Premiere am 21.05.2016
Pathos und Belcanto
Der Name Jacopo Foroni ist in den gängigen Opernführern nicht zu finden. Seine wenigen Werke sind heute weitgehend vergessen. Dabei galt der in Verona geborene Verdi-Zeitgenosse nach dem Erfolg seiner ersten Oper „Magherita“ (1848) als eines der vielversprechendsten Komponistentalente Italiens. Foroni lebte von 1825 bis 1858, wurde also nur 33 Jahre alt. Die Frage, ob er ein ernsthafter Konkurrent Verdis geworden wäre, bleibt somit offen. Foroni wirkte ab 1849 vor allem in Schweden als Komponist und Chefdirigent der Königlich Schwedischen Oper.
Sein wichtigstes Werk ist die Belcanto-Oper „Cristina, Regina di Svezia“ („Christine, Königin von Schweden“), die zuletzt 2013 beim Wexford Festival ausgegraben und als Entdeckung des Jahres gefeiert wurde. Das Oldenburgische Staatstheater hat sich nun die deutsche Erstaufführung gesichert und gleich mit dem Coup einer Live-Übertragung im Rundfunk verbunden. Die Reihe von Wiederentdeckungen hat nach der erfolgreichen „La dame blanche“ vor einem Jahr damit eine würdige Fortsetzung gefunden.
Die Oper behandelt den letzten Abschnitt der Regentschaft von Königin Christine bis zu ihrer Abdankung. Es geht um Macht, Liebe und Verschwörung. Christine liebt den Adligen Gabriele, der aber seinerseits Christines Cousine Maria. Christine will Maria mit Erik, dem Sohn ihres väterlichen Erziehers Axel Oxenstierna, zwangsweise verheiraten. Daraufhin schließt sich Gabriele den Rebellen an. Die Verschwörung wird von Christines Cousin Karl Gustaf aufgedeckt. Christine bestimmt Karl Gustaf zu ihrem Nachfolger, dankt ab und begnadigt als letzte Amtshandlung ihre Gegner. Bei Regisseur Michael Sturm kommt Christines Gnadenakt zwar etwas zu spät, denn zwei der Rebellen werden noch erschossen, bevor Christine eingreifen kann.
Wenn der Vorhang gleich zu Beginn der langen Ouvertüre hochgeht, ist ein geräumiger Ratssaal zu sehen, mit großen Gemälden früherer schwedischer Herrscher und mit einem Thron in der Mitte. Man sieht Christine als Kind, wie sie von Axel Oxenstierna Fecht- und Geschichtsunterricht bekommt und für ihre Aufgabe als Königin vorbereitet wird. Wenn Christine später enttäuscht mit ihrem Schicksal hadert, sind alle Bilder abgehängt, nur das Bild ihres Vaters liegt noch auf dem Boden zu ihren Füßen.
In der ersten Szene der Oper blickt der Chor mit schreckgeweiteten Augen in den Zuschauerraum, als würde er einer Hinrichtung beiwohnen. Eigentlich feiert man den Frieden nach dem gerade überstandenen Dreißigjährigen Krieg, aber es ist doch ein erster Hinweis auf Christines kaltes Machtbewusstsein. Ihre lebenslustige, vielleicht auch zynische Seite wird dadurch angedeutet, dass sie tanzt und tanzen lässt, wann immer es Foronis Musik hergibt.
Michael Sturm setzt in seiner Inszenierung den historischen Stoff geradlinig und ohne Mätzchen um. Vielleicht ist es insgesamt mit seinen vielen statischen Tableaus und etwas stereotypen Bewegungsabläufen ein wenig zu konventionell ausgefallen. Es ist so, als ob Sturm zu einem Besuch ins Opernmuseum einlädt. Aber es ist durchaus ein anregender Museumsbesuch. Und Sturm lässt auch zwischen den Zeilen historische Details einfließen. So wird der Königin Christine eine lesbische Beziehung mit der schönen Gräfin Ebba Sparre (die in der Oper nicht vorkommt) nachgesagt. Sturm deutet das durch einen leidenschaftlichen Kuss zwischen Christine und Maria an. Die historische Christine trug gern Männerkleidung, die Opern-Christine zeigt sich meistens in einem Hosenanzug. Insgesamt sind die zeitlosen, modernen Kostüme von Stefan Rieckhoff passend.
Das im Prinzip einheitliche Bühnenbild (auch von Stefan Rieckhoff) ist gleichermaßen opulent und zweckmäßig. Im späteren Verlauf wird um das gesamte Bühnenbild als weitere Metapher für den „musealen“ Bilderbogen ein riesiger Bilderrahmen gespannt. Wenn die Verschwörer das Schloss in Brand setzen, sollte der eigentlich lichterloh brennen, was aber technisch nicht ganz geklappt hat.
Bei Christines Abdankung lässt Sturm sie wie einen Moderator vor den geschlossenen Vorhang treten und ihre Botschaft direkt ins Publikum, also an das Volk richten – eine der wenigen Szenen, die nicht ganz überzeugen.
Musikalisch ist Foronis Oper eine tolle Entdeckung. Vielleicht ist das Pathos der Musik, vor allem in der Schlußszene, ein bisschen zu sehr ausgereizt, was Sturm noch mit einer Vielzahl schwedischer Flaggen verstärkt. Aber insgesamt ist die Musik eine gelungene Mischung aus frühem Verdi, melodiösem Bellini und rhythmisch-elegantem Donizetti. Die vielen Arien und Duette, aber vor allem die großen Chorszenen, die in der Oper einen breiten Raum einnehmen, sind im Einzelfall wahre Juwele. Es sind reizvolle Pfade, die Foroni in seiner Musik beschreitet. Aber – es sind zu wenige Pfade. Sie sind schnell ausgeschritten und ermüden in den knapp drei Stunden durch ihre oft ähnliche Machart. Vielleicht liegt es auch etwas am Dirigenten Vito Cristófaro, der sich am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters zwar mit Verve und Engagement, mit feurigen Tempi und prachtvoller Klangentfaltung der Aufgabe gestellt hat, der aber den Forte-Bereich sowohl bei den Sängern wie auch beim Orchester selten verlässt.
Sängerisch hat der Chor fast den Löwenanteil zu bestreiten, den er in der Einstudierung von Thomas Böhnisch in hervorragender Form bewältigt. Miriam Clark ist, trotz kleiner Intonationstrübungen, eine hervorragende Besetzung für die Christine – ausdrucksvoll und mit Belcanto-Glanz. Melanie Lang ist mit sicherem Mezzo eine attraktive Maria. Als Axel Oxenstierna gibt Ill-Hoon Choung eine Vaterfigur von fast schon Verdischer Prägung. Paulo Ferreira bietet für den Gabriele tenorales Feuer, viel Leidenschaft und eine sichere, etwas kehliger Höhe. Eindrucksvoll kann Daniel Moon in seiner gesanglich sehr dankbaren Rolle als persönlichkeitsstarker Karl Gustav überzeugen. Seine Arie hat großes stimmliches Format. In weiteren Rollen bieten Alexander Murashov als Erik, Tomasz Wija und Philipp Kapeller als Verschwörer sowie Anna Aviakan als Voce interna eine gute Ensembleleistung.
Wolfgang Denker, 22.05.2016
Fotos von Stephan Walzl