Maribor: „Turandot“

Premiere am 5. 2. 2016

Üppige szenische und musikalische Konvention

Eigentlich waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Turandot-Produktion sehr gut: man hatte zwei junge Marburger Solistinnen – nämlich einen aufstrebenden dramatischen Sopran als Turandot, eine beim Publikum beliebte Liu, und man hatte einen international erfahrenen Calaf, der zuletzt in Marburg stets freundlich akklamiert wurde. Dazu kamen für die Szene ein italienisches Team sowie ein erfahrener Mann am Dirigentenpult. Aber es sollte leider dennoch nur eine Produktion werden, die unter dem von Marburg zu erwartenden und üblicherweise respektablen Niveau lag. Und das hat vor allem zwei Gründe:

Die szenische Lösung war zwar üppig und bunt, blieb aber in konventionellen Bildern stecken und konnte keinerlei spannungsvolle Beziehung zwischen den handelnden Personen aufbauen – und die musikalische Leitung beschränkte sich auf ein geordnetes Zusammenhalten von Orchester, Chor und Solisten in einer recht undifferenzierten Einheitslautstärke ohne klangliche und rhythmische Raffinesse.

Filippo Tonon hatte für diese Neuproduktion gleich vier Aufgaben übernommen – er war Regisseur, Bühnenbildner, Lichtgestalter und Choreograph in einem. Er hatte eine durchaus praktikable, variable und eher abstrakte Installation geschaffen und diese mit kräftig-bunten Figuren (Kostüme: Cristina Aceti) belebt und in ständiger Bewegung gehalten. Diese ständige Bewegung der Rauminstallation, des großen Chors, der Statisten und des Balletts lenkte von den drei Hauptfiguren ab und war offensichtlich geprägt von Tonons jahrelanger Erfahrung als Regieassistent auf Großbühnen wie der Arena von Verona oder derzeit in der Aida an der Oper in Sofia (hier gemeinsam mit Cristina Aceti als Kostümassistentin). Filippo Tonon wollte Märchenstimmung in abstrakten Bühnenelementen schaffen, wie man aus Interviews entnehmen kann. Das ist wohl nicht gelungen. Man sah bloß routinierte Massenarrangements, die eigentlich nicht auf die Bühne eines mittleren Hauses mit rund 840 Plätzen passen und manchmal gefährlich die Grenze der Peinlichkeit streifen (etwa die sich unentwegt windenden Begleitdamen von Turandot, die stets ihre Köpfe bewegen müssen, offenbar damit der Pailletten-Schmuck im Scheinwerferlicht glitzert).

Die 1979 geborene Slowenin Rebeka Lokar sang an diesem Abend ihre erste Turandot. Sie begann (nach einem Germanistik-Studium) 2005 im Marburger Opernchor als Mezzospran, ging dann zur stimmlichen Weiterbildung nach Italien und wechselte inzwischen ins dramatische Sopranfach. Im Vorjahr sang sie in Marburg die Minnie in La Fanciulla del West – der Opernfreund berichtete. Nun als Turandot konnte man eine deutliche und erfreuliche Weiterentwicklung registrieren. Rebeka Lokar bewältigte die anspruchsvolle Rolle mit Sicherheit und ohne stimmliches Forcieren – eine Rolle, von der Puccini 1924 selbst gesagt hatte: Wer wird meine Oper singen? Da wächst wirklich eine vielversprechende hochdramatische Stimme heran und man versteht, dass während der Turandot-Proben schon die Agenten-Anfragen an sie kamen, die Brünnhilde und/oder die Venus an deutschen Häusern zu übernehmen. Wer sich von unseren Leserinnen und Lesern einen Eindruck von Rebeka Lokar verschaffen will, der kann sie hier bei ihrem Abigaille-Debut in Taormina hören und sehen. Ich denke, sie wird ihren Weg machen, soferne sie klug mit ihren stimmlichen Mitteln umgeht. Als nächste Rolle steht zunächst die Manon Lescaut in Zagreb bevor.

