Unbekannter Verdi
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Keinen Grund mehr zum Lamentieren haben die Italiener, weil nicht ihr geliebter Verdi, sondern nur Wagner zur Eröffnung der neuen Saison an der Scala aufgeführt wird, denn wie zur Entschädigung bot am 6.12. Christian Thielemann mit den Berliner Philharmonikern ein reines Verdi-Programm. Zum Teil erklangen sogar Stücke, die bisher kaum ein Italiener gehört haben dürfte, so die Ballett-Musik aus dem dritten Akt von „Otello“, wo nun wirklich ein Ballett völlig abwegig erscheint, aber, der Pariser Tradition geschuldet, für die Aufführung an der Opéra 1894 von Verdi wahrscheinlich zähneknirschend komponiert wurde. Es handelt sich um stark folkloristisch geprägte Kompositionen, darunter eine „canzone greca“. Die Philharmoniker boten sie mit sicht- und hörbarer Spielfreude, schließlich eine absolute Erstaufführung für sie. Bekannter ist die Ballett-Musik aus „Macbeth“, ebenfalls für die französische Fassung entstanden, die zeitlich zwischen der ersten von 1847 für Florenz und der dritten von 1874 für Mailand liegt. Thielemann machte daraus mehr als tänzerische Musik, ließ gewaltätige Hexen mit Aplomb über schottische Hochmoore peitschen, fegte mit viel Brio durch die gespenstische Seelenlandschaft, die selbst einem Walzer Abgründiges verlieh. Als dritte Ballettmusik wurde die aus dem fünfaktigen französischen „Don Carlos“ gespielt, hier als „Tanz der Königin“ betitelt, aber auch als „Perlen-Ballett“ bekannt. Dem Gran Inquisitore dürfte es wegen seiner weltlichen Daseinsfreude französischer Art, wegen der Festlichkeit höfischen Zeremoniells, auch des melancholischen Walzers wenig zugesagt haben- dem Publikum hingegen gefiel es ausnehmend.
Vor der Pause gab es die späten „Quattro pezzi sacri“ mit dem Berliner Rundfunkchor in hervorragender Verfassung. Kaum wie das Requiem geraten das „Ave Maria“ und „Laudi alla vergine Maria“ in Verdacht, eigentlich Opern zu sein. Das erste Stück wurde nur vom Chor gestaltet, mit feiner Agogik, sehr instrumental geführt, mit vollem Klang auch in den Piani. Allein den Frauen war das zweite Stück vorbehalten, die durch eine wunderbare Reinheit und Klarheit des Klangs erfreuten, der von Thielemann unter Einsatz beider Hände quasi geformt wurde. Starke Anklänge an das Requiem konnte man im „Stabat Mater“ vernehmen, besonders in der Instrumentierung. Mit sanften Streicher- und Harfenklängen schien das Stück zu enden, ehe noch einmal die Bläser das Wort ergriffen. Daß der Rundfunkchor auch über gute Solisten verfügt, konnte er mit dem Te Deum unter Beweis stellen. Zunächst wie aus fernen Klosterräumen kommend, steigerte er sich zu auffallenden Kontrasten in der Lautstärke, von heftiger Glaubenswut kündend. Am Schluß hat ein Solosopran nur wenige Silben zu singen. Sibylla Rubens tat es mit schöner Klarheit und Rundung der Stimme.
Das begeisterte Publikum erzwang noch eine Zugabe, ehe es sich in die erste kalte Berliner Winternacht des Jahres zurück wagte.
Das Konzert wird am 7. und 8.12. wiederholt.
Ingrid Wanja, 06.12.2012