Bayreuth: Michael Wessel: KV 330-332

Steingraeber, 25.10.2021

Oft klingt Mozart ja auf einem modernen Konzertflügel wie pures Geklingel; dann können sich die Pianisten bemühen, wie sie wollen. Wenn‘s aber Musiker sind – dann glückt auch Mozart auf einem Instrument, von dem er vermutlich nicht einmal träumen konnte. Mozart zu spielen heißt: sich den Schwierigkeiten zu stellen, die gerade dieser so scheinbar leicht klingende Komponist den Interpreten bis heute stellt, wenn sie weder in die Fall des (angeblich) „apollinischen“ noch die des allzu schroffen Mozart geraten wollen. Lediglich das zu spielen, „was in den Noten steht“, wie der Probenfanatiker Carlos Kleiber so verzweifelt wie naiv verlangte, ist eine hohe Übung; Michael Wessel, Klavierdozent an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth und Verfasser eines wichtigen und komplexen, ja ganzheitlichen Buchs über „Die Kunst des Übens“, weiß genau, was und wie er spielt, wenn er sich Mozart, einem seiner Leib- und Magenkomponisten, nähert. „Mozart macht einfach nur Spaß“, er zitiert dieses Wort von Viktor Lukas, dem Gründer der Bayreuther Mozartgesellschaft, der Wessel tätig angehört und für die er das Konzert veranstaltet – dass er am Abend Sordino-Pedal des Steingraeber-Konzertflügels im Kammermusiksaal zieht, das den diskreten, dunkleren Klang eines Hammerclaviers imitiert, ist indes mehr als ein schöner Zufall.

Also KV 330 bis 332, die Trias der drei bekannten Sonaten, die Mozart 1783 in Wien komponierte. Wessel deutet sie als Erzählung, Gedicht und Oper; Hermann Abert rühmte KV 330 und 332 einst in seiner nach wie vor lesenswerten Biographie aufgrund ihres Reichtums und ihres Wechsels der Gedanken. Mag sein, dass die Klassifizierung der Sonaten unter den Gattunsbezeichnungen für die Puristen einer „absoluten“ Musik (die es nie gab und nie geben wird) allzu plakativ anmutet – mit der inhaltlichen Höranweisung und Wessels konzisen Anmerkungen im Sinn vermögen wir tatsächlich die Eigentümlichkeiten dieser drei Stücke annäherungsweise zu verstehen. Denn der Fluss, der die C-Dur-Sonate KV 330 auszeichnet, unterscheidet sich ja wesentlich von der Charakteren der F-Dur-Sonate KV 332 und der lyrischen Regelmäßigkeit, die zumal den Kopfsatz der A-Dur-Sonate KV 331 auszeichnet. Wichtiger aber als theoretische Erörterungen und analytische Beobachtungen sind die klanglichen Ergebnisse. Bei Wessel hat jeder Triller eine Bedeutung im deutbaren Gefüge, gibt es keine Nebenstimmen, entfalten sich die Erzählung, die Opernszenen, das Gedicht in drei Sätzen. Den Mozart-Zug zieht er im Andante cantabile der C-Dur-Sonate, dem das Adagio der F-Dur-Sonate entgegengestellt werden kann: als Arie für die verehrte, aber nicht bekommene Aloysia Weber, daher die drei Motive des Allegro als zärtlicher Liebhaber, kokettes Mädchen und wütender Papa, ergo: als Wolfgang, Aloysia / Constanze und Leopold Mozart, gedeutet werden können, ohne dass dem kompositorischen Gebilde Gewalt angetan wird. Im Gegenteil: Dass Mozart auch und gerade in seiner Instrumentalmusik immer wieder zu opernhaften, meist zu Opera-Buffa-Tönen fand, ist nichts Neues und kann an der F-Dur-Sonate, worauf schon Hermann Abert hinwies, erläutert werden. Wessel spielt das alles markant heraus, jeder Übergang – selbst der gewaltsam überraschende – wird motiviert, der sog. Türkische Marsch ist kein Geschwindmarsch (könnte sogar noch – Allegretto – ein wenig langsamer gespielt werden), die Musik beginnt plötzlich, einen Sinn zu haben, wobei der Spaß nicht zu kurz kommt. Dafür steht, mit ungewohnter Brillanz (denn die Sonaten setzen nicht auf äußere Virtuosität), eine entzückende Zugabe: die sechs Variationen über Salve tu, Domine aus Paisiellos Oper I filosofo immaginarii KV 398. Wessel musste nicht beweisen, dass er auch die höchst geistreiche Manualakrobatik drauf hat – aber dass er es tat, war denn auch noch sehr schön.

Mozart und Wessel – man würde das, lebte Mozart noch, als Symbiose bezeichnen können, aber da selbst der tote Mozart aus den schwarzen Punkten und Strichen zum Leben erweckt werden muss, passt das Bild, glaube ich, ganz gut.

Frank Piontek, 26.10.2021