Sie zählen zu den wenigen Verbliebenen, die noch ein Publikum für die Liedkunst generieren, auch wenn an dem jüngsten Abend in der Philharmonie trotz ihrer großen Namen zahlreiche Plätze leer blieben (dies wohl aber aufgrund der sehr hohen Kartenpreise). Richard Strauss und Gustav Mahler standen auf dem jüngsten Programm, mit dem sich Diana Damrau, Jonas Kaufmann und ihr Pianist Helmut Deutsch im April schon in München präsentierten. Bei einer weiteren geplanten Station vor wenigen Wochen in Baden-Baden gestaltete Kaufmann nach Damraus krankheitsbedingter Absage den Abend allein, in Berlin nun begab sich die Sopranistin tapfer wieder an Bord, wiewohl immer noch geplagt von einer Erkältung.

Dass der Sängerin ein paar Mal ein leichtes Husten unterkam, war aber nicht der Grund dafür, dass die erste Konzerthälfte wenig zündete. Vielmehr erschien die große Philharmonie doch zu groß für zwei Sänger mit keinem überdurchschnittlichen Volumen. Vor allem die leisen, intimen Momente, auf die sich das Duo am besten versteht, konnten sich da nicht ideal entfalten. Der benachbarte Kammermusiksaal hätte sich dafür eher empfohlen. An den lauten Stellen hört man sie besser, aber da stemmt er sich angestrengt nach oben, wo er eigentlich zu Worten freudig jubeln müsste wie in Strauss‘ „Liebeshymnus“. Bei ihr büßen die Spitzen zeitweise die silbrige, kristalline Leuchtkraft von einst ein.
Darüber würde man aber bereitwillig hinweghören, wenn eine tiefgründige Textausdeutung gelungen wäre, auf die es an erster Stelle im Liedgesang ankommt. Toscanini – diese Geschichte erzählt Riccardo Muti gerne in seinen Opernakademien – soll zu Maria Callas nur drei Worte gesagt haben, nachdem er ihr in einer Probe vorgestellt worden war: „Signora, le parole!“ – „Meine Dame, die Worte!“
Und die verlangen umso mehr nach farblichen Abstufungen und seelenvollem Ausdruck, desto mehr sich die ausgewählten Titel um Liebesschmerzen, Sehnsucht, Abschied, und Tod in ihren Stimmungen ähneln. Da vermisse ich einiges an Dimensionen. – Nicht die Grundstimmung, die ist oftmals ja schon durch das Klaviervorspiel vorgegeben. Helmut Deutsch, der mir an diesem Abend am besten gefällt, trifft da stets genau den richtigen Ton und das ideale Zeitmaß. Der melancholische Humus für das von Damrau übernommene „Allerseelen“ ist bereitet, aber gehe ich Wort für Wort ins Detail, vermisse ich doch eine tiefgehende Wehmut und Traurigkeit.
Überzeugender geraten die Lieder im kecken Ton, „Die schlagenden Herzen“ op.29/2, deren „Klingklang“ Damrau mit neckischem Charme serviert oder das kurze „Einerlei“ op.69/3, zu dem sie mit Kaufmann zärtlich turtelt.
Bei Kaufmann wirkt Vieles im Text noch beliebiger, in die tiefen Seelengründe dringt er selten einmal vor, ob in dem virileren Stück „Ich trage meine Minne“op.32/1 oder im „Nachtgang“ op.29/3, in dessen letzten Vers „Küsste dich ganz leise – meine Seele weinte“ aber immerhin im Falsett einen seiner schönsten Töne aufbietet.
Nach der Pause wird es mit ausgewählten Mahler-Liedern um einiges besser, wobei die Vorträge davon profitieren, dass Damrau und Kaufmann nun nacheinander und einzeln mit dem Pianisten aufs Podium kommen. Die fröhliche Frische, das lakonisch Heitere im „Rheinlegendchen“ oder „Um schlimme Kinder artig zu machen“ gelingt Damrau treffend, dazu wird die Textverständlichkeit (in der ersten Hälfte war kaum ein Wort zu verstehen) wesentlich besser.
Kaufmann kann damit nicht ganz mithalten. Den „linden Duft“ zaubert er mir nicht in die Nase, die ersten Verse in der Miniatur „Liebst du um Schönheit“ leiden unter der fehlenden Geschmeidigkeit seines baritonalen Tenors.
Schließlich stellt er sich der Herausforderung des letzten und schwierigsten unter den Rückert-Liedern „Ich bin der Welt abhandengekommen“. Die ersten Verse erscheinen unterbelichtet in der Ausdeutung, Da dringt trotz sensibler Dynamisierung zu wenig das Seelische von innen nach außen. Den Satz „Ich bin gestorben“ kaufe ich Kaufmann nicht ab. Aber der hat es ja auch in sich. Wie er ihn wohl sprechen würde ohne Musik? Christa Ludwig und Brigitte Fassbaender, die ich am meisten damit identifiziere, gelang das vor langer Zeit tatsächlich zutiefst ergreifend. Da bohrte sich dieses Empfinden ins Herz. Bei Kaufmann bleibt es Behauptung. Aber dann gibt er sich in den letzten Versen unverhofft risikofreudig, als er die hohen Töne im Falsett ansetzt, leise und fahl, und von da an mit den letzten Worten im Abwärtsgang im Nichts versandet. Das zeugt von Meisterschaft.
Stärker aber noch berührt in der letzten Strauss-Gruppe der „Morgen“, in dem Damrau spät doch noch Töne von silbriger Schönheit aufbietet, von Nachdenklichkeit bis Wehmut alles in die Worte hineinlegt, was die zarte Poesie von John Henry Mackay bereithält. Dies auch seitens des leicht entrückten Anstrichs im Vor- und Nachspiel des Klaviers. Nach dem versonnenen Schluss hätte der Abend eigentlich enden müssen.
Kaufmanns energetische „Cäcilie“ hätte dann gerne noch als Zugabe folgen dürfen. Das wäre ein stimmigerer Abschluss gewesen als der walzertanzende Ausflug in Johann Strauß‘ Operette „Wiener Blut“. Nichts gegen Operette. Es ist herrliche Musik, und Damrau und Kaufmann verstehen sich auf das Genre mit Eleganz, Witz und Pep sehr gut. Aber nach einem überwiegend ernsten Liederabend wirkt ein solcher Stimmungsmacher doch irgendwie fehl am Platz.
Kirsten Liese 5. Juli 2024
Liederabend
Diana Damrau & Jonas Kaufmann
Pianist Helmut Deutsch
30. Juni 2025
Berliner Philharmonie