Vorstellung am 1. 6. 2017, (4. Vorstellung nach der Premiere vom 19. 5. 2017 )
Ausgezeichnete Ensembleleistung
Es ist immer wieder erstaunlich und erfreulich, welche Leistungen die Marburger Oper erbringen kann. Diesmal gelang dem Ensemble eine gültige Wiedergabe dieses anspruchsvollen Opernreissers.
Lady Macbeth von Mzensk war die zweite Oper von Dmitri Schostakowitsch. Die Uraufführung am 22. Januar 1934 in Leningrad war ein gewaltiger Erfolg. Zwei Tage später fand die Aufführung in Moskau statt. Zwei Jahre lang feierte dann das Werk einen Erfolg nach dem anderen. Bereits im Januar 1935 wurde es in Cleveland aufgeführt. Es folgten Aufführungen in New York, Philadelphia, Stockholm, Prag und Zürich. Die Wende bedeutete dann plötzlich nach Stalins Opernbesuch der berühmte Artikel in der Prawda mit dem Titel „Chaos und Musik“ vom Jänner 1936. Danach wurden alle Aufführungen gestoppt und der 29-jährige Schostakowitsch sah sich mit der Zerstörung seiner Musikerkarriere bedroht.
Zur Erinnerung hier kurz die Handlung der sozialkritischen Oper, die auf einer wahren Begebenheit beruhen soll:
Die junge Katerina Ismailowa führt an der Seite ihres Mannes, des Kaufmanns Sinowi, ein tristes Leben voller Langeweile. Als ihr Mann für längere Zeit verreisen muss, gelingt es dem gerade eingestellten Gehilfen Sergej, Katerina zu seiner Geliebten zu machen. Dies bleibt auch ihrem Schwiegervater, der ihr selbst nachstellt, nicht verborgen. Er peitscht Sergej vor allen Angestellten aus und stellt damit Katerina bloß.
Voller Hass vergiftet sie daraufhin ihren Schwiegervater. Ihr Mann, der von ihrer Untreue gehört hat und deshalb früher als geplant nach Hause zurückkehrt, stellt sie zur Rede und will sie schlagen. Sergej kommt
ihr zu Hilfe. Gemeinsam erschlagen sie Sinowi und verstecken den Toten im Keller. Am Hochzeitstag entdeckt ein angetrunkener Arbeiter zufällig die Leiche und alarmiert die Polizei. Katerina und Sergej werden verhaftet und zur Zwangsarbeit verurteilt. Sergej, der inzwischen jedes Interesse an Katerina verloren hat, bemüht sich um die junge Zwangsarbeiterin Sonjetka. Katerina aber wird von ihren Mitgefangenen verspottet und verhöhnt. Voller Verzweiflung packt sie Sonjetka und reißt sie mit sich in den Fluss, in dessen eiskalten Fluten beide ertrinken.
Das ist ein Zitat aus der Verlagsinformation , der man auch die große, wahrlich Blech- und Schlagzeug- gepanzerte Orchesterbesetzung entnehmen kann.
Mit Ausnahme der tenoralen Hauptfigur Sergej sind in Marburg alle Rollen aus dem hauseigenen Ensemble besetzt – und alle erbringen respektable Leistungen.
Eine Überraschung ist zweifellos die aus dem Koloraturfach kommende bulgarische Sopranistin, das langjährige Ensemblemitglied Petya Ivanova. Man hörte sie in Marburg als Gilda, auch als Donna Anna, dann nach der Babypause als Monteverdis Drusilla – jetzt ist sie erstmals im dramatischen Fach zu erleben, obwohl sie in der nächsten Saison auch wieder die Musette singen wird. Das Rollendebut überzeugte – sie bewältigte die anspruchsvolle Partie stimmlich und darstellerisch sehr gut. Die tiefere Mittellage wird sehr breit geführt, aber die Spitzentöne kamen dennoch sicher, wirkungsvoll und mit dramatischer Kraft. Der für Marburg neue bulgarische Tenor Ivan Momirov hat ein breit ausladendes metallisches Material, das er schonungslos einsetzt. Das passt gut zu der gewalttätigen Macho-Figur des Sergej.
