Frankfurt: „Don Giovanni“, Wolfgang Amadeus Mozart

Diese Wiederaufnahme des Don Giovanni vibriert vor Energie. Das beginnt schon mit den ersten Tönen aus dem Orchestergraben. Der junge britische Dirigent James Hendry setzt das Orchester förmlich unter Strom. Rasch sind die Tempi, stark die Akzente und dynamischen Kontraste. Die Frankfurter Musiker folgen ihm aufmerksam und bilden mit der phantasievollen und flexiblen Begleitung der Rezitative auf dem Hammerklavier von Felice Venanzoni das Fundament für einen prallen Theaterabend.

© Monika Rittershaus (Premierenfoto)

Die Energie aus dem Orchestergraben wird auf der Bühne von ausgezeichneten Darstellern aufgenommen, welche die Regiearbeit von Christof Loy mit der Spannung einer Premiere präsentieren. Wie bei diesem Regisseur üblich, wird auf große Posen verzichtet, dafür aber mit kleinen, differenzierten Gesten und Blicken eine umso größere szenische Intensität erreicht. Die Inszenierung gewinnt dem Stück neue Perspektiven ab, ohne ihm ein aufdringliches „Konzept“ gewaltsam überzustülpen. Sie ist modern in ihrer Hellsichtigkeit und psychologischen Tiefenschärfe, dabei altmeisterlich in der zwingenden Präzision der Personenführung. Wenn die Charaktere so plausibel gezeichnet sind, bedarf es keiner äußerlichen Aktualisierung durch postmoderne Möblierung und Straßenanzüge. Wer an historisierenden Kostümen seine Freude hat, wird hier ausnahmsweise einmal nicht enttäuscht. Der Frankfurter Don Giovanni spielt zur Entstehungszeit der Oper und bietet eine stilechte Mantel- und Degenausstattung, Fechtszenen inbegriffen. Ganz selbstverständlich entfalten sich so Tragik und Witz des vorzüglichen Librettos. Es darf durchaus bei allem letztlich tödlichen Ernst auch gelacht werden. Gelungen ist damit tatsächlich ein „Dramma giocoso“, wie Mozart und Da Ponte es erdacht haben. Das Heitere bleibt leicht, ohne in den Klamauk zu kippen, das Ernste erhält die nötige Schwere. Dies in einer solch unverkrampften Selbstverständlichkeit auszubalancieren, gelingt nicht vielen Regisseuren.

Nicholas Brownlee (Don Giovanni), Mojca Bitenc (Donna Anna) und Michael Porter (Don Ottavio) / © Barbara Aumüller

Nicholas Brownlee debütiert als Don Giovanni, Kiwan Sim gibt seinen bewährten Leporello. In der Saisonvorschau war das noch umgekehrt angekündigt worden. Im Laufe des Abends zeigt sich, daß dieser Rollentausch musikalische Gründe hat. Brownlees wuchtiger Baßbariton ist eigentlich über Mozart hinausgewachsen. Wer mit seiner Stimmgewalt bei Wagners Sachs und Holländer mühelos über Orchesterwogen hinwegkommt, der muß sich bei Mozart enorm zurücknehmen. Das gelingt Brownlee sehr geschickt in den vielen Rezitativen, geschmackvoll in dem berühmten Duett mit Zerlina (Là ci darem la mano), kaum aber in dem nicht minder berühmten Ständchen, wo die große Stimme wie in ein zu kleines Gefäß eingezwängt wirkt und immer wieder überquellen will. Da der Titelheld ansonsten außer der Champagner-Arie keine markante Solonummer hat, ist die Übergröße der Stimme aber kein Handicap für eine glaubhafte Rollengestaltung. Bei der Champagner-Arie übrigens zügelt der Dirigent das Tempo, so daß Brownlee bequem aussingen kann. Eigentlich war es Teil des Regiekonzepts, daß dieses Show-Stück übellaunig heruntergerattert wird. Denn Don Giovanni ist bei Loy ein alternder Widerling, der – seines Lebens überdrüssig – mit den serienweisen Eroberungen einem ihm selbst lästigen Zwang folgt und das Ende regelrecht herbeisehnt. Das beglaubigt Brownlee mit enormer Bühnenpräsenz, so daß sein Einsatz außerhalb seines angestammten Rollenfachs als Aktivposten dieser Wiederaufnahme verbucht werden kann.

