Köln: „Faust“, Charles Gounod

Premiere: 05.06.2021

Was war das für eine große Freude endlich wieder große Oper live hören zu dürfen. Und es war auch eine ganz besondere Atmosphäre im Staatenhaus an diesem Abend, vielleicht noch etwas quirliger, noch etwas gespannter als bei anderen Premieren und dabei ging es vielleicht bei der Neugier auf die neue Produktion nicht mal um die Erwartung an bestimmte Sänger oder an die Regie – nein, es war eine Atmosphäre, die von großer Hoffnung und Freude getragen war.

Mit Charles Gounods wohl populärstem Werk „Faust“ stand direkt etwas auf dem Spielplan, das in seinen Anforderungen alles benötigt, was der Opernapparat zu bieten hat und es war eine wahre Freude zu sehen, mit welcher Lust das Team der Kölner Oper diesen Abend möglich gemacht hat.

Bemerkenswert in der Vorankündigung, aber dann letztendlich wenig erhellend mag die Wahl der Fassung gewesen sein. So hatte man sich für die Deutsche Erstaufführung der rekonstruierten Originalfassung mit gesprochenen Dialogen entschieden. Das Ergebnis mag für den Musikwissenschaftler von Interesse sein, diese herben Brüche stören aber die fließende, sinnliche Musik Gounods eben doch mehr, als es Rezitative getan hätten.

Dabei ist die musikalische Seite gerade das, was den Abend so stark macht. Allen voran zaubert GMD Francois Xavier Roth einen fließenden, wohltönenden Klang, geht kraftvoll an die großen, lauten Passagen und zelebriert die feinen, kleinen Momente. Dabei greift er gerne zu zügigen Tempi, die in den Massenszenen zu kleinen Wacklern führen, da das Orchester (ja, jetzt muss Corona doch Tribut gezollt werden) sehr weit auseinander sitzt und der Chor im Hintergrund nicht minder weit entzerrt agiert. Aber das stört eigentlich kaum, denn das, was da aus dem Graben von einem blendend aufgelegten Gürzenich-Orchester erklingt ist ein unglaublich frischer und von allem Pathos befreiter Gounod.

Auf der Bühne agiert ein exzellentes Sängerensemble. Anne Catherine Gillet gibt allen voran eine makellose Marguerite, die von der zarten Melodie bis zur exaltierten Juwelen-Arie eine glanzvolle Leistung abgibt. Ihr zur Seite steht mit viel Kraft in der Stimme Young Woo Kim als Junger Faust. Mit Samuel Youn hat die Kölner Oper wohl eine Glanzbesetzung für die finstere Rolle des Mephistopheles im Ensemble. Auch wenn er als einziger Schützenhilfe durch den gleichzeitigt dirigierenden und rezitierenden Dirigenten bei den französischen Dialogen bekommt (ja, die Premiere kam dann letztendlich doch etwas überraschend), zeigt Youn einmal mehr, welche dämonische Tiefe in seinem Spiel und welch dramatische Gewalt in seiner Stimme liegen. Alexander Fedin als Alter Faust ist eine Idealbesetzung für diesen Part verfügt er doch über eine reife, aber immer noch klangschöne Stimme und bringt auch Alter und Erfahrung mit, die ihm ein so glaubhaftes Portrait dieser Figur gestatten. Die kleineren Partien sind durch die Bank weg gut bis sehr gut besetzt, besonders sei Miljenko Turk in der Rolle des Valentin erwähnt, der mit beeindruckender stimmlicher Klarheit die lyrischen Momente seiner Figur herzergreifend gestaltet.

Da Corona bedingt kein Chor auf der Bühne singen und agieren kann, hat sich Regisseur Johannes Erath einige Statisten (ergänzt durch Mitglieder des Opernstudios) zur Hilfe genommen, die die Szenerie beleben sollen und da kommen wir zu einem der Probleme des Abends: Die Regie. Erath möchte über die Grenzen zwischen Leben und Tod reflektieren über die Vergänglichkeit und die Frage, wie der Mensch sein Leben am Ende resümiert. Ein interessanter Ansatz, der sich aber leider nur bedingt erzählt. Erath ergeht sich in vielerlei platter Symbolik wie etwa dem von ihnen verspiegelte Sarg, dessen Deckel dem Publikum vor die Nase gehalten wird, die Wiege, auf die der Sargdeckel direkt passt und der große Schriftzug „Adieu“ bei dem das I – ja, wir ahnen es schon – ein Sarg ist. Dabei hat Bühnenbildner Herbert Murauer eine geniale Bühne erschaffen, die Assoziationen einer Kameralinse, einer Fokussierung (auf das Wesentliche?) zulässt und in beeindruckender Weise wie von Zauberhand Versatzstücke erscheinen und verschwinden können.

Die Regie vertraut hier aber wenig auf die Kraft der Personen und der Musik und so wird viel zu viel bebildert, viel zu viel Kulisse von links nach rechts geschoben und letztlich alles noch mit viel zu viel Videoeinspielungen von Bibi Abel garniert. Nun mag diese Inszenierung unter Bedingungen einstudiert worden sein, die fernab dessen sind, wie man sonst probt, denn alle Protagonisten halten brav Abstand und berühren sich nicht, was übrigens so gut wie gar nicht auffällt, aber gerade hier ist dann auf der Bühne oft so viel los, dass man den Fokus auf die Sänger und die Handlung verliert. Dabei entstehen sehr wohl immer wieder starke Bilder, die aber auch schnell überfrachtet werden und so ihre Kraft leider einbüßen.

Dieser Opernabend macht aber dennoch Hoffnung und Lust auf mehr. Hoffnung, dass wir bald wieder auf relativ normale Art und Weise Kultur erleben können und Lust auf mehr Musik, mehr Musik die so wunderbar musiziert ist. Die Kölner Oper hat einen echten Kraftakt hingelegt und hat gezeigt mit welcher Lust und Freude sie ihre Arbeit macht: Das hat jeder Zuschauer an diesem Abend gemerkt und dafür gebührt eigentlich noch ein ganz besonderer Applaus.

Sebastian Jacobs, 6.6.2021

Die Bilder stammen von ©Bernd Uhlig