„La Traviata“ am 03.08.2013 und „Lucia di Lammermoor“ am 04.08.2013
Gut Immling steigert sich von Jahr zu Jahr: Aufführungen wie aus einem Guss und Überraschungen zu Hauf
Jedes Jahr habe ich mehr von Gut Immling geschwärmt und immer wieder betont, dass es nun keine Steigerung mehr gibt. Dies werde ich jetzt einfach nicht mehr schreiben, weil ich mich sonst von Jahr zu Jahr unglaubwürdig mache. In diesem Jahr erlebten wir eine ganz tolle „La Traviata“ und eine sensationelle „Lucia di Lammermoor“ – doch für einen weiteren Paukenschlag hatte der rührige
Opernfestival-Intendant und Opernsänger Ludwig Baumann und die musikalische Leiterin Cornelia Gräfin von Kerssenbrock selbst gesorgt. Sicher, man wusste schon lange, dass die beiden ein Paar sind, aber jetzt haben beide Nägel mit Köpfen gemacht. Am 31.05.2013 heirateten beide und strahlten zu Recht, obwohl der Himmel weinte und es in Strömen goss. Der Rezensent geht davon aus, dass es Freudentränen waren, die der Himmel weinte. Es sei erlaubt, den beiden alles erdenklich Gute und alles Glück dieser Welt zu wünschen und beiden weiterhin ein so gutes Händchen beim Opernfestival Gut Immling zu besitzen.
Als erste Aufführung waren wir in „La Traviata“ und man konnte sehen, mit welchen einfachen Mitteln man auf die nicht unbedingt leicht zu bestückende Gut Immlinger Opernbühne, Leben vermitteln konnte. Die Regisseurin Waltraud Lehner aus München arbeitet mit übergroßen Türelementen und grau gehaltenen Polstern – aufgelockert von gut verteiltem modernen Zubehör. Violettas Krankheit wird in unsere Zeit transportiert, sie hat statt Tuberkulose Krebs, sie muss keine Hustenanfälle durchstehen, am Ende der Oper zieht sie sich langsam die Perücke vom Kopf, barfüßig und barhäuptig steht sie da, ein zartes Tuch, einen Schleier um den Hals, in einem hauchzarten Sommerkleidchen.
Es ist erschütternd, wenn sie diesen Tod stirbt, inmitten der Gesellschaft, an genau dieser Gesellschaft. Sonia Ciani, die glutvolle Römerin, ist hinreißend schön, mit ihrer roten Mähne und ihrem engagiertem Spiel, fast zu vital für die Figur der Violetta. Aber sie sieht nicht nur hinreißend aus, sie singt auch so. Zart und zurückhaltend, jedoch gleichzeitig leidenschaftlich und furios, die Koloraturen perlend hintereinander gesetzt und mit wunderschönem Piano. Ihr zur Seite ein leidenschaftlicher Alfredo. Fulvio Oberto prunkt mit einer bombensicheren glänzenden Höhe, mit viel emotionaler Leidenschaft, manchmal fast zu leidenschaftlich. Das große Liebesduett im letzten Akt treibt vielen der Zuschauer Tränen in die Augen. Was kann man sich von einem Opernabend mehr erwarten. Als Vater Germont glänzt der rumänische Bariton Adrian Marcan.
Mit großem raumfüllendem Bariton zeichnet er den Vater zu Beginn als einen verabscheuungswürdigen Lustgreis. Er versucht Violetta zu begrabschen, während er ihr einen Moralvortrag hält. Er spielt einen gegen den anderen aus, bis er am Schluss doch etwas geläutert erkennt, dass Violettas Liebe zu seinem Sohn einzigartig ist. Keine Ausfälle gab es bei den weiteren Besetzungen mit Julia Stein als Flora, Katherina Wittmann als Annina und dem Gut Immling erprobten und gestählten „alten Haudegen“ Alik Ibrahimov als Gastone. Die Münchner Symphoniker werden von Cornelia von Kerssenbrock schnörkellos und direkt geleitet. Sie macht keine großen Mätzchen, sie lässt Verdi erschallen und erblühen. Das Orchester ist auch der geeignete Klangteppich für den immer wieder zu Recht zitierten Laienchor, der wie stets grandios eingestellt ist und die Szenerie belebt. Insgesamt eine stimmige Aufführung, die viel Szenenapplaus und einen langanhaltenden Schlussapplaus – völlig zu Recht – einheimsen kann.
