Oldenburg: „Agrippina“

Premiere am 15.10.2016

Intrigen und Machtspiele im alten Rom

Die Intrigen in den früheren Fernsehserien „Dallas“ und „Denver“ sind nichts gegen die Hinterlist und Heimtücke, mit der Agrippina, die Gattin des Kaisers Claudio, vorgeht, um ihren Sohn Nerone auf den römischen Kaiserthron zu hieven. Im gefühlten Viertelstundentakt werden immer neue Ränke geschmiedet – und das sind bei dreieinhalb Stunden Spieldauer schon einige.

Mit der Oper „Agrippina“ von Georg Friedrich Händel setzt das Oldenburgische Staatstheater seine Pflege der Barockoper erfolgreich fort. Wie schon bei „Hercules“ und „Xerxes“ in den beiden letzten Spielzeiten ist dem Haus einmal mehr ein Volltreffer gelungen. Für die musikalische Qualität ist wieder Jörg Halubek verantwortlich, der mit dem teilweise auf historischen Instrumenten spielenden Oldenburgischen Staatsorchester einen erstaunlich authentischen Barockklang erzeugen kann. Seine in durchweg ruhigen Tempi gehaltene Wiedergabe überzeugt durch eine sehr differenzierte Lesart, bei der Stimmen und Orchester stets fein aufeinander abgestimmt sind. Die vielen Nuancen in Dynamik und Phrasierung zeugen von der Sorgfalt, mit der Halubek das Orchester auf diese Aufgabe vorbereitet hat.

Die Inszenierung von Laurence Dale ist eine Übernahme von den Göttinger Händel-Festspielen, wo sie bereits im Mai 2015 gefeiert wurde. Dale ist es gelungen, ein ausgefeiltes Kammerspiel mit komödiantischen, anrührenden und satirischen Anteilen auf die Bühne zu bringen. Kalkulierte Weinkrämpfe, nie eingelöste Liebesversprechen oder neckische Versteckspiele in Poppeas Schlafzimmer gehören hier zum Arsenal von List und Tücke. Anspielungen auf heutige politische Unkulturen versagt er sich: Die Machtspiele von Agrippina und später auch von Poppea sprechen ohnehin für sich. Dafür sind die Charaktere punktgenau und sehr individuell gezeichnet. Kaiser Claudio etwa, der kraftlos hinkend und leicht debil daherkommt, könnte als Figur direkt aus einer Offenbach-Operette stammen. Nerone in seinem feuerroten Kostüm (historisch hat er ja den Brand von Rom zu verantworten) ist ein pubertierender Rotzbub, der von Agrippina schon mal eine Ohrfeige bekommt, wenn er nicht spurt.

Poppea, die von allen heiß begehrte Blondine, gibt sich zunächst als naives Unschuldslamm, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Und Agrippina, die Drahtzieherin, becirct Pallante und Narciso genau nach dem gleichen Muster, um sie für ihre Zwecke gefügig zu machen. Wenn sie bei der (falschen) Nachricht vom Tode Claudios hämisch auflacht, bestehen über ihren Charakter keine Zweifel. Der einzig Anständige dieser Gesellschaft ist Ottone, der fälschlicherweise des Verrats beschuldigt wird, der am Thron kein Interesse hat und einzig für seine Liebe zu Poppea lebt. Ihm hat Händel auch eine sehr berührende Arie, voller Verzweiflung und voller Liebessehnsucht, gegönnt. Am Ende eilt Regisseur Dale im Zeitraffer durch die Geschichte: Claudio, Agrippina, Poppea und Nerone werden ins Jenseits befördert und Ottone setzt sich die herrenlose Kaiserkrone auf. Man soll eben niemals nie sagen…

Das Bühnenbild von Tom Schenk ist sehr schlicht, dabei aber auch sehr ästhetisch – zwei verschiebbare Stellwände mit Spiegeln, eine große Säule und ein Thronhocker genügen vollauf. Auch die Kostüme (nach einem Entwurf von Robby Duiveman) sind in ihrer phantasievollen Ausgestaltung eine Augenweide.

Sängerisch bleiben keine Wünsche offen. Nina Bernsteiner als Agrippina und Martyna Cymerman als Poppea sind die konkurrierenden Diven, deren Stimmen wunderbar harmonieren und die ihre Partien virtuos ausführen. Als Ottone begeistert Leandro Marziotte mit ebenmäßigem Countertenor und berührender Darstellung. Hagar Shavit ist ein frecher, agiler Nerone mit klangvollem Mezzo. Claudios Diener Lesbo wird von Ill-Hoon Choung mit sonorem Bass verkörpert. Aarne Pelkonen und Yulia Sokolik sind als Pallante und Narciso absolut vergnüglich. Das gilt auch für João Fernandes, der als Claudio ein wahres Kabinettstückchen abliefert. Ein langer Opernabend, der sich aber als gleichbleibend kurzweilig erweist.

Wolfgang Denker, 16.10.2016