Frankfurt, Konzert: „Brahms: Die schöne Magelone“, Brigitte Fassbaender und Konstantin Krimmel

Es wird viel geweint in Ludwig Tiecks märchenhafter Erzählung „Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence“ aus dem Jahr 1794. Da weint der junge Ritter beim Rezitieren des Liedes eines fahrenden Sängers, das ihn in die weite Welt lockt. Dort entflammt er in Liebe zur schönen Magelone, was diese erwidert und des Nachts vor Sehnsucht nach ihm weint, sich ihrer Amme offenbart, die aus Solidarität mitweint. Die beiden finden sich endlich, er stellt sie auf die Probe, was sie erwartungsgemäß mit Tränen beantwortet. Sie werden getrennt, natürlich weint Magelone deswegen. Ihn übermannt nach Jahren der Trennung die Sehnsucht und „er weinte heftig“. Schließlich findet sich das Paar wieder und sie „weinten und küßten sich“.

© Barbara Aumüller

Frühromantische Mittelalterverklärung im betulichen Märchenton – man kann das heute allenfalls aus philologischem Interesse an einer gänzlich fremd gewordenen Epoche lesen. Wenn aber Brigitte Fassbaender diesen altertümelnden Text mit ihrer sonoren, warmen Stimme vorträgt, dann lauscht man gerne der Erzählung von Ritterturnieren, keuscher Liebe und schicksalhaften Wendungen, betrachtet behaglich die heraufbeschworenen Bilder und läßt sich von der spürbaren Begeisterung dieser grandiosen Sprachkünstlerin für den Märchenton des Dichters anstecken. Als Sängerin längst eine Legende, verwandelt sie den Text auch im Sprechen zu Musik. Nahtlos geht ihr Rezitieren in die Klänge über, welche Johannes Brahms zu den Liedern komponiert hat, mit denen Tiecks Erzählung gespickt ist. In ihrer aktiven Zeit als Sängerin hatte Brigitte Fassbaender die Lieder selbst oft gesungen. Nun überläßt sie den Gesangspart dem jungen Bariton Konstantin Krimmel, den sie in leichter Abwandlung der Vorlage zu Beginn vorstellt als „groß und stark, und glänzende braune Haare flossen um seinen Nacken“ (im Original sind es blonde Haare), worauf der Sänger kokett durch seine dichte Mähne streicht. Diese kleine Spielerei ist der einzige Moment sanfter Ironie. Denn in ihrer Haltung sind sich Sprecherin und Sänger einig: Dies ist ein großes, vielschichtiges Kunstwerk, zu dem sie nicht auf Distanz gehen, sondern dessen romantische Innigkeit und Innerlichkeit sie ernsthaft und empathisch darbieten. Dabei vermeiden beide übertriebenes Pathos und lassen das Unternehmen nie in den Kitsch abgleiten. Konstantin Krimmel lotet die musikalische Vorlage mit seinen stimmlichen Mitteln aus, und die sind enorm. Mit leichtgängiger, geradezu tenoraler Höhe, einer wenn nötig kernig-kräftigen Mittellage und einer ungefährdeten Tiefe findet der Bariton traumwandlerisch sicher immer die richtige Klangfarbe. Emphase, Sehnsucht, Liebe und Verzweiflung vermitteln sich in natürlicher Frische. Dabei ist die Artikulation so prononciert wie die Textgestaltung unaufdringlich ist. Das ist weit entfernt von der professoralen Überdeutlichkeit eines Fischer-Dieskau und noch weiter von den inzwischen kaum noch goutierbaren Manierismen eines Christian Gerhaher.

© Barbara Aumüller

Wolfram Rieger setzt mit weichem Klavierton einen altgolden schimmernden Rahmen um die von dem kongenialen Duo heraufbeschworenen Märchenbilder. Leicht hätte er sich mit seinem anspruchsvollen und stellenweise virtuosen Part in den Vordergrund spielen können. Stattdessen hält er die Erzählung im Fluß, stützt und ummalt die singenden und sprechenden Erzähler und trägt so maßgeblich zu dem Eindruck eines Kunstwerks aus einem Guß bei.

Michael Demel, 31. Oktober 2024


Johannes Brahms: Die schöne Magelone, op. 33

Oper Frankfurt

Liederabend am 29. Oktober 2024

Konstantin Krimmel, Bariton
Brigitte Fassbaender, Rezitation
Wolfram Rieger, Klavier