Kihwan Sim (Leporello) und Elissa Huber (Donna Elvira) / © Barbara Aumüller

Kiwan Sim hat sich stimmlich seit seinen Anfängen im Frankfurter Opernstudio enorm weiterentwickelt. War er jahrelang die Frankfurter Topbesetzung für Barock- und Belcanto-Partien, so erweitert er sein Repertoire inzwischen behutsam um Rollen mit größerer Gravitas. Noch kann er sich dabei eine staunenswerte Bandbreite erhalten. Welcher Sänger etwa könnte nebeneinander einen sonoren Sarastro, einen saftigen Escamillo und nun wieder einen wendigen Leporello geben? Zu hören ist unverändert ein in allen Lagen ausgezeichnet durchgeformter Bariton mit stabilem Kern und attraktiv viriler Klangfarbe. Die Tiefe hat an Substanz gewonnen, die Höhe ist noch ungefährdet, wenngleich sie inzwischen ein wenig an Leichtigkeit eingebüßt hat. An Volumen kann es Kiwan Sim mit Brownlee aufnehmen, an Beweglichkeit ist er ihm überlegen. Das erklärt den Rollentausch. Sein mimisches und gestisches Repertoire beherrscht er ohnehin souverän und spielt den Humor seiner Partie ohne Chargieren aus.

Für die beiden weiblichen Hauptpartien verzeichnet der Besetzungszettel mit Mojca Bitenc als Donna Anna und Elissa Huber als Donna Elvira zwei Hausdebüts, bei letzterer sogar ein Rollendebüt. Beide verfügen über gut durchgeformte Sopranstimmen mit attraktivem Timbre. Die Regievorgabe will es, daß Mojca Bitenc sich in nobler Blässe zurückhalten muß, während Elissa Huber ihr darstellerisches Talent ausspielen darf. Im zweiten Akt aber übernimmt Kateryna Kasper als resolute Zerlina das Heft des Handelns und wertet die Partie des unscheinbaren Bauernmädchens zur dritten weiblichen Hauptrolle auf. Im ersten Akt hatte sie die naive Unbedarftheit mit einem glockenhellen, unschuldigen Ton beglaubigt. Nun aber klingt sie reifer und nicht nur gegenüber ihrem Verlobten regelrecht resolut. Die ihrer Partie von Mozart zugedachten liedhaften Melodien erweitert sie immer wieder mit geschmackvollen Auszierungen. Ihren Masetto gibt das Opernstudiomitglied Jarett Porter in einem weiteren Rollendebüt mit schlankem, aber kernigem Bariton. Der junge Sänger hatte in dieser Spielzeit mehr Einsätze als manches Ensemblemitglied und konnte wie auch jetzt ausnahmslos überzeugen. Abgerundet wird die vorzügliche Besetzung durch Michael Porter, der die einzige ihm vergönnte Arie des Don Ottavio mit differenzierter Gestaltung zur großen Nummer macht, und Andreas Bauer Kanabas, der mit seinem profunden Baßbariton einen ehrfurchtgebietenden Komtur orgelt.

Nicholas Brownlee (Don Giovanni), Kateryna Kasper (Zerlina) und Jarrett Porter (Masetto) sowie im Hintergrund den Chor / © Barbara Aumüller

Diese opulent ausgestattete, fesselnd inszenierte und hinreißend musizierte Produktion wirkt auch beim Wiedersehen zeitlos frisch und macht einfach gute Laune. Opernkenner kommen hierbei genauso auf ihre Kosten wie Opernanfänger, denen sie als ideale Einstiegsdroge empfohlen werden kann.

Michael Demel, 19. Mai 2023


Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 12. Mai 2023 (Premiere am 11. Mai 2014)

Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: James Hendry
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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