Jaki Jurgec ist als Figur ein überzeugender tyrannischer Schwiegervater Boris. Allerdings fehlt ihm stimmlich ganz einfach das nötige Gewicht in einer Partie, die ihm deutlich zu tief liegt. Uroš Dolšek ist ein prägnant gezeichneter Schwächling Sinowi, der seine kurzen Passagen tenoral sicher meistert. Aus den zahlreichen kleineren Partien ragen die ausdrucksstarke Valentina Čuden als vergewaltigte Aksinja (und Strafgefangene), Martin Sušnik als glänzend singender Betrunkener, Alfonz Kodrič als (ebenso betrunkener) Pope mit dröhnender Stimme, Jure Počkaj als stimmgewaltiger Polizeioffizier, Valentin Pivovarov als belcantesk orgelnder Alter Strafgefangener und natürlich Guadelupe Barrientos mit kräftigem Alt als verführerische Sonjetka heraus – Barrientos macht übrigens nach ihren Anfängen in Marburg ihren internationalen Weg: in operabase kann man lesen, dass sie am Teatro Colon die Fürstin Bouillon in Adriana Lecouvreur und den Octavian singt – die Amneris in Chile folgt. Als Beobachter ihrer ersten Auftritte freut man sich, dass man ihr beachtliches Potential richtig eingeschätzt und ihr eine internationale Karriere prophezeit hatte.
Die Inszenierung eines rumänischen Teams (Regie: Gabor Tompa , Bühne: Helmut Stürmer , Kostüme: Corina Gramosteanu ) verlegte das Stück aus der Provinz des zaristischen Russlands durchaus behutsam und ohne allzu großen Krampf in die Gegenwart – die heute wohl unverzichtbaren Teddybären für die einsam-frustrierte Katerina und die Maschinenpistolen der Wächter im Gefangenenlager seien verziehen….
Der zentrale optische Mittelpunkt war das käfigartige und mit vielen Spiegeln ausgestattete Schlafzimmer der Katherina in Mitten eines fabrikartig wirkenden Gebäudes. In diesem Gebäude lebt eine verwahrloste Gesellschaft. Schäbige Taugenichtse bevölkern dieses Sittengemälde – etwa eine vulgäre Hochzeitsgesellschaft, in der sich vor allem der versoffene Pope hervortut, der zuvor in polka-fröhlicher Beschwingtheit den toten Boris eingesegnet hat. Und die Polizei wird in Schostakowitschs Diktion (er hat selbst maßgeblich am Libretto mitgearbeitet) gar zum korrupten Büttel eines gemeingefährlichen Operettenstaates (Robert Maschka ) Das alles ist in diesem Sinnne durchaus wirkungsvoll und in der richtigen Balance zwischen drastischem Realismus und stilisierter Überzeichnung inszeniert. Ein besonders effektvolles Detail: nach der Hochzeitsgesellschaft senkt sich der Zwischenvorhang nicht ganz, man sieht während des Zwischenspiels die Füße der Gesellschaft und erkennt das Ablegen der Kleidung. Der Zwischenvorhang hebt sich zum letzten Bild – der Schlafzimmerkäfig hat sich zum engen Zwangsarbeiterlager gewandelt, die Hochzeitsgesellschaft wurde zu Zwangsarbeitern.
Kleine Beleuchtungspannen – wie beim Verstecken der Sinowi-Leiche in einer Mülltonne – registriert man als unterhaltsame Episode einer Repertoire-Aufführung. Insgesamt ist jedenfalls eine werkgerechte und intensive Aufführung gelungen – trotz dreistündiger Dauer ließ die Spannung nie nach. Daran hat auch die engagierte Leistung des Marburger Sinfonie-Orchesters wesentlichen Anteil. Die zwölfköpfige Blechbläser-Banda war links und rechts vor der Bühne im Proszenium-Bereich des Zuschauerraums postiert – das ergab durchaus reizvolle akustische Eindrücke. Der lettische, primär vom Ballett kommende Dirigent Fahrhads Stade war ein temperamentvoller Koordinator, der die Klangmassen gut im Griff hatte und die Protagonisten nie zudeckte. Manchmal hätte man sich vielleicht mehr elegant-schneidende Schärfe anstelle von kompakter Wuchtigkeit gewünscht. Der Marburger Opernchor (Leitung: Zsuzsa Budavari Novak) ist auch diesmal wieder ein stimmlich machtvoller und darstellerisch aktiver Teil des Gesamterfolgs.
Am Ende gab es viel Beifall im leider nur halb gefüllten Hause – schade, die Produktion verdient ein volles Haus!
Hermann Becke, 2. 6. 2017
Szenenfotos: SNG Maribor, © Tiberiu Marta
Hier die deutsche Übersetzung jenes Artikels der Prawda vom 28. 1. 1936, mit dem Schostakowitschs Werk (kultur)politisch vernichtet wurde