Premiere am 05.11.2016
Gruseliges im viktorianischen London
Es gibt im Bereich der Oper und der Operette so einige Barbiere, die ihr heiteres Unwesen auf der Bühne treiben. Man denke nur an den berühmtesten unter ihnen, den „Barbier von Sevilla“ aus Rossinis Feder, oder auch an den nicht minder ausgelassenen „Barbier von Bagdad“, dessen Schöpfer Peter Cornelius ist. Doch Sweeney Todd ist da von einem anderen Kaliber. Auch er ist ein Barbier. Man sollte sich aber von ihm besser nicht rasieren lassen, da er seinen Kunden schon mal gern die Kehle durchschneidet.
Das Musical „Sweeney Tod – The Demon Barber of Fleet Street“ von Stephen Sondheim (der auch das Libretto zur „West Side Story“ schrieb) ist ein herrlich gruseliges Stück. Es wurde 1979 am Broadway uraufgeführt und gewann neun Tony Awards. Eine der Hauptrollen, die Pastetenbäckerin Mrs. Lovett, wurde damals von Angela Lansbury gespielt, die später in vielen Filmen als Miss Marple zu sehen war. 2007 wurde das Stück als „Sweeney Todd – Der teuflische Barbier aus der Fleet Street“ mit Johnny Depp in der Titelrolle verfilmt.
Die Handlung spielt im viktorianischen London. Der Barbier Benjamin Barker kommt als Sweeney Todd nach 15 Jahren aus der Verbannung zurück, in die ihn der Richter Turpin geschickt hat, um sich an Barkers Frau Lucy vergehen zu können. Lucy nahm angeblich Gift, die Tochter Johanna wurde von Turpin adoptiert. Jetzt will er sie heiraten. Todd hat nur einen Gedanken: Rache und Tod für Turpin. Mehrere Versuche scheitern. Todds Hass weitet daraufhin sich auf die gesamte Menschheit aus. Und so meuchelt er skrupellos immer weiter.
Mit der Pastenbäckerin Mrs. Lovett hat er ein einträgliches „Geschäftsmodell“ entwickelt. Die verarbeitet nämlich Todds Opfer in den bisher so miesen Pasteten, die jetzt plötzlich reißenden Absatz finden. Am Ende wird auch Mrs. Lovett von Todd umgebracht ebenso wie eine verwirrte Bettlerin, die sich aber als die tot geglaubte Lucy entpuppt. Auch Todd selbst findet sein Ende auf dem Rasierstuhl durch die Hand eines Bäckergehilfen.
Bei der ersten Musiktheaterpremiere dieser Saison mit Verdis „Macbeth“ ging es durchaus blutig zu. Bei „Sweeney Todd“ wird auch hemmungslos gemordet. Und Regisseur Michael Moxham sieht durchaus Parallelen zwischen Macbeth und Sweeney Todd. Macbeth mordet aus Ehrgeiz, Todd aus Rache. Bei beiden läuft schließlich alles aus dem Ruder. Und auch bei der Bäckerin Mrs. Lovett, die Todds Opfer zu Pasteten verarbeitet, zieht er einen Vergleich zu Lady Macbeth.
Moxham und sein Ausstatter Jason Southgate haben in Oldenburg für drei Stunden bester Unterhaltung gesorgt. Gesungen wird in deutscher Sprache. Die oft dunklen Bühnenbilder vermitteln einen überzeugenden Eindruck vom gruseligen London. Die verschiedenen Schauplätze sind gut umrissen. Bei Todds Ankunft werden die Masten eines Schiffes angedeutet, Johanna schwebt wie in einem goldenen Käfig über der Bühne. Richter Turpin sitzt arrogant auf einem überdimensionalen Thron. Im „Erdgeschoß“ der Bühne befindet sich die Pastetenbäckerei, darüber Todds Frisiersalon mit einem geradezu heimtückischen Rasierstuhl. Auf Knopfdruck werden die Mordopfer aus diesem über eine Rutsche nämlich direkt in die Backstube befördert. Und für die kurze Szene im Irrenhaus wird die Bühne hochgefahren und gibt den Blick auf Gefängniszellen frei. Die Ausstattung ist phantasievoll, abwechslungsreich und stimmig. Das gilt auch für die Kostüme, ebenfalls von Southgate.
Die Inszenierung von Max Moxham ist trotz der blutigen Handlung stets von feinsinnigem Humor durchzogen. Das zeigt sich in vielen kleinen Details, etwa wenn Todd und Mrs. Lovett darüber sinnieren, welche Berufsstände sich am besten zu Pasteten verarbeiten lassen. Wenn Mrs. Lovett in den Backofen gestoßen wird, ist das eine kleine selbstironische Spitze – Moxham hat nämlich vor einem Jahr „Hänsel und Gretel“ in Oldenburg inszeniert.
Die Charakterisierung der Personen wird auf den Punkt gebracht. Mrs. Lovett etwa ist trotz ihres makabren Handwerks irgendwie doch ein knuddelige, fast liebenswerte Person, die mit ihrem Schalk und mit ihren Sehnsüchten für sich einnimmt. Und auch die Entwicklung von Sweeney Todd, der sich über seine verständlichen Rachegelüste hinaus immer mehr zum monströsen Massenmörder entwickelt, ist sehr gut gezeichnet.
Für die Titelpartie steht mit dem Bassbariton Tomasz Wija eine ideale Besetzung zur Verfügung. Mit düsterer, verschlossener Ausstrahlung wird er der Figur beklemmend gerecht. Seine runde, volle Stimme begeistert mit ihrer profunden Tiefe und ihrem satten Klang in jeder Phase. Melanie Lang ist als Mrs. Lovett komisch und tragisch zugleich. An Bühnenpräsenz steht sie Thomas Wija in nichts nach. Lukas Strasheim ist der in Johanna unsterblich verliebte Freund von Todd, Stephen Foster der aufgeblasene Richter Turpin.
Als Johanna wirkt Alexandra Scherrmann mit hübschem Sopran wie eine Lichtgestalt unter all den düsteren Figuren. Philipp Kapeller gibt mit ausdrucksvollem Tenor den Bäckergesellen und späteren Mörder Todds. In kleineren Rollen sind Paul Brady als der von Todd als erster umgebrachte Barbier Pirelli, der wie ein Bruder des Quacksalbers Dulcamara (im „Liebestrank“) wirkt, sowie Sandro Monti als Turpins Büttel und Friederike Hansmeier als Bettlerin zu erleben.
Carlos Vázquez steht am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters und bringt die rhythmisch durchaus schwierige Musik von Stephen Sondheim bestens zum Klingen. Chor und Extrachor steigern sich nach anfänglichen Schwierigkeiten zu guter Form.
Wolfgang Denker, 06.11.2016
Fotos von Stephan Walzl