Chemnitz: „Die tote Stadt“

Ausfall in der Hauptrolle

Premiere am 25.10.2014

Eine gelungene Inszenierung mit Problemen beim Gesang

"Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold ist das einzige Stück des Komponisten, das man regelmäßig auf den Spielplänen deutscher Theater finden kann. Das liegt wohl an mehreren Problemen, zum einen an der Verworrenheit des Stückes, zum anderen an der schweren Besetzbarkeit der beiden Hauptrollen.

Die Handlung ist leicht zusammenzufassen: Der Tenor (Paul) ist Witwer und findet sich mit dem Tod seiner Frau nur bedingt ab. In seiner Wohnung hat er ihr einen Schrein errichtet, inklusive Garderobe und Haare der Verstorbenen. Als er nun auf die Tänzerin Marietta trifft, die seiner Frau Marie zum Verwechseln ähnelt, wächst in ihm Hoffnung auf ein erneutes Aufleben seiner Gefühle. Das kann natürlich nicht funktionieren und letztendlich erwürgt Paul Marietta, weil diese von ihm die Loslösung von der alten Liebe fordert. Paul erwacht – es war alles geträumt – und er beschließt, von seinem Traum belehrt, die tote Stadt (Brügge) zu verlassen. Das Ganze ist von vielen Symbolen durchsetzt (Engel, religiöse Prozessionen und Meyerbeer-Proben), so dass das Stück musikalisch und szenisch für jedes Haus eine große Herausforderung darstellt.

Chemnitz stellt sich dieser mutig – kann aber leider nur teilweise überzeugen. Auf der "Haben-Seite" sind die Inszenierung von Helen Malkowskys und die musikalische Leitung von Frank Beermann zu nennen. Malkowsky inszeniert die Oper in einem kargen, grauen Raum, ohne Fenster und Tapete (Bühne: Harald B. Thor). Bis auf ein Bett, eine Kleiderstange und einem Diaprojektor ist die Bühne leer. Dieses Zimmer wird als Ausgangspunkt für die (Alb)-Träume Pauls genutzt und kann vielfältig verändert werden. Die Operntruppe im zweiten Akt "schwimmt" mit einer großen Gondel auf die Bühne, von den Wänden läuft Wasser herab, und als großer Höhepunkt ist das Zimmer im dritten Akt überflutet; die Sänger laufen auf Wasser.

Die Kostüme von Tanja Hofmann versetzen die Charaktere in ein zeitloses Umfeld; schlicht bei den Hauptakteuren, etwas bunter bei den Schaustellern. Durch die Kombination aus Wasser, Licht, Videoprojektionen und Kostüm kommt so eine surreale Stimmung auf, die zu verzaubern weiß. Niemals rutscht es ins Vulgäre oder Geschmacklose, die dargebotenen Bilder und Szenen sind stets ästhetisch und geschmackvoll. Alles in allem eine Inszenierung, von der man sich "abholen" lassen kann. Man bekommt das Stück stringent erzählt und Bilder vor Augen geführt, die gefallen können.

Genauso filigran und präzise agiert die "Robert-Schumann-Philharmonie" unter Frank Beermann. Niemals ist es zu laut, die Einsätze sind punktgenau, die Akzente scharf und aufbrausend. Man hat nicht den kleinsten Moment das Gefühl, einen Sänger zugedeckt zu hören. Dieser Klangteppich sei Beermann hoch anzurechnen und zeigt, dass die "Robert-Schumann-Philharmonie" sich nicht hinter renommierteren Orchestern verstecken muss. Die Chance, die sich dank eines solchen Dirigats für einen Sänger böte, wird aber leider nur von einem der drei Hauptakteure genutzt, nämlich dem Bariton Klaus Kuttler als Frank / Fritz. Dieser lässt seinen klangschönen Bariton ohne jeden Makel im Legato in den Raum strömen und lässt den Zuschauer jede Note seines Vortrags genießen. Zusätzlich extrem textverständlich agiert er genauso natürlich auf der Bühne und liefert so den gesanglichen Höhepunkt dieses Abends.

Bei den beiden anderen Hauptrollen hingegen sieht es deutlich schlechter aus. Marion Ammann als Marietta bietet keinen "Strauss-Schmelz", keine melancholischen Bögen für "Glück das mir verblieb" und auch keine deutlichen Forte-Akzente. Stattdessen singt sie mit festem, unflexiblem Sopran, die Mittellage wird oft gesprochen, die Höhe meist mühsam gestemmt und dadurch für den Zuhörer nicht immer angenehm. Dennoch hört man über weite Strecken ihr Bemühen die Figur angemessen zu interpretieren, und schauspielerisch liefert sie mehrere Momente, die man zumindest optisch gerne zur Kenntnis nimmt.

Der Ausfall des Abends ist aber Niclas Oettermann als Paul. Zugegeben, er wurde als Einspringer erst sechs Tage zuvor in die Inszenierung "geworfen". Aber hat stimmlich die hohen Anforderungen der Rolle überhaupt nicht erfüllt: eine Fehlbesetzung. Sein Tenor ist ohne Glanz, ohne Legato und ohne Fokussierung. Kein einziger Vokal ist deutlich zu erkennen, und insgesamt klingt die Diktion so verwaschen, dass man nicht glauben möchte, einen deutschen Sänger zu hören. Er hat mit der Pertie zu kämpfen, deren hohe Tessitur bricht ihm (wortwörtlich) den Hals bricht. Viele Noten brachen und kratzten oder stürzten komplett ein. Tiina Penttinen singt die kurzen Auftritte ihrer Brigitta überzeugend und solide und agiert auf der Bühne sicher. Das Quartett der Schausteller bestehend aus Juliette (Guibee Yang), Lucienne (Carolin Schumann), Victorin (André Reimer) und Graf Albert (Edward Randall) setzt einen weiteren kleinen musikalischen Lichtblick. Gut geprobt, sehr ausgewogen und spielfreudig nutzen die vier jede Note ihres kleinen Auftritts im zweiten Akt. Der Chor, einstudiert von Simon Zimmermann ist nur im dritten Akt sichtbar, singt aber präzise, sauber und veredelt zusätzlich die Szene.

So ergibt sich die Frage, ob man überhaupt ein Stück von der Schwierigkeit der toten Stadt auf den Spielplan setzen muss, wenn man die passenden Hauptakteure nicht zur Verfügung hat. Denn auch mit einer Umbesetzung der Hauptpartie darf so ein musikalischer Ausfall nicht passieren.

Insgesamt gerade sängerisch leider deutlich unter dem Niveau, was man sonst von Chemnitz gewohnt ist.

Thomas Pfeiffer, 27.09.2014 Foto Copyright: Dieter Wuschanski