Donnerstag 21. Februar 2019
Béla Bartók
Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 6 A-Dur, WAB 106
Vom Mikrokosmos zum Makrokosmos
Einmal London hin und zurück geht die kurze Europatournee – von Hamburg kommend heute Essen, morgen Frankfurt, dann wieder back to Old England. Wenn Sir Simon Rattle mit seinem Hausorchester, dem London Symphony Orchestra, einlädt, dann sind die Säle voll. Dann kann man auch mal ein etwas alternatives Programm bieten – noch dazu mit knapp 1,5 Stunden. Bartok dauerte 30 Min und mit Bruckner schaffte es Rattle unter 60. Wobei sich Bartoks Musik für Saiteninstrumente – also keine Bläser ! – Schlagzeug und Celesta eigentlich ja schon im klassischen Repertoire der Konzertsäle eingebürgert hat, wenn was Anständigeshinterher kommt, erträgt der deutsche Konzert-Michel das mittlerweile klaglos. Doch holla, das Anständige ist heute Bruckner 6. Und da wird es schon schwierig, denn die Sinfonie ist nicht gerade der Traum-Bruckner, den wir kennen und mögen; eher eine Rarität recht selten gespielt.
Daß die 6. nur ein Präludium zur beliebten 7. ist – was immer wieder Argwöhner behaupten – kann man nicht sagen, denn Bruckner hat die Sechste selber ja nie komplett im Konzert gehört. Es war Gustav Mahler, der die Sinfonie 1899 mit einigen Änderungen aufführte. Erst 1935 wurde in Dresden die Urfassung zum ersten Mal gespielt; paßt zum UA-Datum der Bartok Sinfonie von 1936.
Rattle zelebrierte mit seinen Musikern Bruckners 6. Symphonie, die als seine leichteste und heiterste gilt – erwartungsgemäß auf hohem Niveau. Die Interpretation erwies sich in den Grundentscheidungen als genau durchdacht und wurde von den brillanten Musikern technisch perfekt realisiert.
Allein, es wollte sich keine Spannung einstellen. Interessant: Rattle wählte eine klassische deutsche Orchesteraufstellung, bei der sich die ersten und zweiten Geigen gegenübersaßen, statt wie bei der amerikanischen Aufstellung nebeneinander zu sitzen. Die Kontrabässe waren an der Rückfront aufgereiht. Dadurch erhielt der dichte Streicherklang bei aller Fülle eine gute Durchhörbarkeit. Die nahezu perfekte Akustik in der Essener Philharmonie – Hallo Musikfreunde, Ihr müsst wirklich nicht nach Hamburg fahren; das Gute liegt so nahe! – tat ihr Übriges.
Angenehm fiel auf, daß anders als üblich die Blechbläser bei ihren Einsätzen nicht den restlichen Orchesterapparat übertönten, sondern wunderbar eingebettet in den Gesamtklang waren. So weit so gut. Leider wurden aber gerade dadurch die Schwächen von Rattles Zugang zu Bruckner überdeutlich, die man in der Vergangenheit auch immer wieder exemplarisch bei seinen Aufführungen von Symphonien des österreichischen Meisters mit den Berliner Philharmonikern bemerken konnte: Rattle konzentriert sich auf den schönen Moment, nicht auf die Großform. Immer wieder geriet der Fluss der Musik ins Stocken. Der zweite Satz zerfaserte regelrecht. Die Proportionen wurden durch dieser Präsentation von Episoden geradezu unkenntlich gemacht. Zugleich fehlten der Interpretation jener Hauch von Transzendenz und jene Momente der Überwältigung, wie sie sich selbst bei unbekannteren Dirigenten und schlechteren Orchestern immer noch regelmäßig einstellen.
Alles lief mit der Perfektion eines Synthesizers ab: makellos, aber blutleer. Nicht nur beim Rezensenten kam dabei immer wieder sonst unbekannte Langeweile auf. Man blickt trotz nur einer knappen Stunde Spielzeit – Celibidache brauchte regelmäßig mindestens 70 Minuten – öfter zur Uhr. Gänsehautfeeling null. Emotion neutral. Auch im Publikum ringsum konnte man zahlreiche Besucher beim lustlosen Blättern im Programmheft während der Darbietung beobachten. Spannung ist anders. Der Applaus nach dem Schlussakkord war zwar stark, aber fern von jedem Enthusiasmus, den sich sonst in der Essener Philharmonie hörte.
Ganz anders dagegen der Bartok. Da knistert es von Anfang an, da stellen sich nicht nur die berüchtigten Nackenhaare auf, nein da gruselt es immer öfter, wie zu guter Musik eines Horrofilms. Was für ein Werk – was für eine 5-Sterne-Interpretation. Wir fiebern mit. Das ist Weltmusik in nur knappe 30 Minuten eingepackt. Trotz modern anmutender Klangbilder verarbeitete Bartok doch auch traditionelle Vorbilder wie Bach, Beethoven oder Strauß und Debussy verbunden mit Strawinskys Rhythmik, Schönbergs Atonalität und seiner ureigens gesammelten Volks- und Bauernmusik.
Das bringen die Londoner einfach genial. Im Publikum kann man eine Stecknadel fallen hören, die meisten Zuschauer sitzen auf der Vorderkante ihres bequemen Philharmonie-Gestühls und dankenswerter Weise gibt Rattle nach jedem Satz dem hörbar verschnupften Publikum eine gute Minute Zeit sich abzuhusten. Danach immer wieder Stille und Spannungsvolles Lauschen.
So ein Abend ist ein Erlebnis, daß sich einbrennt ins Gedächtnis. Die Interpretation Rattles ist hier wirklich das sprichwörtliche Maß der Dinge – 5 Sterne sind eigentlich zu wenig. Und ich habe selten bei diesem Meisterwerk ein so begeistert applaudierendes Publikum gehört. Hoch leben die verständnisvoll zuhören könnenden empathischen Essener Musikfreunde!
Peter Bilsing 24. Februar 2019
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