Oldenburg: „Trouble in Tahiti“ & „La voix humaine“

Premiere am 19.03.2016

Abschied von der Liebe

Eine reizvolle Kombination von zwei Opern-Einaktern gibt es im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters zu bewundern. Die Oper „La voix humaine“ („Die menschliche Stimme“) von Francis Poulenc ist zumindest selten und „Trouble in Tahiti“ („Ärger in Tahiti“) von Leonard Bernstein ist eine ausgesprochene Rarität. Beide Werke wurden in den fünfziger Jahren uraufgeführt: „La voix humaine“ 1959 und „Trouble in Tahiti“ 1952. Es gibt gute Gründe, gerade diese beiden Werke (Dauer jeweils eine dreiviertel Stunde) zu koppeln. Beide handeln von gescheiterten Beziehungen, bei beiden scheint es keine Hoffnung zu geben. Bei Poulenc ist das Ende allerdings tödlich, bei Bernstein immerhin nur resignativ.

„La voix humaine“ (auf eine Dichtung von Jean Cocteau) ist ein Monolog für eine Sängerin. Eine junge Frau wartet auf den Anruf ihres Geliebten, der sie verlassen hat. Man hört nur, was die Frau sagt, der Mann am anderen Ende der Leitung bleibt unsichtbar. Das Gespräch wird immer wieder unterbrochen, entweder durch das Fräulein vom Amt oder durch fremde Personen, die plötzlich in der Leitung sind. Zu erleben sind die wechselvollen Gefühle der Frau: Ihre Ängste, Momente der trügerisch aufkeimenden Hoffnung, gespielte Gleichgültigkeit und fassungslose Verzweiflung. Poulenc hat sein Werk für Sopran und Orchester komponiert, gab aber auch eine Fassung für Sopran und Klavier heraus. Diese Version wird in Oldenburg gespielt.

Auf der ins Halbdunkel getauchten Bühne sitzt im Hintergrund Carlos Vázquez am Klavier, vorne agiert Nina Bernsteiner als die junge Frau. Sie drückt ihre seelische Höllenfahrt stimmlich bis in die feinsten Nuancen aus, mal weich und zärtlich flehend, mal aggressiv auftrumpfend, mal in tonlosem Sprechgesang, mal mit ariosen Aufschwüngen. Dazu kommt eine körperliche Ausdrucksvielfalt, die vom Wutausbruch bis zur physischen und psychischen Erschöpfung reicht. Regisseurin Julia Wissert hält den Spannungsbogen von Anfang bis Ende ungebrochen durch. Wenn die Frau ihr verzweifeltes „Ich liebe dich“ in den Hörer schleudert, zieht sie den Telefonstecker – danach gibt es nichts mehr zu sagen, das soll das letzte Wort gewesen sein. Anschließend erdrosselt sie sich mit der Telefonschnur. Aber das ist nur noch ihre Privatsache, die Verbindung ist da schon längst gekappt.

„Trouble in Tahiti“ kommt nicht so depressiv daher, obwohl auch dieses Werk vom Ende einer Beziehung handelt. Dinah und Sam haben sich nicht mehr viel zu sagen. Er interessiert sich nur für seine Geschäfte, seine Sekretärin und seine sportlichen Erfolge, sie verbringt ihre langweiligen Tage entweder beim Psychiater oder im Kino.

Dort sieht sie den schrecklich kitschigen Film „Trouble in Tahiti“ (der der Oper den Titel gab) als Talmiersatz für echte Gefühle. Wissert leuchtet die Bühne dazu in orangefarbigem Licht aus und lässt Flitter vom Himmel regnen. Es ist ein unwirklicher „Inselzauber“ der hier beschworen wird und nichts mit dem realen Leben zu tun hat. Die Farbe, die sich hier im Bühnenbild von Thurid Peine und in den Kostümen von Viola Weltgen zeigt, ist im Alltag ihrer Ehe nicht mehr zu finden. Auf der Bühne stehen weiße Kästen und Türme in verschiedenen Formen und Größen. Sie haben doppelte Funktionen. In Dinahs Welt sind es Kühlschränke oder Waschmaschinen als Symbol für gehobenen Lebensstil, für Sam können es auch Wolkenkratzer für seine Businesswelt oder einfach Podeste für seine vielen Sportpokale sein, die überall herumstehen.

Bernsteins durchweg schmissige Musik wird von sechs Musikern unter der Leitung von Carlos Vázquez gespielt. Sie hat vorwiegend Musical- oder Jazz-Charakter. Vieles von seiner späteren „West Side Story“ klingt hier schon an. Wenn sich Dinah und Sam jeder für sich nach einem stillen Ort sehnen, wohin sie die Liebe führt, dann erinnert das an „Somewhere“. Und auch die Mambo-Rhythmen von Anita finden sich schon in „Trouble in Tahiti“. Neben den beiden Protagonisten Nina Bernsteiner, die hier als Dinah zu einer Art Doris Day erblondet ist und gekonnt in eine ganz andere Rolle schlüpft, und dem Bariton Aarne Pelkonen als Sam gibt es noch ein Figurentrio (Carolina Walker, Maciej Michael Bittner und Kim-David Hammann – alles Studierende der Hochschule Osnabrück), das eine ähnliche Funktion hat wie der Chor in der antiken Tragödie und munter kommentierend über die Bühne wuselt. Aber zur Tragödie kommt es bei Bernstein nicht. Es scheint so, dass Dinah und Sam ein kleines Stückchen von dem Inselzauber aus dem „Tahiti“-Film in ihren Alltag gerettet haben. Das Ende bleibt offen.

Dem Oldenburgischen Staatstheater ist jedenfalls ein gleichermaßen berührender wie unterhaltsamer Opernabend gelungen, der in seiner szenischen und musikalischen Umsetzung rundum überzeugt.

Wolfgang Denker, 21.03.2016

Fotos von Stephan Walzl