Aus der Philharmonie, 15.03.2013
Vollendet das Werk
Unter Entzugserscheinungen dürfte bald manch einer der treuen Besucher leiden, die in den letzten drei Jahren regelmäßig in die Philharmonie gepilgert waren, um konzertant von der Entstellung durch Regietaten freie Wagneropern zu genießen. Von 2010 bis zum 15.3. 2013, beginnend mit dem „Fliegenden Holländer“ und nun endend mit der „Götterdämmerung“, hat Marek Janowski alle zum Bayreuth-Kanon gehörenden Opern mit seinem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin vor fast immer ausverkauftem Haus aufgeführt. Eine Woche nach der „Götterdämmerung“ wird es am 22. 3. ein Strauss-Konzert mit dem Schluß von „Capriccio“ geben – vielleicht der Auftakt zu einem Strauss-Zyklus im nächsten und den folgenden Jahren, wo doch 2014 ein runder Geburtstag zu feiern ist und die Berliner Bühnen den Komponisten sträflich vernachlässigen.
Knapp sind besonders im allüberall gefeierten Wagnerjahr die gestandenen Wagnersänger und am allerknappsten die Tenöre für Tristan, Tannhäuser und Siegfried. Litt schon der „Siegfried“ an der Staatsoper an einem die Vaterschaft Siegmunds zugunsten Mimes anzuzweifelndem jungen Helden, so war auch in der Philharmonie Lance Ryan die Schwachstelle des langen Abends. Ein undankbares, einem Charaktertenor nahes, gespreiztes Timbre, ein sehr offenes Singen mit Vokalverzerrungen, allerdings auch eine durchsetzungsfähige und Orchesterwogen durchdringende Stimme ließen den Hörer nicht recht froh werden, so auch nicht, wenn die überwältigende Schönheit von „Brünnhilde, heilige Braut“ hoffnungslos verschenkt wurde. Wie Tage zuvor Violeta Urmana im „Siegfried“ ist auch Petra Lang eine ehemalige Mezzosopranistin, die Götterdämmerungs-Brünnhilde aber weit mehr geeignet für eine ehemals tiefer liegende Stimme. Die Mittellage leuchtete, die Höhe bereitete keinerlei Schwierigkeiten und die Kraft reichte bis zu einem bewegenden Schlußgesang. Auch in einer konzertanten Aufführung können Partner hemmen oder beflügeln. Letzteres wurde deutlich in der Szene mit Waltraute, die zu den spannendsten des Abends wurde dank des wunderbaren vokalen Zusammenspiels mit Marina Prudenskaja, auch in der Staatsoper in der Partie zu hören und hier wie dort mit nachdrücklich dunkler Klage ihres farbigen Mezzosoprans ergreifend ist. Erstklassig besetzt war das Geschwisterpaar Gutrune und Gunther. Ihre – Edith Hallers – Stimme ist einer der strahlendsten, leuchtendsten Jubelsoprane, die man in der letzten Zeit in Berlin hören konnte, sein Bariton – Markus Brücks – ist fast zu schön für den Schwächling Gunther und der textverständlichste dazu. Ehe der Großvater als der jüngere Bruder der beiden schien Matti Salminen zu sein, aber die Faszination des absolut Dunkel-Bösen geht trotz stimmlicher Einschränkungen von ihm aus. Vater Alberich war wieder mit dem vorzüglichen Jochen Schmeckenbecher mit gut tragendem, textverständlichem Bariton besetzt.
Die beiden Damenterzette erfreuten durch feine Abstimmung zwischen den Stimmtypen und damit einer außergewöhnlichen Harmonie. Susanne Resmark war die 1. Norn mit samtigem Alt, Christa Mayer die Schwester mit geschmeidigem Mezzo, mit Jacquelyn Wagner und ihrem glockenreinen Sopran konnte man erfreut Wiedersehen feiern. In schöner Harmonie verführerisch singend versuchten die drei Rheintöchter Julia Borchert, Katharina Kammerloher und Kismara Pessatti Siegfried den Ring zu entlocken.
Vorzüglich einstudiert hatte Eberhard Friedrich den Rundfunkchor, der die Mannen Gunthers zum donnernden Sprachrohr germanischer Kampfes – wie Feierlust werden ließ. Fast zusammenzubrechen drohte die Philharmonie unter den donnernden Klängen der Trauermusik für Siegfried und wies bei aller Urgewalt doch eine feine Binnendifferenzierung in der Darstellung der Trostlosigkeit einer Welt auf, der das Licht verloren gegangen ist. Dieses leuchtete umso heller im Sonnenaufgang über dem Walkürenfelsen und im Jubel der Rheinfahrt zu neuen Abenteuern. Zwar gab es auch kleine Blechschäden, aber insgesamt hat Marek Janowski mit seinem Orchester zu einer überwältigenden, den ganzen Reichtum der wagnerschen Musik dem Publikum offenbarenden Deutung gefunden, die man bald auch zu Hause auf CD – wie bereits die vorangegangenen Aufführungen – genießen kann.
16.3. Ingrid Wanja