Ja – und nach einer ganz tollen „La Traviata“ kam erneut eine Steigerung zum Vorjahr. Gaetano Donizettis Meisterwerk „Lucia di Lammermoor“ stand auf dem Spielplan und ich nehme es vorweg, das Publikum war restlos begeistert, ich habe selten so intensive Zwischenapplause und einen so fulminanten Schlussapplaus gehört, wie an diesem Abend. Und alles zu Recht. Es gab bei der kompletten Inszenierung keinen Ausfall und einen strahlenden Stern, aber der Reihe nach. Zu aller erst einmal einen großen Applausstern an die Regisseurin Verena von Kerssenbrock und ihren kongenialen Bühnenbildner Claus Hipp. Sie machen nicht nur das Beste sondern das Optimalste aus der Bühne in Gut Immling. Eine Bühne mit einer umlaufenden Empore, die durchgehend genutzt wird. Aufplatzende Wände, eine goldgerahmte alles erdrückende Ahnengalerie, die immer fordernder wird, sich letztendlich zu einem Totenfeld formiert und auf eine ganz einfache, dadurch umso beeindruckendere Art das Geschehen dem Publikum näherbringt. Ein tolles Bühnenbild, zu dem man dem Gespann Kerssenbrock/Hipp nur gratuliert werden kann (und das schon über die vergangenen Jahre hinweg).
Cornelia von Kerssenbrock
ist auch an diesem Abend eine imponierende Begleiterin. Sie bringt die Musiker des Immlinger Festivalorchesters zur Höchstform, junge Musiker aus ca. 14 Nationen, u.a. von Georgien über Rumänien, Frankreich, Holland, Mazedonien bis Australien, Österreich und Bayern. Sie dirigiert zupackend und fordernd, ist aber, gerade in den Szenen mit Lucia filigran, zurückhaltend und die Sänger umschmeichelnd. Wie immer eine ganz ausgezeichnete Leistung, ebenso wie der Laienchor, den man sich kaum noch wagt so zu bezeichnen.
Und nun zur Besetzung. Und hier als erstes ein einmaliger Glücksfall für Gut Immling. Ludwig Baumann ist mit der blutjungen georgischen Sopranistin Tatiana Larina ein großes Wagnis in dieser Partie eingegangen und hat alles gewonnen. Zart und zerbrechlich steht sie auf der Bühne, verängstigt durch die Ahnen, deren Porträts ständig präsent sind und sie zu erdrücken drohen. Und wenn sie den Mund öffnet um zu singen, läuft einem ein Schauder über den Rücken. Glasklare Koloraturen, wie gestochen, Höhen, die sie ohne jegliche erkennbare Anstrengungen meistert, grandiose Spitzentöne, die das ganze über einen normalen Opernabend hinausheben. Das Publikum rast und geizt nicht mit Zwischenbeifall, nicht nur bei der berühmten Wahnsinnsarie, in welcher sie viele ihrer bekannten Vorgängerinnen fast vergessen lässt. Von dieser Tatiana Larina wird man mit Sicherheit noch viel hören.
Dank an Ludwig Baumann, der diese großartige Stimme, aber auch Person auf die Bühne in Gut Immling geholt hat. Und das tolle an dieser Aufführung ist, dass es keine Ausfälle bei den Protagonisten gibt. Der Sir Edgardo von Xavier Moreno ist ein „Hoppla hier bin ich“ Liebhaber erster Güte. Unbekümmert mit kräftigem strahlendem Tenor ist er ein kongenialer Partner von Tatiana Larina. In Barcelona geboren stellt der junge Spanier einen Liebhaber auf die Bühne, der seine Leidenschaften nicht zügelt – und das ist gut so. Im letzten Jahr hoffte ich, dass der exzellente Bass Kirill Borchaninov einmal eine größere Rolle bekommt. Ja – und dieses Jahr war es so weit. Überzeugend gab er den Raimondi, bass gewaltig, die Stimme schwarz und fulminant, dem Outfit und seiner Seele entsprechend. Eine ganz ausgezeichnete Leistung – auch vom darstellerischen her. Lucias Bruder Enrico wurde von dem amerikanischen Bariton Victor Benedetti gegeben. Mit kräftigem, durchschlagskräftigem Bariton wird er seiner Rolle ebenso gerecht wie der kraftvolle, helle Tenor von Max An als Lord Arturo und der in vielen Jahren bewährte bewegliche und sehr schöne Tenor von Alik Ibrahimov als Normanno (in der anschließenden hautnahen Begegnung mit den Opernstars im großen Festzelt sangen dann Xavier Moreno, Max An, Kirill Borchaninov, Alik Ibrahimov und viele andere dann noch eine Arie nach der anderen und so toll, dass man nicht glaubte, dass sie alle schon einen anstrengenden Opernabend mit Bravour hinter sich gebracht haben. Und auch das ist Gut Immling, einfach einzigartig!).
Zwei tolle Inszenierungen, bei welcher die „Lucia di Lammermoor“ die Nase noch ein wenig vorne hatte, machen wieder Lust auf das nächste Jahr. Im Gespräch sind „Othello“, oder auch „Der Bajazzo“. Genau wissen werden wir es voraussichtlich wieder erst Ende September bis Anfang Oktober, wenn Ludwig Baumann die Karten lüftet. Die Reise in den Chiemgau war wieder ein Erlebnis – und das werden wir mit Sicherheit auch im nächsten Jahr nicht versäumen.
Manfred Drescher, 15.08.2013
Fotos Julia Binder, Gut Immling