Stimmen den Wächtern der Stadt verliehen. Svenja Isabella Kallweit in der Doppelrolle als Hüter der Schwelle des Tempels und Stimme des Falken gefiel mit ihrem eindringlichen Sopran ebenso wie Jessica Eccleston mit ihrer Altstimme von oben. Erwähnt werden müssen noch der von Martin Zeller und Ursula Wincor gut geführten Chor bzw. Kinderchor des Landestheaters Linz. Ein Abend der in seiner musikalischen wie szenischen Intensität keinerlei Wünsche offenließ und nur empfohlen werden kann!

Harald Lacina, 11.10.17

Fotocredits: Reinhard Winkler und Norbert Artner