Bremen: „35. Musikfest“, Teil 3

Beim letzten Musikfest war Purcells The Fairy Queen  mit der Beteiligung des Tanzensembles  Compagnie Käfig eine Sensation. In diesem Jahr kontraststierte das Ensemble Die vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi mit ihrer furiosen Körperbeherrschung. Die Kombination von Barockmusik und Ausdruckstanz hat der Choreograph Mourad Merzouki schon in mehreren Programmen realisiert, etwa 2018 mit seiner Produktion „Folia“. Und auch bei „Die vier Jahreszeiten – getanzt!“ gelingt diese Symbiose. Vivaldis bekanntestes Werk wurde um die Sonate für Violoncello und Basso continuo, um das Konzert für zwei Violinen h.moll, um das Konzert für Streichinstrumente und Basso continuo G-dur und weitere Werke von Vivaldi ergänzt. So kam man auf eine pausenlose Spieldauer von 80 Minuten, die das kompetente Orchester Le Concert de la Loge unter der Leitung des herausragenden Geigers Julien Chauvin zu einem wahren Vivaldi-Fest werden ließen. Trotz des intensiven Einsatzes von drei Tänzerinnen und vier Tänzern behielt die musikalische Seite ihren angemessenen Stellenwert.

© Julien Chauvin

Mit den Stilmitteln von Breakdance, Hip-Hop, Akrobatik und ausgefeiltem Ausdruckstanz konnte die Compagnie Käfig durch bewundernswerten Körpereinsatz überzeugen. Die Tänzer formierten sich immer neu zu Gruppen (Julien Chauvin eingeschlossen), agierten einzeln oder, marschierten einfach zwischen den Musikern oder wuselten wild durcheinander. Dann fanden sich drei Paare und tanzten quasi einen dreifachen Pas de deux, es wurde eine Kampfszene angedeutet oder spontan ein Salto geschlagen. Die Grenze zwischen Tanz und circensischer Akrobatik war dabei stets fließend. Über die überwiegend dunkel gehaltene Bühne zogen mitunter Nebelschleier, die in rote oder bläuliche Lichtstimmungen getaucht wurden. (2. September 2024)


Und noch ein Geburtstag: Anton Bruckner wäre in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden. Da konnten es sich die St. Florianer Sängerknaben nicht nehmen lassen, ihrem berühmtesten ehemaligen Chormitglied Anton Bruckner mit dem Programm „Happy Birthday, Anton!“ die Ehre zu erweisen. Ihr Konzert unter ihrem Leiter Markus Stumpner in der stimmungsvollen Atmosphäre der Kirche Unser Lieben Frauen brachte Musik von und für Anton Bruckner. Die Sängerknaben bestehen aus zwei Gruppen: die jungen Knaben treten im traditionellen Matrosenanzug auf, die erwachsenen, für die tiefen Stimmen zuständigen Mitglieder in schwarzen Anzügen. Die erste Konzerthälfte gehört ganz Anton Brucker. Die Motette Locus Iste ist sowas wie die Erkennungsmelodie der Sängerknaben. Sie singen sie a capella mit schwebendem Ton und tiefem Ausdruck. Vor Arneths Grab ist den tieferen Stimmen vorbehalten und der Countertenor Alois Mühlbacher (ein ehemaliger Florianer) überzeugt beim Ave Maria und bei Mein Herz und deine Stimme mit seiner kraft- und klangvollen Stimme. Es wird wahlweise a capella, mit Klavierbegleitung (Franz Farnberger) oder mit der Orgel (Klaus Sonnleitner) gesungen. Sonnleitner beeindruckt an der Orgel mit einer machtvoll aufrauschenden Improvisationsskizze für die Hochzeit von Erzherzogin Marie Valerie. Zwischendurch führt ein Sängerknabe kurze Interviews  mit einem imaginären Bruckner-Professor, nicht ohne charmant Werbung für die neueste CD zu machen.

© Michael Emprechtiger

Stimmungswechsel nach der Pause, wenn die Florianer johlend und mit Akkordeonbegleitung durch das Kirchenschiff ziehen und mit den alpenländischen Volksliedern Griaß enk alle mitanaund und Drum sama Landsleut. Bruckners Freude an der Volksmusik zum Ausdruck bringen. Fast volkstümlich ist auch das Heidenröslein, das in den Fassungen von Franz Schubert (mit einem Chorsolisten) und von Heinrich Werner (mit dem ganzen Chor) erklingt. Bei allen Beiträgen ist die Schönheit und Klarheit der jungen Stimmen zu bewundern. Neben weiteren Werken gibt es auch Johann Strauß: Brüderlein und Schwesterlein aus der Fledermaus und natürlich den Walzer An der schönen blauen Donau, bei dem das Publikum ordentlich mitklatscht. Am Schluss steht als Zugabe eine kleine Überraschung – Rock Us Anton Bruckner ist eine augenzwinkernde Version von Falcos „Rock Me Amadeus“. Ein berührender und vergnüglicher Abend gleichzeitig. (3. September 2024)


