Mannheim: „Mahler, Britten“, Eliahu Inbal

Eliahu Inbal, zuletzt 1971 im Mannheimer Rosengarten zu erleben und zweifellos einer der herausragenden Mahlerinterpreten der letzten Jahrzehnte, führte das Publikum im Rahmen des 3. Akademiekonzerts am 19. Dezember 2023 durch eine faszinierende musikalische Reise. An diesem Abend dirigierte er Gustav Mahlers erste Sinfonie, auch als „Titan“ bekannt, und präsentierte zusammen mit der brillanten Geigerin Liza Ferschtman

Liza Ferschtman (c) Marco Borggreve

Benjamin Brittens Violinkonzert in d-Moll Op. 15. Das Violinkonzert von Benjamin Britten, das während des Zweiten Weltkriegs entstand und später überarbeitet wurde, ist berühmt für seine extreme Spieltechnik. Abfallende Quarten und ein markantes Paukensolo erinnern zuweilen an andere Werke, wie etwa Beethovens Violinkonzert und geben Brittens Komposition markante Gestalt. Britten meinte mit leiser Ironie, dass es darin einige Melodien gäbe …. Aber die spielerischen Anforderungen! Sie sind horrend! Es sagt viel über den spieltechnischen Anspruch des Soloparts, wenn einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts, Jascha Heifetz, es kurzerhand für unspielbar erklärte und es daher nie vortrug. Tempi passati! Inzwischen gibt es einige Aufnahmen dieses Violinkonzertes und eine ganze Reihe besonders begabter Virtuosen, die es sich zu eigen machten. Die Geigerin Liza Ferschtman, eine Musikerin mit einer beeindruckenden internationalen Karriere, meisterte die Herausforderungen dieses Werks mit herausragender Virtuosität und staunenswerter Leichtigkeit. Ihr Spiel war geprägt von höchster klanglicher Intensität und feinster Dynamik. Der Dialog zwischen Ferschtman und dem Orchester, geleitet von Eliahu Inbal, war berückend und extrem aussagestark. Inbal selbst erwies sich als idealer Partner, der Brittens Partitur mit größter Präzision und sensiblem Klangsinn zum Leben erweckte.

Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim zeigte sich dabei als engagierter und klanglich charakteristischer Begleiter. Die Kontraste im Violinkonzert, insbesondere zwischen den langsamen Sätzen und dem schnellen Mittelsatz, wurden von Ferschtman klar strukturiert herausgearbeitet. Ihre Interpretation warvon einem sehnenden Tonfall bestimmt, der stets edel und sonor erklang. In der gewaltigen Kadenz beschwor Ferschtman eine immense Bandbreite an Farben. Die musikalische Kommunikation zwischen Solistin und Orchester war von höchster Qualität. Wunderbar war das finale Verglimmen der Musik getroffen.

Eliahu Inbal – (c) Rikimaru Hotta

Ein Hauch von Ewigkeit lag in der Luft. Große Begeisterung im voll besetzten Rosengarten. Ferschtman bedankte sich für die Ovationen mit einem sehr innerlich vorgetragenen Andante von Bach. Nach diesem eindrucksvollen Auftakt führte Eliahu Inbal das Publikum weiter in die Welt von Gustav Mahler. Die erste Sinfonie, die nach langem Ringen mit verschiedenen Versionen ihre finale Gestalt erhielt, wurde zu einem akustischen Fest für die Zuhörer im Mannheimer Rosengarten. Inbal zeigte von Anfang an seine überragende Kompetenz in der Gestaltung von Mahlerscher Musik. Das feine Pianissimo zu Beginn des ersten Satzes ließ das Erwachen der Natur auf eindrucksvolle Weise hervortreten. Die verschiedenen Stilelemente, von Vogelstimmen über ferne Fanfaren bis zu volkstümlichen Weisen, wurden von Inbal meisterhaft miteinander verwoben und zu einem alles überstrahlenden Sonnenaufgang gesteigert. In den Mittelsätzen arbeitete Inbal wunderbar die derben und grotesken Momente heraus. Inbal sagte bei der Konzerteinführung, dass Mahler nicht nur schön gespielt werden sollte, sondern mit vielen Kontrasten bis hin zum hässlichen Ausdruck. Vor allem der dritte Satz mit seinen Klezmer Elementen geriet überaus authentisch. Die Musik glich einer spannenden Filmmusik, in welcher die Klänge der Klezmer Spieler und einer vorbeiziehenden böhmischen Blaskapelle um die Wette spielten. Magisch geradezu der Kontrast im meditativen Lindenbaum-Abschnitt. In tiefer Ruhe und Innigkeit wurde die Musik sehr persönlich. Die Höhepunkte des Konzerts manifestierten sich dann, insbesondere im vierten Satz des Werkes. Inbal spannte einen einzigen großen Bogen über das gesamte Werk, von der Hölle und Verzweiflung bis hin zur Schluss-Apotheose des Lichts. Dabei strotzte der alterslos wirkende Inbal mit seinen 87 Jahren voller Vitalität, was sich auch in den zügigen Tempi niederschlug. Kein Verschleppen, sondern ein natürlicher Strom der Töne, der die Zuhörer stets nach vorne trug. Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim trug mit seiner herausragenden Klangintensität maßgeblich zur eindringlichen Wirkung dieses Mahler’schen Meisterwerks bei. Die Streicher begeisterten durch kammermusikalische Akkuratesse und einem sehr fein artikulierten Solo des Kontrabasses, die Holzbläser charakterisierten vielschichtig und zuweilen auch beißend, und die Blechbläser überzeugten durch ihre dynamische Bandbreite in beeindruckender Klangstärke. Die viel geforderten Schlagzeuger begeisterten mit satter Substanz. Keine Frage, dieser Vortrag unter Leitung von Eliahu Inbal war ein zutiefst beeindruckendes Zeugnis seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Oeuvre des großen Gustav Mahler. Inbal schenkte den Zuhörern und auch dem Orchester tiefe Eindrücke seiner überragenden Gestaltungsfähigkeit und gestaltete den Vortrag dieser Sinfonie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Riesiger Jubel. Insgesamt war dieses Konzert eine triumphale Darbietung von Eliahu Inbal, Liza Ferschtman und dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Die fesselnde Interpretation von Brittens Violinkonzert und Mahlers erster Sinfonie hinterließ einen äußerst nachhaltigen Eindruck und zeugte von der beeindruckenden musikalischen Qualität der Künstler und des Orchesters.

Dirk Schauß, 20. Dezember 2023


Besuchtes Konzert im Mannheimer Rosengarten am 19. Dezember 2023

Liza Ferschtmann, Violine

Eliahu Inbal, Leitung

Orchester des Nationaltheaters Mannheim

Fotos:

Eliahu Inbal – Copyright by Rikimaru Hotta

Liza Ferschtmann – Copyright by Marco Borggreve