Bayreuth: „Muera cupido“, Nuria Rial & Fahmi Alqhai

Spanisches Barock? Da denkt man an prachtvoll ausgestattete Kirchen, in denen der Horror vacui herrscht, an riesige Königspaläste und an die Orgeln, deren Pfeifen wie Maschinengewehre in die Luft ragen – aber auch an die ausgemergelten Heiligen Zurbarans und die blutbeschmierten Karfreitagsprozessionen. Spanisches Barock: das ist auch ein in Kerzenlicht getauchtes katholisches Mysterium, von dem uns Paul Claudel in seinem Seidenen Schuh einiges erzählt hat. Beim Bayreuth Baroque ist es die pure Fröhlichkeit – wenn sich auch bisweilen ein harmonisch herber Ton einschleicht, den man typisch nennen könnte.

© Clemens Manser

„Muera Cupido“, so heißt das Programm in der schönsten aller Markgrafenkirchen des Bayreuther Landes, der Ordenskirche in St. Georgen. „Muera Cupido“, das heißt: Die Amorette. Dass es in den Opern seit je um die Liebe ging, ist so trivial wie die Tatsache, dass schon die frühen Zarzuelas mit dem Thema umgingen. Die „spanische Operette“ ist keine Erfindung des 19., sondern bereits des 17. Jahrhunderts, doch werden die frühen Werke dieser Gattung, natürlich, in Iberia, nicht in Deutschland gespielt. Das Konzert in der oberfränkischen Kirche bot somit die seltene Gelegenheit, einige Ausschnitte aus einigen Zarzuelas einmal live zu hören; nachhören kann man das Programm mit dem Ensemble freilich auch auf dank der bereits 2019 publizierten CD. Sebastián Durón und der jüngere José de Nebra, so heißen die beiden Komponisten des Abends, der einen unverwechselbaren spanischen Sound in das Festival bringt, in dem letztens bereits ein Orgelstück des spanischen Orgelmeisters Juan Cabanilles zu Gehör kam. Der ungeheure Reichtum der Barockmusik hat sich nicht zuletzt in Spanien auf ein Niveau begeben, das, mehr noch als in Italien und Frankreich, auf das Populäre vertraute. Fandangos, Flamencorhythmen, eine besondere, köstliche Leichtigkeit des Tons und der Melodiebildung – all das wird am Abend von der kongenialen Nuria Rial und dem Instrumentalensemble zum Klingen gebracht, ja: Das Kammerorchester Accademia del Piacere agiert geradezu wie eine barocke Boygroup, wie eine – pardon für den naheliegenden Kalauer – Barock’nroll-Band, ohne doch ein zweifelhaftes Crossover zu bedienen. Umgeben von Hunderten von künstlichen und ein paar echten Kerzen wird der Kirchenraum in ein Goldlicht getaucht, dem die „alte“ und doch so junge Musik atmosphärisch antwortet; die zeremoniöse, mit Laute und Cembalo metallisch klingende Pavana des Francisco Guerau passt trefflich in den festlich-symmetrischen Raum, bevor die spanische Sopranistin mit dem Rezitativ „Y, pues consentir no debo“ (aus der Zarzuela El imposible mayor en amor le vence amor) dem Schimmerlicht einen entsprechend noblen Ton dazusetzt. Die Arie des von Amor liebesverrückt gemachten Jupiter aber wird von Rial so fröhlich angestimmt, dass das Programm einer Mischung aus Fest und Freude glücklich zusammenfällt. Dazu passt auch der Ansatz ihres Vokalorgans: Rial singt das Recitar cantando, aber auch die liedhafte wie tänzerische Arie denkbar locker heraus – und die Verzierungen, die in den jüngeren Werken eines Bononcini („Pastorella che tra le selve“, ein Fund aus der Spanischen Nationalbibliothek) und José de Nebra („Adios, prenda de mir amor“ aus der Oper Amor aumenta el valo, die 1728 in Lissabon zur Hochzeit des portugiesischen Thronfolgers Ferdinand aufgeführt wurde) begegnen, sind bei Rial von Italien inspirierte Ausdrucksmittel, keine Ornamente.

Die Boygroup besteht aus einer phänomenalen Gruppe von glänzenden Solisten, allen voran der auch einige Solo-Improvisationen beisteuernde Lautenist Fahmi Alqhai und der Cembalist Javier Núnez, aber auch die Gambistin Johanna Rose darf für sich beanspruchen, prima inter pares zu sein; die heitere Pastorella Bononcinis begleitet sie mit Lust und der Liebe zum schönen Ton. So gehört, haben die zahlreichen Besucher einen akustischen Eindruck eines sigle d’oro der spanischen Musik des 17. und 18. Jahrhunderts erhalten, deren Eigenständigkeit außer Frage steht – nur muss man diese Autonomie auch realisieren. Mit der denkbar unprätentiös singenden Nuria Rial, mit Fahmi Alqhai und der Accademia del Piacere ist es bezaubernd gelungen.

Nur zwei Zugaben – aber immerhin. Die Amorette hatten wieder was zu tun – auch in der „noche oscura“, die so dunkel denn doch nicht war.

Frank Piontek, 16. September 2024


Bayreuth Baroque
Nuria Rial & Fahmi Alqhai: Muera cupido

12. September 2024

Ordenskirche

Accademia del Piacere