Georg Friedrich Haas
Neue Fassung von 2018
Wenn man sich nichts traut, darf man keine Kunst machen
„KOMA“, eine Oper, doch viel mehr als das; ein Ganzkörper-Erlebnis. Komponist Georg Friedrich Haas und Librettist Händl Klaus haben eine Oper rund um die in unserer Gesellschaft existierenden Tabus Selbstmord, Tod, und Leiden geschaffen und wollten wohl das’ im Koma Liegen’ der zentralen Person – nach ihrem Selbstmordversuch- den Zuschauern auch sinnlich vermitteln.
Nicht alle ertrugen es. Diverse Personen mussten von Hilfskräften hinausgeleitet werden weil sie an Klaustrophobie, Schwindel, Übelkeit und Angstzuständen litten. Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass ein guter Teil der Oper in der absoluten Finsternis gegeben wurde. Die anderen erfuhren wie sehr sich der auditive Sinn doch verschärft, wenn die anderen ausgeschaltet oder auf ein Minimum reduziert sind und wie sehr das intensive Hören und Nachspüren den Eindruck der Musik auf den Körper verstärken kann. Auch transponierte es die Zuhörer in eine Art Koma, sodass sie die Sensationen der Komafigur zumindest teilweise nachempfinden konnten. Nach der Oper tauchte man wie aus einem Tiefschlaf oder einer Narkose auf und es brauchte lange bis alle Sinne wieder so funktionierten, dass man den Eindruck hatte wieder im ‚Normalzustand’ zu sein.
„KOMA“ : Keine leichte Kost. Wenn auch bei herrlicher Musik. Komponist Georg Friedrich Haas meint, dass man ihm vorwerfe, direkt aufs Libretto zu komponieren; also das Wort direkt in Musik umzusetzen. Das kann man doch nicht als Schwäche auslegen. Hier schon gar nicht.
Denn leider konnte man auch als Deutschsprachiger den gesungenen Text nicht verstehen. Ein wahres Manko. Denn dort war doch Einiges, dass Konnotationen und Gedanken angestossen hätte, die zu diesem Thema wichtig sind. Die Artikulation der Sänger liess dies aber nicht zu. Den Text mitzulesen war ja in dieser Dunkelheit unmöglich und eine Leuchtschrift hätte zweifellos das Gesamterlebnis bedeutend geschmälert.
Der 1953 in Graz geborene Komponist ist ein steter Neuerer und unermüdlich Suchender. Er gilt als Vertreter der ‚Spektralmusik, einer Form ‚ „die sich vor allem durch klangliche Experimente auszeichnet.“ Seine Vorbilder hat Haas weniger in der zeitgenössischen Musik. Seine ‚Säulenheiligen’ sind Schubert, mit dem er eine tiefe Melancholie teilt, und Mozart. Haas: „Die wichtigste Wurzel jeder Kunst ist der Zugang zur Spiritualität. Für mich sind die ersten Takte von Schubert ‚Unvollendeter’ Beweis genug dafür, dass Gott existiert. Würde er oder sie oder es nicht existieren, hätte Schubert diese Musik nicht schreiben können.“
Georg Friedrich Haas wird von einigen Kollegen und Kritikern als ‚Bedeutendster Komponist der Gegenwart’ geschätzt und wurde von seinen Schülern an der Basler Musikschule, denen er in seiner ruhigen behutsamen Art zu ihrer eigenen identitätsbestimmten Musik verhilft, nicht nur geschätzt sondern vergöttert. Zweifellos ist er einer der vielseitigsten und interessantesten heutigen Schöpfer, der von der Bedeutung des Musiktheaters überzeugt ist; doch schon mal eine witzige lautmalerische Kreation wie ‚Bumble-Bee for two Basses’ komponiert, oder eine Symphonie für vier Alphörner, in der er die Schönheit der falschen Töne zelebriert.
Auch vor Selbstversuchen schreckt Haas nicht zurück um sich im Musikuniversum weiter zu bringen . Eine radikale Selbsterkundung zelebrierte er schon in jungen Jahren als monatelanger Einsiedler ganz allein im hohen Norden. So versuchte er ohne jede Ablenkung dem Ursprung der Musik nachzugehen.
Danach ist Haas’ „von der Überzeugung getragen, Musik vermöge „Emotionen und seelische Zustände von Menschen so zu formulieren, dass sie auch von anderen Menschen als die ihren angenommen werden können.“ Dies im Gegensatz zu den Ansichten von zeitgenössischen Kollegen, die Musik vor allem de-emotionalisiert und intellektualisiert hatten. Haas beschreibt seine Hinwendung zur Emotionalität in einem Interview so: „Ich habe mich hingesetzt, mir meine Gesetze überlegt und diese zu Papier gebracht. Das heißt, so ganz ist es mir nie gelungen, das Emotionale außen vor zu lassen. Aber ich dachte, ich muss es unterdrücken. In der ganzen Musikszene waren Emotionen verpönt. Und ich hatte selber Angst davor. Doch dann kam die Entscheidung: Ich drehe meine Sprache um. Der Prozess hat sieben Jahre lang gedauert.
Nun lehrt Haas auch Komposition an der Columbia University in New York. Dort verfolgte er wiederum seine Praxis, Konventionen und Gesetze zu brechen und outete sich als Sadomasochist. Eine Neigung, deren Wurzeln wohl in seiner von Nazipraktiken geprägten Kindheit zu finden sind, die er aber vierzig Jahre lang unterdrückt hatte. Sein Outing ist nicht etwa privat und diskret, sondern kommt mit Paukenschlag. Haas lässt sich mit seiner vierten Ehefrau Mollena Williams-Haas in ihrer sadomasochistischen Beziehung portraitieren.
Der Film „ The Artist and The Pervert“ wird sogar preisgekrönt. Seine Beweggründe zu diesem sehr publiken Schritt erklärt Haas so: “ Sich als Angehöriger einer sexuellen Minderheit zu outen ist schmerzhaft und riskant. Es kam zu verbalen Attacken und auch zu sexistischen und rassistischen Verunglimpfungen meiner Frau. Ich habe darüber geredet, weil es notwendig war. Meine Produktivität als Komponist war signifikant gestiegen – und ich wollte erklären, warum.“
Diesen Mut, diese Radikalität Grenzen zu überschreiten und in völlig neue bis anhin unbekannte Sphären vorzustossen machen seine Werke so eindrücklich. Wie auch die Oper „KOMA“, die 2016 anlässlich der Schwetzinger SWR-Festspiele uraufgeführt wurde. Doch die im Klagenfurter Stadttheater entstandene Inszenierung von Immo Karaman ist wirklich memorabel; wie auch die musikalische Ausführung des Kärntner Sinfonie Orchesters unter der Leitung von Bas Wiegers.
Die Zuschauer verlassen die Aufführung erschüttert. Manche ruhen tief in sich drin; mögen sich auch auf der Premierenparty nicht unterhalten.
Wie sagte doch Haas: „ Musik vermag Emotionen und seelische Zustände von Menschen so zu formulieren, dass sie auch von anderen Menschen als die ihren angenommen werden können.
Wer dabei war weiss, dass er recht hat.
Dagmar Wacker, 13.8.2019
Bilder (c) Opéra de Dijon; Gilles Abbeg