Beim „Sonntagsfoyer“ der Freunde des Musiktheaters am 24. November hatte es aus dem Mund der Regisseurin Isabel Ostermann ja noch recht nachvollziehbar geklungen: man wolle die Geschichte aus Cio-Cio-Sans Blickwinkel erzählen, den Japanbezug in den Hintergrund stellen, um klischeehaften Exotismus zu meiden (aber nicht gänzlich eliminieren, schließlich würde die Musik dann ja völlig in der Luft hängen…). Es sei die Herrenmenschenhaltung von Pinkerton darzulegen (als wenn das Giacosa und Illica nicht ohnedies sehr klar herausgearbeitet hätten…). OK, daraus könnte man durchaus ein vernünftiges Gesamtwerk entstehen lassen. Aber dann taucht ein ca. 14-jähriger Sohn der Butterfly auf – wie soll sich das Ausgehen mit der 15-jährigen oder, wie Sharpless mutmaßt, noch jüngeren Braut und dann drei Jahren Zeitabstand zwischen 1. und 2. Akt…? Und dieser Sohn nimmt seiner Mutter schließlich das Messer weg, weshalb sie, der Textlogik folgend, in disonore weiterlebt, weiterleben muß, von der angeblich feministischen Regisseurin dazu verurteilt. Dramaturgie: Anna Maria Jurisch.
Auch optisch ist etlicher Unsinn im Angebot: warum trägt die Titelfigur im 1. Akt kupferfarbige Wasserwellen-Haare als Bubikopf, Mode 1925, dabei aber doch sowas wie einen Kimono? – bis heute gibt es in Japan den Kimono als Festkleidung stets und nur mit einer bestimmten komplizierten Haartracht, anderseits natürlich moderne weltläufige Kleidung mit entsprechend modisch gestyltem Haar (Kostüme Julia Burkhardt). Pinkerton läuft in dem Akt in sowas wie Sportkleidung herum – doch wäre eine Uniform nicht nur historisch korrekt (egal, ob 1900 oder 1925 oder auch zu Zeiten des Vietnamkrieges) und würde seine arrogante, unsympathische Machteinstellung erst recht betonen. Auch der Chor ist im 1. Akt teils mit Hinweisen auf die 1920er ausstaffiert, andererseits heutig; immerhin gönnt man uns eine interessante Farbsymbolik. Goro und die Beamten sind „westlich“ in Anzügen gekleidet, wobei der Heiratsvermittler mittels Details etwas ins Zuhälterische gerückt wird, was logisch ist. Aber warum muß der US-Konsul demgegenüber ausgesprochen verknittert und verschlampt herumlaufen – das erklärt auch niemand. Uns würden auf Anhieb drei, vier Designvarianten der Kleidung einfallen, mit denen man Japan gelten läßt, ohne in Eskapismus oder naturalistische Kitschgefahr zu geraten.
Solch eine Abstrahierung ist am ehesten Sabine Mader als Bühnengestalterin mit einer Kreuzung aus japanischer und Bauhausästhetik gelungen, mit stimmungs- und bildspracheseits passenden Videos von Carolin Röckelein. Aber niemand von uns Befragter konnte sich erklären, warum in Cio-Cio-Sans Haus lauter Bürolampen herumstehen, und selbst waren wir wohl auch zu dumm zur Erhellung dieses Geistesblitzes.
Und nicht zum ersten Mal hier in Linz: Diametral anders die musikalische Seite!
Die musikalische Leitung lag in den Händen des weltweit renommierten Gastes Patrick Lange, der mit diesem Werk 2010 an der Wiener Staatsoper debütiert hat; wie er beim erwähnten Sonntagsforum gestand, ohne die Oper je zuvor dirigiert zu haben – in Wien noch dazu nach nur rudimentären Proben… leider können wir Merker-Berichte zu seinem Auftritt nicht mehr finden. Wie immer er damals entsprochen hat: hier und heute hat er großartig mit dem Werk, dem wunderbaren Bruckner-Orchester und der Solistenschaft zusammengepaßt und uns einen musikalisch berückenden Abend bereitet: transparent, spannend, präzise, emotional (ohne in Kitsch abzugleiten), dynamisch, perfekt balanciert, ein Freund und Forderer der Solopartien, die sämtlich heute Großes leisteten! Sollten die aktuellen Gastdirigate auch etwas mit der Nachfolgersuche für Markus Poschner zu tun haben, wäre Herr Lange ein höchst wertvoller Kandidat…
Diesmal hatten wir, nach etlichen erfolgreich komplett aus dem Haus besetzten Werken zwei Gastprotagonisten – die Cio-Cio-San Joanna Zawartko und als Lt. Pinkerton Carlos Cardoso. In beiden Fällen ein guter Griff der Theaterleitung: Zawartkos Butterfly hat nicht nur höchst beeindruckende Stimmreserven, die aber immer mit wunderbar kultiviertem Ansatz serviert werden, auch ihre leisen, gedämpften und traurigen Töne, die gesamte höchst differenzierte Gestaltung, kommen in Perfektion. Cardoso, der Schurke von der Navy, ist ein vorzüglicher spinto-Tenor, klagschön, gestaltungssicher in allen Lagen – einfach ein entspanntes Vergnügen beim Zuhören; man kommt nie auch nur in die Nähe des Verdachtes, daß er an seine Grenzen gehen müßte.
Ensemblemitglied Angela Simkin ist als Suzuki absolut auf Augenhöhe mit Butterfly, fällt durch samtige und tragfähige Mezzo-Tiefe auf und glänzt besonders im Duett mit ihrer „Chefin“. Ähnlich begeisternd der Sharpless von Adam Kim, der seinen empathischen und von Vorsicht geprägten Charakter, bei aller Stimmkraft, wunderbar modellieren kann.
Christian Drescher ist ein kultivierter und kräftiger Goro, der sehr facettenreich agiert, auch durchaus eine Portion Schmierigkeit einbringt. Darstellerisch weniger gefordert ist diesmal Alexander York als Yamadori, aber macht mit seinem exzellenten Bariton auch heute Freude. Die kurze Rolle der Kate Pinkerton wird von Tina Josephine Jaeger mit Präzision absolviert, desgleichen Onkel Bonze durch Yongcheol Kim (die Dramaturgie ist übrigens der Meinung, der Onkel hieße oder wäre Bonzo, steht damit aber in der Opernwelt ziemlich einsam da).
Auch die kleinen Rollen sind mit Ulf Bunde (kaiserlicher Kommissar), Leonard Wenzel (Standesbeamter), Yuranny Hernández Gómez (Yakusidé), Sarah Redlhammer (Mutter), Sophie Bellamy (Tante) und Kateryna Lyashenko (Cousine) kompetent und stimmlich zum sehr hohen Qualitätsanspruch der Produktion adäquat besetzt.
Chor wie die Damen des Extrachores des Landestheaters Linz (Leitung Elena Pierini und David Alexander Barnard) sind hervorragend disponiert; der „Summchor“ gelingt transparent, ätherisch und entrückend.
Schon bei „Un bel dì, vedremo“ gibt es großen Szenenapplaus für Frau Zawartko, und am Schluß Jubel für die gesamte musikalische Seite; das Gestaltungsteam kassiert kräftige und länger anhaltende Buhrufe.
Petra und Helmut Huber, 12. Dezember 2024
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Madama Butterfly
Giacomo Puccini
Landestheater Linz
8. Dezember 2024
Inszenierung: Isabel Ostermann
Musikalische Leitung: Patrick Lange
Bruckner-Orchester Linz