Freiberg: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi

Lieber Opernfreund-Freund,

kann ein gerade einmal 33jähriger Sänger den Rigoletto glaubhaft auf die Bühne bringen? Kann ein so junger Mensch die komplexe Figur überzeugend verkörpern, ihr Leiden unter den Schmähungen der Gesellschaft, die Ängste eines Vaters? Dass er das sehr wohl kann, beweist Beomseok Choi derzeit am Mittelsächsischen Theater in Freiberg.

© Detlev Müller

Auch ich war ehrlichweise skeptisch beim Lesen des Besetzungszettels: ein junger Südkoreaner, mehr oder weniger gerade frisch „ausgelernt“ und seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied in Freiberg, schickt sich an, die Rolle zu singen, auf die so mancher Bariton ein halbes Künstlerleben lang wartet. Am Ende des Abends bin ich überwältigt und sitze mit offenem Mund in dem kleinen Theater, das an diesem Dienstag bis zum letzten Platz gefüllt ist. Offensichtlich hat sich herumgesprochen, welch künstlerische Fortentwicklung das Ensemble seit dem Intendantenwechsel vollzogen hat – und das merke ich schon in den ersten Takten, in denen der von Marco Rica betreute Chor ansetzt: satter Chorklang tönt da von der Bühne, perfekt austarierte Stimmen und ein Vorbild an künstlerischer Einheit bieten die Damen und Herren jetzt. Dann folgt der Auftritt des Herzogs, den Clemens Kretschbaumer als einziger Gast in dieser Produktion voller Verve und mit sicheren Höhen ausstattet und dabei mindestens 1000 Farben präsentiert – und das muss er auch. In der Lesart der gebürtigen Österreicherin Juana Inés Cano Restrepo ist der Duca nämlich nicht die eindimensionale Figur des unverbesserlichen Weiberhelden. Die schöne Gilda hat ihn gewissermaßen bekehrt – in sie hat er sich aufrichtig verliebt und erkennt doch bald, dass für ihn als verheiratetem Adeligen eine Beziehung mit der Tochter eines Hofnarren keine Zukunft haben kann. Und auch die Gilda von Lindsay Funchal ist anders, als man sie oft gesehen hat: streitbar um ihre Liebe kämpfend statt unschuldig verführten Hascherls, zeigt sie auch stimmliche eine Gilda jenseits von bloß perlenden Koloraturen. Die Schande, von der sie im zweiten Akt ihrem Vater berichtet, empfindet sie nicht als vermeintlich Geschändete, sie schämt sich nur, dass sie ihn damit verletzt.

© Detlev Müller

Cano Restrepo findet für diese Ansätze starke Bilder, bemüht in den aufwändigen Kostümen von Lena Weikard eine gewisse Farbensymbolik: Der roten, blutrünstigen Realität der Höflinge mit ihrer vordergründigen Gefallsucht, die sich in exzentrischen Outfits samt Lackstiefeln zeigt, setzt sie ein harmonisches Blau in Gildas einfach gehaltener Welt entgegen. Weikards Bühne gleicht dabei einem Tresor, in dem die Sehnsüchte und Wünsche, aber auch die Geheimnisse der Protagonisten verschlossen und immer wieder offen gelegt werden. In dieser Farbwelt ist ausgerechnet der Mörder Sparafucile (mit eindrucksvollem Bass und gespenstisch klingender Tiefe von Gregor Roskwitalski zum Leben erweckt) das schwarz-weiße Neutrum. Zu Rigolettos Alter Ego wird dagegen der Monterone von Frank Blees, bei dessen Auftritt die beiden wie Zwillinge gekleidet sind. Blees stößt dabei klanglich eindrucksvolle Flüche aus, so dass man gut nachvollziehen kann, warum Rigoletto danach angst und bange wird. Kirsten Scott ist eine laszive Maddalena, die sich zuvor schon als Gildas Aufpasserin hat engagieren lassen.

© Detlev Müller

Dass die Bildsprache von Cano Restrepo ausgerechnet am Schluss an Kraft einbüßt, weil sie in allzu oft gesehene Visualisierungen flüchtet und auch von ihrer bis dahin stringenten Personenführung abweicht, ist schließlich nur Jammern auf hohem Niveau. Denn schließlich gibt es ja noch ihn, den eingangs schon erwähnten Beomseok Choi, der mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit diese große Rolle stemmt (und das bei meinem Besuch überhaupt erst zum zweiten Mal), seinen voluminösen Bariton mal mit Wut und mal mit Verzweiflung tränkt und den Rigoletto so als den vielschichtigen Charakter darstellt, der er ist. Mit nicht nachlassender Kraft verströmt er dabei bis zum letzten Maledizione-Ruf pure Emotion.

Im Graben steht ihm dabei Attilio Tomasello zur Seite, der die Musikerinnen und Musiker der Mittelsächsischen Philharmonie zu Höchstleistungen anspornt und dabei gerade noch fast waghalsige Tempi anschlägt, um im nächsten Moment gediegene Ruhe zu verbreiten.

Ein hoffnungsvoller Bariton, eine tempogeladene Inszenierung, ein spielfreudiges Ensemble und ein präzises musizierendes Orchester machen diesen Abend schlicht perfekt!

Ihr Jochen Rüth 19. Mai 2023


Rigoletto

Oper von Giuseppe Verdi

Freiberg

Premiere:  6.05.2023

Besuchte Vorstellung: 09.05.2023

Inszenierung: Juana Inés Cano Restrepo

Bühne und Kostüme: Lena Weikhard

Licht: John Gilmore

Chorleitung: Maro Rica

Musikalische Leitung: Attilio Tomasello

Mittelsächsische Philharmonie

Weitere Vorstellungen: 18. und 26.05. sowie ab 30.09. in Döbeln