Lieber Opernfreund-Freund,
dass Verona neben der weltberühmten Arena auch ein veritables Theater mit drei Logenrängen plus Balkon und Galerie hat, in dem unter anderem einige Vivaldi-Opern uraufgeführt wurden und die italienische Erstaufführung von John Adams‘ Nixon in China stattgefunden hat, ist vielen Besuchern der Stadt überhaupt nicht bekannt. Wenn man Glück hat, betritt man das Gebäude durch das Museo Lapidario Maffeiano von der Piazza Bra aus. Von dort offenbart sich die wunderbare Schönheit des prunkvollen, aber leider mittlerweile komplett eingebauten Musentempels. Hier habe ich mir gestern die Premiere der schon in der Saison 2017/18 an den Theatern in Piacenza, Modena, Reggio Emilia und Lucca gezeigte Produktion von Alfredo Catalanis Oper La Wally angesehen. Von der musikalischen Umsetzung der Geierwally von Wilhelmine von Hillern ist jedem zwar die Arie Ebben, ne andró lontana im Ohr; das Werk selbst allerdings wird kaum gespielt.

Nicola Berloffa hat sich für ein traditionelles Setting entschieden, entführt den Zuschauer in die Alpenwelt – und setzt doch klare Akzente. Fabio Cherstich hat dazu eine unwirklich wirkende Eislandschaft auf die Bühne gestellt, in deren Mitte jeweils Requisiten oder gleich eine ganze Berghütte ihren Platz finden. Wally ist für Berloffa eine Außenseiterin. Im zweiten Akt ist sie in ihrem blutroten Samtkleid auch optisch eine Exotin, hebt sich vom der einheits-graubraunen Strick- und Lodenkluft der Dorfbewohner ab (Kostüme: Valeria Donata Bettella), die sich eng in Afras Wirtshaus drängen. Diese Enge, der Wally entkommen will, lässt sich auch übertragen: Wally ist eine emanzipierte Frau, die sich nichts sagen lässt und sich nicht an Konventionen hält. Deshalb ist ihr auch egal, dass sie nach des Vaters Willen Vincenzo Gellner heiraten soll. Sie hat sich in den kühnen Jäger Giuseppe Hagenbach verliebt. Der wird am Ende – anders als in der Romanvorlage – von einer Lawine in den Tod gerissen, kaum dass die Liebenden endlich zueinandergefunden haben. Darauf stürzt sich Wally – bei Nicola Berloffa ganz Tosca-like – in den Abgrund.

La Wally ist Alfredo Catalanis letzte Oper. Puccinis Zeitgenosse, der wie ebendieser aus dem toskanischen Lucca stammt und mit nur 39 Jahren an Tuberkulose stirbt, war eine der Hoffnungsträger der Post-Verdi-Ära, geriet aber mit Puccinis Erfolgen und der daraus resultierenden Fokussierung des Verlegers Ricordi auf ihn in Vergessenheit. Dabei hat er musikalisch einiges zu bieten und zeigt in La Wally eine weite stilistische Bandbreite. Lässt er in der ersten Hälfte des Werkes noch Alpenfolklore in Form von beispielsweise Ländlern anklingen, stellt er vor allem in den Vorspielen zum dritten und vierten Akt, in denen seine Komposition eine große musikalische Tiefe bekommt, seine symphonischen Qualitäten unter Beweis.

Die beleuchtet Antonio Pirolli zusammen mit den Musikerinnen und Musikern, die im Sommer auch in der benachbarten Arena aufspielen, ganz exquisit. Er jongliert meisterhaft mit den unterschiedlen Stilen in Catalanis Komposition und gibt den weiten Melodienbögen viel Raum, sich zu entfalten. Das kann nur gelingen, weil er auf eine ausgezeichnete Sängerriege mit ausreichend langem Atem bauen kann. Allen voran begeistert mich Eunhee Maggio in der Titelrolle. Die Südkoreanerin verfügt über einen regelrechten Strauß an Farben, zeigt in dieser Rolle ungewohnt glockenhelle Höhen, die sie mit fast mezzohafter Couleur in den unteren Lagen paart. Ihr zur Seite steht der aus Uruguay stammende Tenor Carlo Ventre, der mit nicht enden wollenden Kraft selbst im letzten Akt noch auftrumpft, in dem die Tenorrolle stellenweise unsingbar scheint, und gleichzeitig mit viel Gefühl Giuseppes Liebe zu Wally glaubhaft macht. Gegen zwei solche Powerstimmen, die die Töne noch halten, wenn der Dirigent längst abgewunken hat, wirkt der an sich klangvolle Bariton von Youngjun Park fast kurzatmig. Dabei überzeugt er mich noch mit einem T‘amo ben io zum Niederknien. Nur im dritten Akt hätte ich mir in seiner kämpferischen Szene ein wenig mehr Verve gewünscht.

Eleonora Belloccis Walter zeigt noch ein paar Koloraturen mehr als die, die Catalani bereits in ihre an einen Jodler angelehnte Arie im ersten Akt hineinkomponiert hat – wunderbar! Romano Dal Zovo ist ein schalkhafter Pedone mit erstaunlich frischem und dabei nicht minder voluminösem Bass. Gabriele Sagona bleibt als despotischer Vater Stromminger dagegen vergleichsweise blass. Auf ganzer Linie punkten kann hingegen der von Roberto Gabbiani betreute Chor, so dass es auch musikalisch ein durchaus überzeugender Nachmittag wird.
Ihr
Jochen Rüth, 17. Februar 2025
La Wally
Oper von Alfredo Catalani
Teatro Filarmonico Verona
Premiere: 16. Februar 2025
Regie: Nicola Berloffa
Musikalische Leitung: Antonio Pirollo
Orchestra di Fondazione Arena di Verona
weitere Vorstellungen: 19., 21. und 23. Februar 2025