Die etwa gleichaltrige Slowenin Sabina Cvilak hat den Weg auf die internationalen Bühnen schon geschafft. Eben hatte sie in Wiesbaden einen besonderen Erfolg mit der Katja Kabanowa – der Opernfreund schrieb über sie: diese Sängerin ist ein Ereignis. In Marburg hatte ich sie im Jahre 2013 als ausgezeichnete Tatjana gehört- diese Partie sang sie seither auch in Malmö. Sabina Cvilak war schon bei der letzten Turandot-Premiere in Marburg (2009) die Liù und man kann ihre Interpretation auch hier – begleitet vom Laibacher Opernorchester nachhören. Inzwischen ist ihre schöntimbrierte Sopranstimme dunkler geworden. Ihre Szene im 1.Akt Signore, ascolta erklang diesmal geradezu in (allzu) abgedunkelten Mezzo-Farben. Wesentlich heller – und auch stimmlich freier – gelang ihr dann die Arie im 3.Akt Tu, che di gel sei cinta. Sabina Cvilak war auch die einzige der Solisten, der es gelang, gegenüber dem monochrom lauten Orchester einige sehr schöne Piano-Phrasen durchzusetzen. Als Anregung für ihren weiteren Weg kann ich nur das wiederholen, was ich über ihre Tatjana schrieb: „man konnte sich noch bei einigen (wenigen) Stellen wünschen, dass die Stimme in den dramatischen Passagen zentrierter und nicht zu breit geführt wird“. Die beiden Damen Lokar und Cvilak waren jedenfalls eine sehr gute Besetzung und hätten sich eine bessere szenische Führung und eine subtilere Orchesterbegleitung verdient!

Calaf, der Mann, der zwischen den beiden Frauenfiguren steht, war der italienische Routinier Renzo Zulian , der schon bald 25 Jahre auf internationalen Opernbühnen im ersten Fach auftritt. Wie schon als Radames und als Dick Johnston, die er beide in der letzten Zeit in Marburg verkörperte, überzeugt er primär durch sein eindrucksvolles Metall in der Stimme, durch sichere Höhen und durch bewährt-gute italienische Phrasierung. Allerdings bleibt er – ohne die Hand eines überzeugenden Regisseurs und Gestalters – in routinierter, statischer Operngestik verhaftet und ist mit seinem Schulterumhang noch dazu nicht sehr vorteilhaft kostümiert. Sein Nessun dorma schmettert er bombensicher ins Publikum. Das gelang stimmlich effektvoll und konnte auch nicht durch das Lichtgeblinker auf dem Bühnenelement hinter dem Tenor beeinträchtigt werden, das wohl die Textstelle le stelle che tremano d’amore e di speranza! (reichlich hilflos) illustrieren sollte…


Die Nebenrollen waren allesamt solid bis ausreichend besetzt: Die drei Minister – bzw. „maschere“, wie sie Puccini in seiner Korrespondenz konsequent nennt – waren Darko Vidic (Ping), Dušan Topolovec (Pang) und Martin Sušnik (Pong). Sie waren die geforderten grotesken und marionettenhaften Erscheinungen. Stimmlich führte sie eindeutig Martin Sušnik an. Valentin Pivovarov war – wie schon in der letzten Marburger Premiere – der stimmmächtige Timur. Das langjährige Ensemblemitglied Emil Baronik war glaubhaft der greise Altoum und Jaki Jurgec der respektgebietende, wenn auch ein wenig stimmschwache Mandarin. Der groß besetzte und offensichtlich verstärkte Chor (Leitung: Zsusza Budavari Novak) bot das nötige Klangvolumen. Unter der Leitung des kroatischen Routiniers Loris Voltolini spielte das Symphonische Orchester SNG Maribor sicher, aber nicht sehr animiert und dynamisch recht eindimensional. Da merkt man dann den musikalischen Bruch zwischen Puccini und seinem Schüler Franco Alfano noch stärker als gewohnt: das von Alfano fertig geschriebene und instrumentierte Finale nach Liùs Tod klang diesmal besonders protzig und wenig inspirierend. Schade: bei einer rhythmisch, dynamisch und klanglich differenzierteren Orchesterbegleitung wäre mit den Solisten dieses Abends eine wesentlich spannungsvollere musikalische Interpretation möglich gewesen – und dann hätte auch die konventionelle szenische Umsetzung weniger gestört.

Wie auch immer: im ausverkauften Haus gab es lebhaften und lautstarken Beifall!

Hermann Becke, 6. 2. 2016

Szenenfotos: SNG Maribor, © Tiberiu Marta