Kopenhagen: „Billy Elliot“, Elton John

Ganz ehrlich gesagt, ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich keine 24 Stunden nach diesem so tief zu Herzen gehenden musiktheatralischen Erlebnis bereits in der Lage bin und die notwendige Distanz habe, eine Kurzkritik zu dem Musical zu verfassen. andererseits ist das Ereignishafte der gestrigen Aufführung immer noch dermaßen präsent, dass ich nicht umhinkomme, meine Leserschaft daran teilhaben zu lassen.

© Benjamin la Cour

Die Story (man kennt sie vom gleichnamigen Film aus dem Jahr 2000, der zu Recht auch regelmäßig in der Weihnachtszeit im TV gezeigt wird) ist dermaßen stark und in ihrer Aussage noch immer aktuell: Es geht um das Überschreiten von gesellschaftlichen Klassenschranken, die Überwindung von Vorurteilen, um Akzeptanz von Lebensentwürfen jenseits des gerade herrschenden Mainstreams. Wie Billy Elliot seinen Traum, Balletttänzer zu werden, verfolgt, wie sein stockkonservativer Vater aus der Arbeiterschicht sich schließlich von seinen Vorurteilen zu lösen vermag, seinen Sohn im Drang zum Ballett unterstützt, sogar zum Streikbrecher wird, um die notwendigen Geldmittel zu beschaffen, wie die Dorfgemeinschaft schließlich zu bewegender Solidarität findet, das alles lässt kein Auge trocken und ist eine lichtbringende Botschaft, nicht nur, aber auch zur Weihnachtszeit.

Daneben gibt es aber auch enorm viel zu schmunzeln, ja gar zu lachen. Und wenn dann alles noch mit so viel Rasanz und grandioser Schauspielkunst, bestechenden Choreografien und einem ganz fantastischen Bühnenbild daherkommt, ist der Weg zum Gesamtkunstwerk beschritten. Ein Musical, das direkt zu Herzen geht – und ich habe mehr Tränen der Rührung vergossen als bei Puccini.

Obendrauf kommt die eingängige, stimmungsvolle Musik aus der Feder von Elton John, welche von der mit gefühlvollem Sound aufwartenden DET KONGELIGE KAPEL unter der Leitung von Robert Houssart herausragend stimmungsvoll und mit glänzenden instrumentalen Soli intoniert wurde. Blech, Holz, Streicher, Schlagzeug, angereichert mit Gitarren und Keyboards – ein umfangreiches Orchester, das Königliche Theater hat mit großer Kelle angerichtet! Die Abmischung des Klangs gelang hervorragend, stets wirkte die Balance zwischen Bühne und Graben wunderbar ausgewogen, die Stimmen kamen klar durch, wurden in keinem Moment übersteuert.

© Benjamin la Cour

Heinrich Christensens hat die Vorlage szenisch mit großer Präzision und Eindringlichkeit umgesetzt. Von der Duschszene der Bergarbeiter, über den Boxring und die Ballettklasse von Frau Wilkinson bis zur ärmlichen Behausung von Billys Oma und dem Finale im Royal Opera House lief die gefühlvolle Story in überaus stimmigen Bildern ab. Benjamin la Cour hatte eine wunderbar wandelbare Bühne entworfen. Das labyrinthartige, drehbare Sichtbetonelement, das die meisten Szenen prägte, war wirklich beeindruckend und liess schnelle Szenenwechsel zu. Von Helle Damgaard stammten die träfen Kostüme der Minenarbeiter und ihrer Angehörigen, aber auch die fantastischen Figuren in Michaels Traum des Ausbrechens aus der beengten Welt der Arbeiterklasse – eine der ganz zentralen Szenen des Musicals. Miles Hoare zeichnete für die schmissigen, einfallsreichen Choreografien verantwortlich, welche von allen Ausführenden mit Bravour getanzt wurden. Jonas Bøgh bereicherte die Szene mit einem variantenreichen Lichtdesign.

In der Titelrolle vermochte der 14jährige Arthur Skov Kristensen mit seinem Schalk genauso wie mit seiner Ernsthaftigkeit zu begeistern. eine überaus reife Leistung! Sein Vater Jack Elliot wurde von Mads Rømer Brolin-Tani mit exzellenter Einfühlungskraft in den emotional erst stark überforderten, dann immer sensibleren Charakter gespielt. Billys cholerischer, rebellischer Bruder Tony in seinem Che-Guevara-Shirt wurde von Lukas Toya dargestellt.

© Benjamin la Cour

Auch er erkannte sehr spät, dafür umso berührender, Billys Potential und ließ die Bruderliebe siegen. Annette Heick war herrlich erfrischend selbstbewusst als Tanzlehrerin Frau Wilkinson: Die ließ sich von keinem der Machos auf der Nase herumtanzen und wies allen ihren Platz zu. Daneben sang sie ihre Songs mit begeisternder Musikalität. Ein besonderes Lob verdient Anne Marie Helger als Oma: Subtile Schauspielkunst vom Allerfeinsten. Michael, Billys Freund, entdeckte seine Homosexualität: Elliot Lucas spielte die sehr feinfühlig inszenierte Szene mit einer stupenden Natürlichkeit. Es gäbe noch so viele zu würdigen: So die etwas einfach gestrickte, aber die Wahrheiten geradeaus posaunende Debbie (Josephine Wesselhoff), den umwerfend agierenden Boxtrainer George (Morten Lindemann Olsen), den Klavierspieler Mr. Braithwaite (mit unerfüllten Träumen) von Christopher Læssø und natürlich Alban Lendorf, der den älteren Billy gab, den Balletttänzer des Royal Ballet, der seine an Schwanensee orientierten Soli mit raumgreifender Grandezza und Virtuosität darbot. Aber auch die unterschiedlich charakterisierten, streikenden Minenarbeiter, Billys als tröstende Figur erscheinende, verstorbene Mutter (Camille Rommedahl) und die quirligen Ballettmädchen trugen enorm Wichtiges zum Gelingen der Aufführung bei.

Fazit: Sich berühren und bewegen lassen, Taschentücher mitnehmen und bereichert nach Hause gehen!

Kaspar Sannemann 26. November 2024


Billy Elliot
Musik von Elton John
nach dem gleichnamigen Film
Kopenhagen, Operaen

24. November 2024

Robert Houssart dirigiert
DET KONGELIGE KAPEL