© Patric Leo

Sie ist und bleibt die Königin aller Operetten: Die Fledermaus  von Johann Strauß gibt es seit 150 Jahren und sie hat bis heute nichts von ihrem mitreißenden Schwung verloren. In der Bremer Glocke wurde sie als „konzertante Aufführung“ präsentiert, aber das trifft nicht den Kern der Sache. Denn so wie hier ganz ohne Kulissen und Requisiten lustvoll, lebendig und mit unbändiger Spielfreude agiert wurde, kann man es auch in szenischen Aufführungen längst nicht immer erleben. Das hier versammelte Sängerensemble versteht sein Handwerk und sorgt für uneingeschränktes Vergnügen. Marc Minkowski und sein Orchester Les Musiciens du Louvre waren seit Jahrzehnten regelmäßig beim Musikfest zu Gast (ebenso der von Detlef Bratschke einstudierte Musikfest Bremen Chor) und sorgten für viele Höhepunkte. Dazu gehört auch diese Fledermaus, auch wenn Minkowski mitunter allzu forsche Tempi anschlägt und vieles ohne Rubati etwas „preußisch“ durchdirigiert. Aber der Charme der Musik und der entfesselte Sinnenrausch auf Orlofskys Fest bleiben dabei nicht auf der Strecke. Unter den Solisten sticht besonders Alina Wunderlin als Adele heraus, die mit „Mein Herr Marquis“ und dem Couplet „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ Glanzpunkte setzt. Aber auch Rachel Willis-Sørensen mit ihrer großen, beim „Csardas“ mächtig aufdrehenden Stimme und Christoph Filler als Eisenstein überzeugen, etwa im Uhrenduett, das sie als charmantes Duell gestalten. Fillers Darstellung und sein tänzelnder Körpereinsatz ist bemerkenswert. Magnus Dietrich setzt als Alfred seinen klangvollen Tenor effektvoll in Szene und Annelie Sophie Müller ist ein cooler Prinz Orlofsky. Wenn Minkowski und das Orchester „An der schönen blauen Donau“ intonieren wollen, entreißt sie ihm den Taktstock und dirigiert stattdessen die „Russische Marsch-Fantasie“ (auch von Johann Strauß). Vergnüglich agieren auch Michael Kraus als Gefängnisdirektor Frank, Dominik Sedgwick als Dr. Falke, Kresimir Spicer als Rechtsanwalt Blind und Sandrine Buendia als Ida. Auch der Frosch fehlt in dieser Aufführung nicht: Manfred Schwaiger gibt ihn ganz ohne banale Albernheiten mit feinem Humor. Zum Schluss heizt Minkowski mit einer Wiederholung der Polka „Unter Donner und Blitz“ die Stimmung nochmal ordentlich an. (6. September 2024)


© Patric Leo

Auch in diesem Jahr gab es wieder zum Abschluss ein Geschenk an alle Bremer: Das kostenlose Open Air Konzert auf dem historischen Bremer Marktplatz zog wieder viel Publikum an. Im letzten Jahr ehrten das Metropole Orkest unter der Leitung von Jules Buckley zusammen mit der Sängerin Sheléa die große Aretha Franklin, diesmal widmete sich das Orchester zusammen mit dem Keyborder und Sänger Cory Henry den Songs von Stevie Wonder. Dabei beschränkte sich das Programm „Hommage to Stevie Wonder“ hauptsächlich auf die neun Titel seines 1973 erschienen Albums „Innervisions“, die komplett gespielt und mit wenigen anderen Songs ergänzt wurden. „If it’s magic“ war die Zugabe nach einem begeisternden Abend. Und „magic“ war es tatsächlich. Cory Henry ist ein charismatischer Entertainer, der mit seiner wandlungsfähigen Stimme ebenso überzeugt wie mit seinen Improvisationen am Synthesizer. Und das Metropole Orkest ist eine Bigband mit vollständiger Streicherformation. Die groovenden Songs werden dadurch oft in ein bombastisches Klanggewand gehüllt. Das Metropole Orkest ist eine „Soundmaschine“, deren mitreißender Wirkung man sich nicht entziehen kann. Der Phylisound der 70er Jahre lässt grüßen. Mit dabei ist auch Stanley Randolph am Schlagzeug, der schon bei Stevie Wonder gespielt hat. Unterstützung gibt es von dem exzellenten Background-Chor Vula’s Chorale (vier Damen und zwei Herren), deren Chefin Vula Malinga sich bei “Superwoman” und bei “Something Out Of The Blue” (im Duett mit Cory Henry) auch als Solistin präsentiert. Zu den vielen Höhepunkten zählen das getragene „Visions“ mit einem schönen Saxophon-Solo von Leo Janssen, das kraftvolle „Living for the City“ oder die Ballade „All in Love is Fair“, die Sheléa auch in der Glocke gesungen hat. Das von Latino-Rhythmen geprägte „Don’t You Worry“ ist der Schlusspunkt es offiziellen Programms, dem aber noch zwei Zugaben folgen. (7. September 2024)

Wolfgang Denker, 8. September 2024